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Europa wirtschaftlich im Abstieg – eine Bloomberg-Analyse

Europa ist wirtschaftlich im Abstieg. Wie löst die EU das Problem grundsätzlich? Hier dazu eine Analyse von Bloomberg.

EU-Flagge
Foto: Gpointstudio-Freepik.com

Europa ist wirtschaftlich im Abstieg im Vergleich zu den USA und vor allem zu Asien. Es ist eine Ansichtssache: Wäre der vor vier Wochen präsentierte gigantische Schuldenplan von Mario Draghi der große Wurf gewesen, um Europa wirtschaftlich nach vorne zu katapultieren? Kritiker – zu deren Sichtweise ich persönlich tendiere – würden aber eher sagen, dass gigantische EU-Schuldenpläne letztlich nur verfeuert worden wären, um Haushaltslöcher in EU-Südländern zu stopfen. Jede Menge neue Schulden ohne Schuldengrenzen würden vor allem für den massiven Ausbau des Sozialstaats genutzt werden, anstatt für Investitionen in Infrastruktur, Forschung, Bildung, Wirtschaft.

Draghi-Plan wäre keine Lösung gewesen – Bürokratie entschlacken

Allen voran kann man es in Deutschland besichtigen: In einem gigantischen Ausmaß werden Steuergelder verfeuert für Wünsch-Dir-Was-Projekte. Es gibt hierzulande kein Einnahmenproblem. Einnahmen hat der Staat so viele wie nie zuvor – nur wofür das Geld ausgegeben wird, das ist das Problem. Würde man reihenweise überflüssige Ausgaben streichen, hätte man sogar ohne neue Schulden viel Geld übrig, um deutlich mehr Investitionen vorzunehmen. Aber das mögen viele Ökonomen, Politiker und Journalisten sicher ganz anders sehen. Fest steht: Europa verliert immer mehr an Boden.

Im großen Bild sollte einem klar sein: Je mehr Industrie abwandert – oder besser gesagt je mehr andere Länder zulegen und uns abhängen – desto weniger industrielle Wertschöpfung hat Europa, desto weniger Wohlstand, desto weniger Geld ist vorhanden um Sozialsysteme finanzieren zu können. Das Grundproblem für Europa: Wir sind nun mal kein einheitlicher Wirtschaftsraum. Die Menschen in Portugal schauen andere Fernsehsendungen als die Menschen in Polen. Sie essen anders, sie konsumieren anders usw. Und das überträgt sich auf alle Lebensbereiche. Kultur, Wirtschaft, Finanzen, Politik – die Unterschiede sind immens. Es ist ein offenes Geheimnis bei EZB und EU: Südländer würden sich nur all zu gerne über grenzenlos neue Schulden finanzieren, der Norden sieht das ganz anders. Es ist eine Illusion, einen nicht homogenen Wirtschaftsraum wie Europa vergleichen zu wollen mit China oder den USA.

Was man sagen muss: In Brüssel hat sich über Jahrzehnte ein immer größer werdender bürokratischer Apparat aufgebläht. Politiker aus den Einzelstaaten konnten nach Brüssel gehen und dort viel mehr Geld verdienen als zuhause. Auch unzählige Beamte verdienen dort fürstlich. Je mehr Bürokratie, Gesetze, Verordnungen, desto mehr Planstellen werden benötigt. Und die Menschen, die auf diese Planstellen gesetzt werden, müssen dann diese Verordnungen überwachen. Es bräuchte allen voran eine massive Entschlackung dieser EU-Bürokratie. Und gerade Länder mit gigantischen Steuereinnahmen wie Deutschland könnten aus ihren laufenden Steuereinnahmen Jahr für Jahr große Beträge für Investitionen ausgeben, wenn man im Haushalt nur richtige Prioritäten setzt! Für Europa sollte gelten: Bürokratie massiv abbauen und vorhandene Gelder für die wirklich wichtigen Zukunftsprojekte ausgeben, dafür sinnfreie Utopie-Themen von der Ausgabenliste streichen.

„Europa bleibt kaum noch Zeit seinen Platz zu verteidigen“

Bloomberg hat eine Analyse zum wirtschaftlichen Abstieg Europas veröffentlicht, die wir hier im Wortlaut zeigen: Das europäische Projekt nähert sich einem Wendepunkt. Eine Kombination aus politischer Lähmung, externen Bedrohungen und wirtschaftlicher Malaise droht die Ambitionen der Europäischen Union, eine eigenständige globale Kraft zu werden, zunichte zu machen und die Mitgliedstaaten stattdessen dazu zu drängen, ihre eigenen Interessen zu verteidigen.

Nach Jahrzehnten der Warnungen und des unterdurchschnittlichen Wachstums sehen sich die Staats- und Regierungschefs der Region plötzlich mit einer Flut von Beweisen konfrontiert, die zeigen, dass der Niedergang für Europa unaufhaltsam wird. Frankreichs europafreundlicher Präsident hat das Veto-Recht über seine Regierung an die extreme Rechte abgegeben. Deutschlands größter Autobauer VW spricht zum ersten Mal überhaupt davon, Fabriken zu schließen. US-amerikanische Technologiegiganten kehren dem europäischen Markt wegen seiner neuen Beschränkungen für künstliche Intelligenz den Rücken.

Diese Entwicklungen untermauern das Versagen der EU, als kohärenter und dynamischer Wirtschaftsblock zu agieren, was ihren Status untergräbt und ihre Fähigkeit beeinträchtigt, auf eine Vielzahl von Bedrohungen zu reagieren, von der chinesischen Industriepolitik bis hin zur russischen militärischen Aggression oder sogar einer künftigen feindlichen Regierung in den USA.

Die jüngste Apathie oder Zurückweisung der Regierungen nach dem Weckruf des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi, der mehr Investitionen und gemeinsame Anleihen zur Bekämpfung des schwachen Produktivitätswachstums forderte, unterstreicht, dass die Region den Versuch so gut wie aufgegeben hat. „Wenn Europa eine geopolitische Macht sein will, dann ist wirtschaftliche Macht der entscheidende Faktor“, sagt Guntram Wolff, Professor an der Freien Universität Brüssel und Senior Fellow am Thinktank Bruegel. “Das Produktivitätswachstum war einfach eine Katastrophe. Europa ist immer noch reich, aber diese Unterschiede über 20 Jahre hinweg haben massive Auswirkungen.“

Das grundlegende Problem besteht darin, dass die Welt dramatische Veränderungen wie den Klimakollaps, den demografischen Wandel und den Übergang zu einer postindustriellen Wirtschaft erlebt – alles Phänomene, auf die Europa nur zögerlich und unzureichend reagiert. Die geopolitischen Rivalen der Region versuchen, diese Veränderungen auszunutzen, während zu viele der größten EU-Mitgliedstaaten mit Wirtschaftsmodellen zu kämpfen haben, die schon viel zu lange nicht mehr funktionieren – und mit unruhigen Wählern, die sich nicht auf Alternativen einlassen wollen.

„Etwas verändert sich sehr, sehr dramatisch und sehr, sehr tiefgreifend in dieser Welt“, sagte der ehemalige polnische Präsident Aleksander Kwasniewski in einem Interview. “Wir können nicht richtig reagieren, weil wir zu langsam sind.“

Natürlich hat China mit seiner eigenen wirtschaftlichen Abschwächung zu kämpfen, und die USA steuern auf eine möglicherweise störende Wahl zu, bei der die öffentlichen Finanzen auf einer nicht nachhaltigen Grundlage stehen. Aber beide Nationen verfügen über Systeme, die die Entscheidungsfindung weitgehend zentralisieren und riesige Mengen an privatem oder öffentlichem Kapital für Verteidigung und Investitionen in Spitzentechnologie generieren.

Europa hat keinen dieser Vorteile – und das wird immer deutlicher. Natürlich steht der Lebensstandard in den wohlhabenden Volkswirtschaften Europas nicht kurz vor dem Zusammenbruch. Einige Länder könnten durchaus von Investitionen oder Handelsabkommen mit den USA, China oder Russland profitieren. Aber je länger die aktuellen Trends anhalten, desto anfälliger wird Europa für dramatische Schocks.

„Ich glaube wirklich, dass wir in Gefahr sind“, sagte der französische Präsident Emmanuel Macron Anfang des Monats auf einer Podiumsdiskussion in Berlin. “Wenn wir in den nächsten zwei bis drei Jahren unserer klassischen Agenda folgen, werden wir vom Markt verschwinden. Daran habe ich keinen Zweifel.“

Diese Risiken zeichnen sich für die EU bereits ab, da die Abhängigkeit des Blocks von der chinesischen Wirtschaft trotz einer wachsenden Zahl von Streitigkeiten mit Peking zunimmt. Macron argumentiert, dass der Verlust billiger russischer fossiler Brennstoffe seit der Invasion der Ukraine im Jahr 2022 und das Aufkommen der aggressiven, subventionsintensiven Industriepolitik von US-Präsident Joe Biden einen Bruch mit dem alten Modell darstellen, das es den exportorientierten Volkswirtschaften Europas ermöglichte, zu florieren.

Dies kommt zu den bereits bestehenden Herausforderungen hinzu, die durch den Aufstieg Chinas und seiner eigenen riesigen Produktionsmaschinerie sowie durch den globalen Innovationssprung in der Technologie, der die Region weitgehend umgangen hat, entstanden sind.

Mario Draghi
Mario Draghi. Foto: Simon Wohlfahrt/Bloomberg

„Europa ist in Gefahr„, sagt David Galbraith, ein Technologieunternehmer und Investor, der seine Karriere auf beiden Seiten des Atlantiks verbracht hat und der Ansicht ist, dass sich die Weltwirtschaft mitten in einem Wandel befindet, der der industriellen Revolution ähnelt. „Schauen Sie sich an, was mit den Ländern passiert ist, die es nicht geschafft haben, sich zu industrialisieren“, sagte er. „Sie haben sich nicht besonders gut geschlagen.“

Das Ergebnis droht einen Schaden anzurichten, der über einen einfachen Rückstand bei Investitionen und Produktivität hinausgeht: Die Staats- und Regierungschefs der Region verlieren das Vertrauen in das europäische Projekt. Es sind nicht nur Euroskeptiker wie der Ungar Viktor Orban, der dem Block seit vielen Jahren ein Dorn im Auge ist. Beamte in den europäischen Kernländern beginnen, die EU als ein Hindernis zu betrachten, das sie umgehen müssen – und nicht als die Quelle von Wohlstand und Schutz, die sie bisher war.

Französische Beamte sprechen davon, eine tiefere Integration mit einer kleineren Gruppe von Ländern außerhalb des Rahmens des Blocks zu schmieden, da Deutschland seit langem dagegen ist. Polnische Beamte führen ähnliche Initiativen im Verteidigungsbereich an. Der spanische Ministerpräsident, traditionell einer der EU-freundlichsten Staaten, untergräbt seine Handelspolitik, um chinesische Investitionen anzuziehen.

„Die Geopolitik der Spaltung funktioniert wirklich“, sagt Jamie Rush, Chefökonom für Europa bei Bloomberg Economics. “China lenkt die spanische Politik gegenüber der EU, indem es ein wenig Geld in die Hand nimmt. Orban handelt ungestraft. All dies untergräbt das Vertrauen in das Gesamtprojekt – nicht nur für Politiker, sondern auch für Investoren.“

Produktivitätslücke in der EU ermöglichte es den USA, einen Vorsprung zu erlangen

Auch Führungskräfte und Investoren zeigen allmählich ähnliche Zweifel an Europa, insbesondere aufgrund der jüngsten Entscheidungen von Apple und Meta Platforms, ihre neuesten KI-Produkte vom EU-Markt fernzuhalten – was den Anspruch des Blocks, Maßstab für globale Standards zu sein, schmälert. Bisher hielten die meisten globalen Unternehmen den Binnenmarkt trotz der aufwändigen Regulierung für zu groß und lukrativ, um darauf zu verzichten. Die US-amerikanischen Technologiegiganten hingegen entschieden, dass die KI-Vorschriften der EU einfach zu restriktiv seien.

Vor diesem schwelenden globalen politischen und unternehmerischen Hintergrund legte Mario Draghi – der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank – im September einen Plan zur Wiederbelebung des Blocks vor, während er gleichzeitig die Gefahr des Verfalls der Region als Wirtschaftsmacht minutiös aufzeichnete. Der relative Niedergang der EU hat sich seit der Währungsunion vor einem Vierteljahrhundert unaufhörlich fortgesetzt. Eine Analyse von Bloomberg Economics zeigt, dass die Wirtschaft des Blocks etwa 3 Billionen Euro größer wäre, wenn sie mit den USA Schritt gehalten hätte – genug, um das Einkommen eines durchschnittlichen Arbeitnehmers um etwa 13.000 Euro pro Jahr zu erhöhen.

„Die Fundamente, auf denen wir aufgebaut haben, werden jetzt erschüttert“, sagte Draghi in der Einleitung zu seinem Bericht. “Dies ist eine existenzielle Herausforderung.“ Seine wichtigsten Empfehlungen zur Nutzung der Finanzkraft der EU durch eine stärkere gemeinsame Schuldenaufnahme wurden von den Deutschen abgelehnt, da sie es ablehnen, mehr Risiken mit anderen Mitgliedstaaten zu teilen. Andere Prioritäten, wie die Schaffung eines gemeinsamen Kapitalmarktes, müssen noch an Fahrt gewinnen.

Der Bericht ist vorerst weitgehend auf taube Ohren gestoßen, was einige Entscheidungsträger befürchten lässt, dass sich das Zeitfenster für Maßnahmen in der Region schnell schließt. „Es ist offensichtlich, dass Europa hinter seinen wichtigsten Handelspartnern, den USA und China, zurückfällt“, sagte der griechische Finanzminister Kostis Hatzidakis in einem Interview am 24. September. “Wenn nicht sofort gehandelt wird, wird der Niedergang irgendwann irreversibel sein.“

FMW/Bloomberg



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4 Kommentare

  1. „Klimakollaps, den demografischen Wandel und den Übergang zu einer postindustriellen Wirtschaft “

    Klimakollaps… Ok… Ist aber genauso wie ein demografischer Wandel ein globales Thema, bei dem am Ende wahrscheinlich verschiedene „Lösungen“ (ist es denn überhaupt wirklich ein Problem? Gibt es ein Naturgesetz, dass man X Anzahl an Leuten braucht? Alternativlos?) bzw. Veränderungen zu sehen sein werden. Wenn China wie angenommen in den nächsten 30 Jahren 400 Millionen weniger Einwohner hat, werden so manche Gewohnheiten umgestellt werden müssen bzw. müssten ersetzt werden.

    postindustrielle Wirtschaft. Und warum ist es dann ein Problem, dass industrielle Werke schließen? Beides gleichzeitig – viel Industrie in einer postindustriellen Wirtschaft – hört sich irgendwie etwas paradox an. Und ist auch komplett gegenläufig zu den aktuellen Entwicklungen, die eine forcierten Aufbau von verschiedenen Industrien, egal ob Rüstung und deren Zulieferer oder allgemein breitere (globale!) Zulieferketten um weniger von China anhängig zu sein. „Postindustriell“ hockt dann jeder im Büro um die Dinge zu verwalten, handeln und nutzen, die andere hergestellt haben?

  2. Auch Bloomberg nennt nicht die vorrangige Ursache für den fortschreitenden Niedergang Europas mit Deutschland als Schlusslicht. Die Politiker sind das Problem, die an ihre Allmacht glauben, die Wirtschaft dahingehend regeln zu können, um ihre Sozialprogramme immer weiter ausbauen zu können und damit wieder gewählt zu werden. Das führte zu einem sozialistischen Politikansatz, der noch nirgendwo funktioniert hat. Solange man diese parasitäre Politikerschicht nicht los wird, solange wird sich der Niedergang perpetuieren. Die spannende Frage wäre, wie man diese egomanische Schicht über den Jordan schiebt, da diese Leute kaum freiwillig gehen – siehe Einschränkung der Meinungsfreiheit mit bereits bestehenden bzw. geplanten duzenden Denunziantenstellen, von unseren Steuern bezahlt.

  3. Wenn das Klima kollabiert, würde es nur in der Eu kollabieren? Eher kollabiert die Eu weil sie den angeblichen Kollaps verhindern wollen. Es ist schon lachhaft wie die Eu lauft wo alle anderen stehen und umgekehrt.
    Das wirkliche Problem für mich ist rein die Einwanderung. Es kommen genau die, die wir nicht brauchen und am ehesten gehen die, die man bräuchte und das bei fallenden Geburtenraten der nativen Bevölkerung dank übertriebener Emanzipation. Der nächste Joker nach Ukrainerinnen sind jetzt Afghaninnen. Hauptsache ein Top Zaun zu Russland und Belarus obwohl von überall anderswo eh die ganze Welt hereinspaziert.
    Was stellt man sich vor?

  4. Widerspruch: die kulturelle Vielfalt Europas ist wirtschaftlich ein Vorteil. Allerdings wird der durch immer mehr Zentralismus abgewürgt. Mehr Dezentralität wäre das Erfolgskonzept. Es ist gerade die Vorstellung, Europa wie China oder die USA zu organisieren, die das Problem schafft.

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