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Was stimmt, was stimmt nicht? China und seine manipulierten Statistiken

Manipulation und Wahrheit

China Statistiken
Foto: Pixelshunter - Freepik.com

Obwohl Statistiken aus China oft als unzuverlässig gelten, eröffnet ein tieferer Blick in die Zahlen der Automobilindustrie eine faszinierende Perspektive auf die wirtschaftliche Dynamik des Landes.

China: Zwischen Skepsis und Verständnis: Die Dechiffrierung chinesischer Automobilstatistiken

In den letzten Tagen habe ich zwei Artikel über das Rattenrennen in der chinesischen Automobilindustrie geschrieben. Diese Artikel möchte ich zum Anlass nehmen, das Thema „chinesische Statistiken“ näher zu beleuchten. Es gibt ja immer wieder Stimmen, die sagen, Statistiken aus China könne man ohnehin nicht glauben. So einfach ist es jedoch nicht. Man kann mit den Statistiken durchaus arbeiten, wenn man weiß, worauf man achten muss.

In Bezug auf den Automobilsektor gibt es eine Vielzahl an Statistiken. Dies ist auf mehrere Ursachen zurückzuführen: Autos sind eine hochemotionale Angelegenheit. Entsprechend viele Menschen interessieren sich tiefer für die Industrie. Auch in anderen Ländern ist der Automobilsektor ein wichtiger Indikator für die grundlegende Stimmung, und für China im Besonderen gilt, dass der Automarkt einer der Industrien ist, über die Aussagen zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) getroffen werden können.

BIP-Daten: China und das verdecktes Spiel

Für kaum ein anderes Land ist das BIP eine so politische Angelegenheit wie für China. Der implizite chinesische Gesellschaftsvertrag, insbesondere seit 1989, sieht vor, dass die Bevölkerung der Kommunistischen Partei die politische Bühne überlässt, während die Partei dafür sorgt, dass die Bevölkerung am wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben kann. Somit ist die Höhe des Wachstums des BIP eine grundlegende Legitimationsgröße für die kommunistische Partei. Dabei liegt die magische Grenze bei 5% Wirtschaftswachstum pro Jahr. Eine Faustregel besagt, dass 5% Wachstum notwendig sind, um die neu auf den Arbeitsmarkt strömenden Absolventen von Schulen und Universitäten sowie diejenigen Arbeitnehmer, die durch den Produktivitätsfortschritt ihren Job verloren haben, wieder in Lohn und Brot zu bringen.

Dies erklärt, warum die Jugendarbeitslosenquote mit ca. 20% im letzten Jahr so einen großen Raum eingenommen hat. Sie lässt vermuten, dass das Wachstum in China geringer war als 5%, und die Zahlen zum BIP manipuliert waren. Wobei das Wirtschaftswachstum auch nur bedingt aussagekräftig ist. Oder wie es Jörg Wuttke, der ehemalige Vorsitzende der Europäischen Handelskammer in China, neulich in einem Interview ausdrückte: „Man kann viel produzieren, aber kein Geld machen.“

Dabei bestreitet die Partei noch nicht einmal, dass die Angaben zum Wirtschaftswachstum immer mal wieder angepasst wurden. Zu Beginn des Aufschwungs in den 80ern war das Wirtschaftswachstum in China so stark, dass die Zahlen nach unten korrigiert wurden. Vor allem deswegen, weil den Machthabern durchaus klar war, dass es in einer fernen Zukunft Zeiten geben wird, in denen eine Wachstumsrate jenseits von 20% nicht erreichbar sein wird. In Zeiten, in denen es wirtschaftlich nicht so gut lief, wurden die Zahlen nach oben korrigiert. Dies hatte drei Gründe: Erstens, um die Stimmung in der Bevölkerung zu heben, zweitens als außenpolitisches Signal und drittens, um die Legitimität der Partei nicht in Frage zu stellen.

In einem vertraulichen Bericht des US-Außenministeriums äußerte Li Keqiang 2007, zu jener Zeit Parteisekretär der Provinz Liaoning, gegenüber einem amerikanischen Botschafter seine Bedenken bezüglich der Genauigkeit der offiziellen BIP-Daten von Liaoning. Er gab an, dass er stattdessen drei alternative Wirtschaftsindikatoren bevorzugte: das Frachtvolumen der Eisenbahnen, den Energieverbrauch und das Volumen der von den Banken vergebenen Darlehen. Natürlich erfuhren auch chinesische Beamte von den alternativen Indikatoren, was bedeutet, dass diese auch entsprechend „korrigiert“ wurden.

Dabei sollte man sich vor Augen halten, dass es in China zwei Berichtswege gibt: Die „offiziellen“ Zahlen, wie sie das Nationale Statistikbüro oder der Zoll veröffentlichen, und das interne Berichtswesen der Kommunistischen Partei. Unter Xi Jinping scheinen immer weniger Beamte Zugriff auf diese internen Zahlen zu haben, und es lässt sich zumindest vermuten, dass die internen Zahlen ebenfalls stärker angepasst wurden als früher.

China und seine Statistiken: Analyse des Unsichtbaren

Wie geht man nun als Autor oder Analyst mit Fokus auf China damit um? Nun, ein Schritt ist, die Konsistenz der Zahlen zu überprüfen. Wenn das BIP steigt, aber z.B. die Stromproduktion bzw. der -verbrauch nicht im gleichen Maße steigt, gibt es zumindest einen Hinweis, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Ein anderer Weg ist, die Zahlen verschiedener Quellen zum selben Thema zu vergleichen. Ein typisches Beispiel ist der Außenhandel, der sich nicht nur im Zoll, sondern auch bei der SAFE, der chinesischen Devisenkontrolle, widerspiegelt. Dort müssen alle Zahlungen, die ins Ausland gehen bzw. vom Ausland kommen, genehmigt werden. Dass die Zoll- und SAFE-Statistik voneinander abweichen, ist einer ganzen Reihe von Gründen geschuldet, wie z.B. dass Zoll und SAFE zu unterschiedlichen Zeitpunkten Zahlungen fakturieren oder dass der deklarierte Warenwert beim Zoll nicht mit den in den Verträgen festgelegten Summen übereinstimmt. Weichen die Zahlen aber zu weit voneinander ab, kann dies ein Indiz dafür sein, dass eine der beiden Statistiken nicht stimmt (und vermutlich ist dies meist die Zollstatistik).

Ein anderes Problem sind Statistiken, die verschwinden. Bekanntestes Beispiel ist die Statistik zur Jugendarbeitslosigkeit, die Mitte letzten Jahres nicht mehr veröffentlicht wurde. Aber auch in der Automobilindustrie wird die Datenqualität schlechter. Grundsätzlich stehen schon einmal eine Reihe von Datenquellen zur Verfügung, um die Produktion, den Verkauf und Export von Autos zu verfolgen. So veröffentlichen die beiden Verbände, die China Association of Automobile Manufacturers (CAAM) und China Passenger Car Association (CPCA), monatliche Statistiken. Ebenso gibt die China Automobile Dealers Association (CADA) Zahlen über die Autoverkäufe heraus. Ebenso veröffentlichen die Zulassungsstellen die Statistiken, wie viele Autos angemeldet werden. Allerdings kann es in China gerade bei Verbrennern Monate dauern, bis ein gekaufter Wagen auch zugelassen ist, weil der Halter kein Kennzeichen ersteigern konnte. Zusätzlich stehen für den Export noch die Zahlen des chinesischen Zolls zur Verfügung.

Der Teufel steckt wie immer im Detail: Beide, die CAAM und die CPCA, geben monatlich eine Zusammenfassung heraus, die CPCA zu Monatsanfang, die CAAM zur Monatsmitte. Allerdings verzichtet die CPCA gleich ganz darauf, die vollständige Statistik der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, die CAAM hatte bis Mitte letzten Jahres alle Angaben auf ihrer Homepage zur Monatsmitte des Folgemonats veröffentlicht. Mittlerweile vergehen 2-4 Monate, bis die Zahlen vorliegen. Wahrscheinlich ist es überflüssig zu sagen, dass sämtliche Angaben aller beteiligten Stellen voneinander abweichen. Der Unsicherheitsfaktor liegt bei etwa 200.000 Autos pro Monat, also etwa 10%.

China und sein Zahlenwerk: Tiefer blicken, mehr erkennen

Chinesische Statistiken mögen zwar durchaus unzuverlässige Datenquellen sein, doch bei genauerer Betrachtung offenbaren sie ein komplexes Bild wirtschaftlicher Entwicklungen in China. Es bedarf einer sorgfältigen Analyse und eines kritischen Blicks, um die Muster und Trends zu erkennen, die sich hinter den offiziellen Zahlen verbergen. Ein tieferes Verständnis der zugrundeliegenden Faktoren und der Kontextualisierung der Daten ermöglicht es, fundierte Rückschlüsse zu ziehen und die wirtschaftliche Realität Chinas besser zu erfassen. So wird aus scheinbarer Unzuverlässigkeit ein Werkzeug, das, richtig eingesetzt, wertvolle Einblicke gewähren kann.



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6 Kommentare

  1. Ich freue mich auf das weitere Teil, wo es dann hoffentlich konkret wird.
    Beispiele, Erklärung, warum so oder so…

    1. @Jan
      ich habe, glaube ich, am Beispiel der Autoindustrie sehr deutlich ausgeführt, wie die Entwicklung ist.
      Zum Warum? gibt es mehrere Antworten und einige davon habe ich benannt:
      Die Höhe der Jugendarbeitslosigkeit offenbart, dass der Gesellschaftsvertrag mit der Jugend nicht mehr eingehalten werden kann. Sie lässt fernen den Schluss zu, dass das BIP keine 5% erreicht hat. Das sind die beiden offensichtlichen Gründe, warum diese und auch andere Statistiken verschwinden oder verschwunden sind.
      Je mehr Daten verfügbar sind, umso leichter sind die Angaben zu korrelieren. Also verschwinden die Zahlen. Problem gelöst.

  2. Das Recht auf wirtschaftliche Entwicklung ist ein Menschenrecht.

    1. @Holger Voss
      Niemand spricht China das Recht ab, sich wirtschaftlich zu entwickeln. Was Sie hier tun, ist ein Strohmann aufzubauen und mir, dem Autor, etwas vorzuwerfern, was er nie behauptet hat. In meinem Artikel geht es schlicht um die Frage, wie China-Experten und -Analysten mit chinesischen Statistiken umgehen. Ich wäre sehr dafür, wenn wir diese Art der „schwarzen Rhetorik“, wie auch den whataboutism, der regelmäßig unter meinen Artikeln zu finden ist, beiseite legen. Dies würde der Qualität der Diskussion in diesem Forum gut tun, finden Sie nicht auch?

      Wenn wir aber über das Recht auf wirtschaftliche Entwicklung reden, dann sollten wir auch über die Art und Weise, wie dieser Zustande kommt, reden, womit wir sehr schnell beim Plain Level Field ankommen. Es ist wie bei der Toleranz auch: Wenn wir unfaire Marktzugangsbedingungen akzeptieren, aber unseren Markt offen halten, werden unsere Hersteller ein Problem bekommen. Die Solar- oder Windenergiesektoren haben uns gezeigt, wie schnell diese Industrien bei uns kaputtgegangen sind, wenn ein Marktteilnehmer mit sehr unfairen Mitteln spielt.

      Ein Menschenrecht ist ein Recht des Individuum gegenüber dem Staat, nicht eines Staates gegenüber einem anderen Staat. Für mich ist die Diskussion um „China“ und „Menschenrechte“ schon da beendet, wo die Polizeistation weiss, wann ich meine Wohnung verlasse. Falls Sie einmal sehen wollen, wie so was ungefähr aussieht, empfehle ich Ihnen diese Reportage: https://youtu.be/ZpZ2NF_MOKE?si=rje2M6KxVatLmLZl.

  3. Before 1977, China already have build up many industries that serve local needs and using old Soviet technology which cannot compete globally. China already has shipbuilding, steel mills, auto, clothing, aircraft, chemical industries etc. which are not competitive during Mao leadership.

    China play dirty in manipulating their Yuan in 1995.
    When China open up her economy from 1978-1989, China economy was doing not that well and almost collapsed in 1988.

    Before 1999, most of the America MNC supply chain are from Malaysia, Thailand, the Philipines, Mexico, etc.
    China cannot compete with the South East Asia countries in 1993 when US$ 1 = 5.5 Yuan.
    So China leaders under cut the world by depressing the Yuan severely in 1995.
    1995, $1 = 8.9 Yuan
    1990, $1 = 4.8 Yuan
    If $ 1 = 5.5 Yuan, all Chinese exporter bankrupt.

  4. An FMW-Finanzjournalist Doi Ennoson: Ihre Interpretation meiner obigen Aussage bleibt Ihnen selbstverständlich unbenommen.

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