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Realitätsverlust in Peking? China: Nationaler Volkskongress – im Osten nichts Neues

Führung ist ratlos

China Führung ratlos
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Mit dem Rechenschaftsbericht von Premierminister Li Qiang eröffneten gestern in der „Großen Halle des Volkes“ die „Zwei Sitzungen“, die wichtigste politische Veranstaltung des Jahres in China. Die „Zwei Sitzungen“ sind die gemeinsame Bezeichnung für die Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses (NVK) und des Ausschusses der Politischen Konsultativ-Konferenz des chinesischen Volkes (PKKCV), die fast gleichzeitig in Peking stattfinden und die wirtschaftspolitischen Leitlinien des Landes festlegen. Die „Zwei Sitzungen“ sind auch geprägt von kommunistischer Folklore, wie z.B. dem Erscheinen von Minderheitenvertretern in vermeintlich traditionellen Gewändern. Die „Zwei Sitzungen“ folgen festen Ritualen, von denen Li Qiang gleich zu Beginn abwich.

China: Bruch mit der Tradition – Machtverlust oder fehlenden Antworten?

Entgegen der seit Jahrzehnten geübten Praxis fällt in diesem Jahr das übliche Pressegespräch zum Ende der Veranstaltung aus. In dem Nebel, den die politische Führung mit ihrer intransparenten Vorgehensweise verbreitet, suchen Pekingologen nach Erklärungen für diesen Schritt.

Zwei Sichtweisen haben sich herauskristallisiert. „Es gibt viele Vermutungen, warum diese Praxis endet. Meine ist, dass dies nur ein weiterer Schritt in der relativen Verringerung des Premiers und seiner Rolle unter Xi ist. Premier Li hat bereits ein niedrigeres öffentliches Profil als seine Vorgänger eingenommen. (…) Und dies passt vielleicht dazu, jede Möglichkeit zu vermeiden, dass die Menschen denken, es gebe eine alternative Machtzentrale, egal wie weit diese Wünsche von der Realität entfernt sein mögen“, so die Einschätzung des Chinakenners Bill Bishop. Eine andere Vermutung ist, dass Li Qiang unangenehme Fragen über die wirtschaftliche Entwicklung und Reformen gestellt bekommt, auf die er keine oder nur unzureichende Antworten hat.

Sein Chef, Xi Jinping, setzte schon vor den „Zwei Sitzungen“ ein Ausrufezeichen und schwört die Bevölkerung in China darauf ein, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten länger anhalten könnten, als es so manchen lieb sein könnte. Mehr noch, er gestand ein, dass „Wachstum“ allein kein Allheilmittel gegen eine Schwächephase sei. Er schrieb in der Parteipublikation „Qiushi“, die sinnigerweise „Wahrheit“ heißt: „Es ist nicht der Fall, dass eine höhere Wachstumsrate der Wirtschaft bedeutet, dass die Situation sehr gut ist, noch bedeutet ein Rückgang des Wirtschaftswachstums, dass die Situation sehr schlecht ist. Wir müssen uns an die richtige Ansicht von Leistungen halten, nicht einfach Helden anhand des BIP-Wachstums bewerten und uns nicht von kurzfristigen wirtschaftlichen Indikatoren beeinflussen lassen. Die Beurteilung, ob die Wirtschaft gut ist oder nicht, sollte nicht nur die Gesamtmenge, sondern auch die Qualität der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas berücksichtigen.“

Auch Li Qiang musste bei seinem ersten Rechenschaftsbericht eingestehen, dass die wirtschaftliche Situation zu mehreren Dilemmas im politischen Entscheidungsprozess führt. Und die Rede Li Qiangs zeigt, dass zumindest der Regierungschef keine Antworten hat. Dies ist wahrscheinlich die wichtigste Botschaft der Rede. Auffallend wenig, noch weniger als im letzten Jahr, war die Rede von „Reformen“. Konkret wurde er nur, was Reformen in der Steuer- und Fiskalpolitik betrifft – beides Felder, die relativ einfach sind, aber auch nicht die wirklich drängendsten Probleme sind. Der Begriff „Reform“ wurde etwa 10-mal weniger angesprochen als vor einem Jahr.

Die Reformunwilligkeit der Machthaber

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk beklagte der ausgewiesene China-Freund und ehemalige Vorsitzende der Europäischen Handelskammer, Jörg Wuttke, in diesen Tagen die Reformunwilligkeit der Machthaber. Statt „Schnelligkeit und Prägnanz“ gebe es nur „hier ein bisschen Geld, dort ein bisschen Lockerung“. Es fehle der „Mumm aus 2009 und der Umpf aus 2015“ (ja, dies ist in der Tat ein wörtliches Zitat). Auch Mark Leonard, ein weiterer ausgewiesener Chinaexperte, konstatiert in seinem exzellenten Artikel „Sunset of the Economists“: „Vor zwei Jahrzehnten liefen Chinas reformorientierte Wirtschaftswissenschaftler durch die Gänge der Macht und diktierten die Politik. Jetzt wurden sie zugunsten einer neuen Priorität, der nationalen Sicherheit, an den Rand gedrängt.“

China: Führung hat keine Lösung für die drängendsten Probleme

Für die drängendsten Probleme – Immobilienkrise, Flucht der Investoren, Einbruch der Aktienmärkte, Deflation und den allgemeinen Abschwung – präsentierte der Premier nicht wirklich eine Lösung. Stattdessen wiederholte er die üblichen Stichworte: Stärkung der Privatwirtschaft, Konzentration auf „Qualitatives Wachstum“ und die bisherigen Lösungsansätze für den Immobiliensektor (Whitelist, günstige Kredite). Wie Luo Zhiheng, Chefökonomist des Forschungsinstituts von Yuekai Securities, in seiner Analyse des Rechenschaftsberichts schrieb: „Besonders in Situationen, in denen das Verbrauchervertrauen fehlt, können Bargeldsubventionen an Niedrig- und Mittelverdiener dazu beitragen, ihre Kaufkraft zu erhöhen.“

Doch diesen Weg will Peking ganz offensichtlich weiter nicht gehen, sondern „wir werden daran arbeiten, die Wirksamkeit von Investitionen zu steigern.“  Es soll also wie bisher in Zement investiert werden. Dies hat sich in den letzten beiden Jahren schon als ein ineffektives Mittel herausgestellt. Die Investitionsruinen überall im Lande geben davon beredtes Zeichen.

Im Gegensatz zum Festland haben sowohl Hongkong als auch Macao Erfahrungen mit Helikoptergeld gesammelt. Gerade in Hongkong wird sehr darauf geachtet, dass das Geld vornehmlich in kleine, lokale Geschäfte fließt. Selbst immer mehr chinesische Experten drängen die Führung dazu, auch auf dem Festland diesen Weg zu gehen. Doch offenbar ist der Leidensdruck noch nicht hoch genug.

Realitätsverlust in Peking?

Oder ist es, dass in Peking langsam die Realitätsverlust um sich greift? Dies wäre eine Erklärung für die Eckdaten der wirtschaftlichen Entwicklung in China in den nächsten 12 Monaten. Wie erwartet, peilt die Regierung eine Steigerung des Bruttoinlandsproduktes von etwa 5 % an– die magische Grenze, um genug neue Jobs zu generieren.8 Davon sollen ca. 12 Millionen entstehen. Da 11,79 Millionen Absolventen von Schulen und Universitäten erwartet werden und die letzten beiden Jahre schon nicht genug für die ebenfalls etwa 11 Millionen Absolventen geschaffen haben, dürfte die Jugendarbeitslosigkeit weiterhin sehr hoch bleiben, mit entsprechenden sozialen Konsequenzen.

Die Inflation soll bei etwa 3 % liegen. Mit den Worten von Bill Bishop zu sprechen: „Das bedeutet, dass das Land in diesem Jahr wieder ein nominelles Wachstum von etwa 8 % anstrebt. In Wirklichkeit kämpft China jedoch mit der längsten Phase der Deflation seit Ende der 1990er Jahre.“ Selbst die 5 % BIP-Wachstum sagen nicht viel aus, denn „man kann viel produzieren, aber kein Geld machen, das ist selbst das Problem, dass die Aktienmärkte wieder spiegeln“, wie es Jörg Wuttke beschrieb. Das Defizit der Zentralregierung soll ebenfalls bei etwa 3 % liegen.Diese Zielmarke ist ein relativ unwichtiger Wert, sagt es doch sehr wenig über die wahre Verschuldung aus, die normalerweise in den Total Social Financing ausgedrückt wird, die zur Zeit bei etwa 300 % des BIPs liegt.

Ebenfalls entscheidend ist, ob die Zentralregierung Schulden der Provinzen bzw. sich an deren Finanzierung beteiligen wird. Letztes Jahr legte die Zentralregierung einen Sonderfonds von einer Billion Yuan (128 Milliarden Euro) auf, von denen die Hälfte für dieses Jahr eingeplant waren. Nun gab Li Qiang bekannt, dass für dieses Jahr ein weiterer Sonderfonds von einer Billion aufgelegt werden soll und dass in den nächsten Jahren weitere folgen sollen. Sie sollen für „fiskalische Maßnahmen“ in China eingesetzt werden.

Die Rede von Li Qiang offenbart nicht nur die Dilemmas der chinesischen Regierung, sondern ihre Ratlosigkeit und – um es vorsichtig zu formulieren – einen gewissen Abstand zur Realität..



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1 Kommentar

  1. Deutsche Konzerne investieren weiterhin entsprechend in China. Der Mittelstand hingegen wird mit regulatorischen Hürden konfrontiert. Ein Thema für das Politisches Präsidium der Kommunistische Partei Chinas.

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