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Zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt am Scheideweg Deflation in China: Wann greift Peking ein?

Parallele zu Japan

China Deflation was tut Peking
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China, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, steht am Scheideweg. Seit Monaten mehren sich die Anzeichen, dass das Land in eine Deflation abgleitet, ein Zustand, in dem Preise über einen längeren Zeitraum sinken und damit die wirtschaftliche Aktivität lahmlegen. Während die Inflation in den meisten großen Volkswirtschaften ein dominierendes Problem bleibt, kämpft China mit der Gefahr von fallenden Preisen. Diese Entwicklung bedroht das Wirtschaftswachstum und verschärft die bestehenden strukturellen Probleme des Landes. Die Frage lautet: Wann wird Peking energische Maßnahmen ergreifen, um die Deflation zu bekämpfen?

Schwächelnde Nachfrage und sinkende Preise in China

Im August stiegen Chinas Verbraucherpreise (CPI) nur um 0,6%, ein geringfügiger Steigerung gegenüber 0,5% im Juli. Auf den ersten Blick könnte dies als Zeichen für eine Erholung der Inlandsnachfrage interpretiert werden, aber ein genauerer Blick zeigt, dass der Anstieg größtenteils dass der Anstieg hauptsächlich auf gestiegene Lebensmittelpreise zurückzuführen ist. Die sogenannte Kerninflation, die volatilen Posten wie Lebensmittel und Energie ausklammert, erreichte im August den niedrigsten Stand seit über drei Jahren. Dies deutet darauf hin, dass der Preisdruck in vielen Teilen der chinesischen Wirtschaft nachlässt, was auf eine deflationäre Tendenz hinweist.

Analysten sind sich einig, dass China weiterhin in einer Deflationsphase steckt. Einige befürchten, dass diese Phase in eine gefährlichere Phase übergehen könnte, was das Risiko erhöht, dass die Deflation außer Kontrolle gerät. Der ehemalige Gouverneur der Volksbank von China, Yi Gang, äußerte am letzten Freitag auf dem Bund-Gipfel in Shanghai öffentlich, dass Peking sich darauf konzentrieren müsse, die Deflation zu bekämpfen. In einer überraschend offenen Rede betonte er, dass die schwache Inlandsnachfrage, insbesondere auf der Konsum- und Investitionsseite, dringende fiskalische und monetäre Maßnahmen erfordere.

Die Risiken einer Deflation für Chinas Wirtschaft

Die Deflation birgt erhebliche Risiken für die chinesische Wirtschaft. Sinkende Preise könnten dazu führen, dass Haushalte ihre Ausgaben weiter reduzieren, in der Erwartung, dass die Preise noch weiter fallen. Dieser Rückgang der Konsumnachfrage hätte schwerwiegende Auswirkungen auf Unternehmen, die mit sinkenden Einnahmen und damit verbundenen Gehaltskürzungen und Entlassungen konfrontiert wären. Die Gefahr eines Teufelskreises, in dem sinkende Einkommen zu geringeren Ausgaben führen und das Wirtschaftswachstum weiter verlangsamen, ist real.

Ein weiteres Problem ist die Verschuldung, insbesondere auf kommunaler Ebene. In den letzten Jahren haben lokale Verwaltungen in großem Umfang Kredite aufgenommen, um Infrastrukturprojekte und andere Investitionen zu finanzieren. Doch viele dieser Investitionen haben nur begrenzten wirtschaftlichen Nutzen gebracht. Die sinkenden Preise verschärfen dieses Problem, da die Verschuldung in Relation zur Wirtschaftsleistung weiter zunimmt. Derzeit beträgt das Total Social Financing, also die Summe aller Finanzierungen durch das Finanzsystem an die Realwirtschaft, etwa 330% des Bruttoinlandsprodukts.

Was China von Japans Deflation lernen kann

Ein entscheidender Punkt in der Debatte um Chinas Deflation ist die Parallele zu Japan, das über Jahrzehnte hinweg mit einer ähnlichen Situation kämpfte. Die Deflation in Japan begann in den 1990er Jahren nach dem Platzen der Immobilienblase und setzte sich über 15 Jahre hinweg fort. Japans Wirtschaft stagnierte trotz zahlreicher Versuche, die Nachfrage zu beleben, durch massive Geldspritzen und fiskalische Maßnahmen.

Der Vergleich zwischen China und Japan ist nicht nur lehrreich, sondern auch beunruhigend. Beide Länder sind Volkswirtschaften, die stark von Exporten und Investitionen abhängig sind und in denen der private Konsum im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) vergleichsweise gering ist. In Japan führte die Deflation zu einem Rückgang der Konsumausgaben, da die Verbraucher den Kauf von Waren aufschoben, in der Erwartung, dass die Preise weiter fallen würden. Diese Zurückhaltung stürzte die Unternehmen in eine Krise, die Produktion wurde reduziert, und Entlassungen verschärften die Lage weiter.

Der ehemalige Gouverneur der Bank of Japan, Haruhiko Kuroda, der auf dem selben Bund-Gipfel wie Yi Gang sprach, betonte, dass eine lang anhaltende Deflation – selbst wenn sie moderat ist – vermieden werden muss. Japans Erfahrung zeigt, dass es extrem schwierig ist, sich aus einer Deflationsspirale zu befreien, wenn diese erst einmal eingesetzt hat.

China: Das Wachstumsmodell und die Deflationsgefahr

Ein zentraler Punkt in der Debatte um Chinas Deflation ist die Frage, warum Peking so zögerlich ist, energischere Maßnahmen zur Stärkung der Inlandsnachfrage zu ergreifen. Ein Blick auf das chinesische Wirtschaftsmodell gibt Hinweise auf die Gründe. Chinas Wachstumsstrategie der letzten Jahrzehnte basierte auf einer massiven Überinvestition in Infrastruktur, Immobilien und Produktion. Dieses Modell hat das Land zur „Werkbank der Welt“ gemacht, führte aber gleichzeitig zu einer schwachen Konsumnachfrage im Inland.

Der Konsum trägt in China lediglich 53 bis 54% zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei, während Investitionen 42 bis 43% ausmachen. Zum Vergleich: In den meisten entwickelten Volkswirtschaften, darunter die USA und Europa, liegt der Konsumanteil bei etwa 70 bis 75%. Viele Experten, darunter Michael Pettis, Professor an der Peking-Universität, argumentieren, dass das geringe Konsumniveau ein strukturelles Problem ist, das eng mit dem chinesischen Wirtschaftsmodell verknüpft ist. Die Frage lautet daher: Kann Peking den Konsum steigern, ohne das gesamte Wirtschaftsmodell in Frage zu stellen?

Warum Peking zögert

Pekings Zögern, die Inlandsnachfrage zu stärken, ist sowohl ideologisch als auch praktisch begründet. Eine Möglichkeit, den Konsum zu steigern, wäre eine Erhöhung der staatlichen Ausgaben zur Unterstützung der Haushalte. Anfang Juni warnte der amerikanische Ökonom Paul Krugman in einem Bloomberg-Interview öffentlich, dass Chinas Führung bizarrerweise nicht bereit sei, mehr Staatsausgaben zur Unterstützung der Verbrauchernachfrage anstelle der Produktion zu verwenden. Diese Zurückhaltung liegt nicht nur daran, dass Peking das Schuldenwachstum bremsen möchte, sondern auch daran, dass das bisherige Wirtschaftsmodell auf massiven Investitionen und Exporten basiert. Doch ohne signifikante Maßnahmen, um die Konsumnachfrage zu stärken, könnte die Deflationsgefahr weiter zunehmen.

Eine nachhaltigere Lösung wäre eine grundlegende Umverteilung der Ressourcen, sodass das Haushaltseinkommen schneller wächst als das BIP. Dies würde jedoch bedeuten, dass andere Sektoren – wie Unternehmen oder lokale Regierungen – auf einen Teil ihrer Ressourcen verzichten müssten. Da Chinas Wettbewerbsfähigkeit in der Herstellung eng mit den bisherigen Investitionen verknüpft ist, könnte dies kurzfristig zu wirtschaftlichen Verwerfungen führen.

Die Parallelen zu Japan mahnen zur Vorsicht: Ein Zögern in der Deflationsbekämpfung könnte China in eine ähnliche, langwierige Stagnation führen. Kurzfristig könnte die chinesische Regierung durch fiskalische und monetäre Maßnahmen, etwa Steuersenkungen oder direkte Finanzhilfen, den Konsum ankurbeln. Doch ohne eine grundlegende wirtschaftliche Neuausrichtung, die den Konsum stärkt und Investitionen reduziert, bleibt die Gefahr einer anhaltenden Deflation bestehen.

Japan ist ein mahnendes Beispiel dafür, wie schwierig es sein kann, sich aus einer Deflationsspirale zu befreien. Kurzfristig könnten fiskalische und monetäre Maßnahmen helfen, die Deflation abzumildern, doch ohne tiefgreifende Reformen wird die Gefahr einer anhaltenden wirtschaftlichen Stagnation weiterbestehen. Viele Beobachter fragen sich: Wann wird Peking den Mut aufbringen, die Deflation nachhaltig zu bekämpfen?



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1 Kommentar

  1. Rezession und Deflation sind gesunde Prozesse, um schwache Unternehmen aus dem Markt zu nehmen. Nach der Bereinigung kommt wieder eine Wachstumsphase. Die Chinesen werden aus dieser Phase wieder gestärkt herauskommen, während bei uns oder den Amis alles wieder mit billigem Geld gerettet werden wird.

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