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Die große Wende? EZB-Falken wollen Anfang 2023 mit Schrumpfung der Bilanz beginnen

Die EZB könnte bereits Anfang 2023 damit beginnen ihre auf 8,77 Billionen Euro angeschwollene Bilanz zu schrumpfen.

Die Zentrale der EZB in Frankfurt

Seit Jahren ist die Bilanz der EZB immer weiter gestiegen, regelrecht explodiert. Schauen wir den folgenden Chart. Seit dem Jahr 2000 sehen wir eine Ausweitung von 780 Milliarden Euro auf jetzt 8,77 Billionen Euro. In den Jahren nach der Finanzkrise 2008 flutete man die Märkte mit „gedrucktem“ Geld und das Aufkaufen von Staatsanleihen. Und dann ab 2020 beschleunigte sich dies nochmal wegen der Coronakrise. Nun aber steht die große Kehrtwende an? Wenn dem europäischen Kapitalmarkt damit nach einer endlos erscheinend langen Phase der Geldschwemme Liquidität entzogen wird, wäre dies sehr negativ für Assetklassen, die auf hohe Liquidität angewiesen sind, um zu expandieren?

Entwicklung der Bilanzsumme der EZB seit dem Jahr 2000

EZB-Falken wollen bald anfangen Bilanz zu schrumpfen

Jüngste Berichte zeigen, dass schon bald die Schrumpfung der EZB-Bilanz beginnen könnte. Die Falken unter den Ratsmitgliedern der EZB wollen informierten Kreisen zufolge schon Anfang 2023 mit dem Abbau des 5,1 Billionen Euro schweren Bergs an Wertpapieren beginnen, die die Notenbank angehäuft hat, so berichtet es aktuell Bloomberg. Primäres Instrument der Geldpolitik sollen indessen die Zinsen bleiben.

Unter einigen EZB-Ratsmitgliedern zeichnet sich den Angaben zufolge ein Konsens darüber ab, dass die Schrumpfung der Bilanz im Hintergrund ablaufen sollte, während sich die EZB auf die Zinssetzung konzentriert. Das würde eine Entscheidung über ein Rahmenprogramm erfordern, das nach einer gewissen Zeit dann überarbeitet werden könnte, wie mit den Erwägungen vertraute Personen Bloomberg berichteten.

Wie das ablaufen könnte

Zur Bilanzverkürzung zögen es die Währungshüter vor, Anleihen abreifen zu lassen, nicht sie zu verkaufen. Völlig ausgeschlossen werde jedoch auch diese Option nicht, hieß es. Die EZB-Falken können sich auch vorstellen, in einem gewissen Umfang weiter zu reinvestieren, um das Tempo des Abbaus zu dämpfen. Ein EZB-Sprecher wollte sich nicht zu den Plänen äußern.

Die Falken geben bei der EZB seit Anfang Juni effektiv den Ton der Geldpolitik vor. Die Debatte über eine mögliche Strategie für die so genannte quantitative Straffung begann letzte Woche bei einem Treffen in Zypern, wie der luxemburgische Zentralbankchef Gaston Reinesch am Mittwoch in einem Blogbeitrag schrieb.

Blick auf mögliche Probleme

Die Frage, wie die EZB mit der Veräußerung der Anleihen beginnen soll, die sie über mehrere Jahre hinweg im Rahmen von Stimulusprogrammen erworben hat, gilt als heikel. Eine restriktivere Gangart bei der Geldpolitik könnte die Probleme mit Italiens Staatsverschuldung verschärfen. Im Juni hatte ein Abverkauf von italienischen Bonds die EZB gezwungen, ein neues Instrument zur Krisenbekämpfung zu entwickeln (Transmission Protection Instrument). Das erlaubt es den Währungshütern mit den Zinsanhebungen zur Inflationseindämmung fortzufahren.

Die Turbulenzen auf den Finanzmärkten, mit denen die Bank of England in den letzten Wochen konfrontiert war, haben gezeigt, wie der Bilanzabbau auch schief gehen kann. Der niederländische Gouverneur Klaas Knot hatte aber diese Woche darauf hingewiesen, dass die EZB anders als die BoE nicht aktiv verkaufen muss, sondern das Portfolio abreifen lassen kann.

Einig sind sich die EZB-Räte darüber, erst mit der Schrumpfung der Bilanz zu beginnen, wenn sie ein Zinsniveau erreicht haben, das als neutral angesehen wird, die Konjunktur also weder ankurbelt noch dämpft. Dieses Niveau könnte bereits im Dezember erreicht werden.

“Es stellt sich natürlich die Frage, wie die Nettokäufe von Vermögenswerten, die jetzt gestoppt wurden, wieder rückgängig gemacht werden sollen: mit welchem Zeithorizont, in welchem Tempo”, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Mittwoch. “Das ist eine Diskussion, die wir begonnen haben und die wir fortsetzen werden.”

FMW/Bloomberg/Chart TradingView



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5 Kommentare

  1. Ich glaube eher, dass mit diesen angekündigten Maßnahmen nur versucht wird, sich bis ins nächste Frühjahr „zu retten“.
    Genau so unrealistisch, wie in den nächsten Jahren den Anteil der etwa 6 % Energien aus Erneuerbaren, auch nur auf 50 % zu erhöhen. Praktisch die Anstrengungen der letzten 20 Jahre, in den nächsten Jahren etwa verzehnfachen.
    Und dann wäre auch nur etwa die Hälfte erreicht.
    Aber es gibt Menschen deren Glauben daran sehr stark ist.
    Wir werden sehen was kommt.

    Viele Grüße aus Andalusien Helmut

    1. Der Brexit war halt doch nicht so die ganz geniale Idee.
      Auch wenn mir jetzt einige ein paar Krall‘s und Friedrich‘s um die Ohren hauen werden (was mir wurscht ist), ich lebe doch lieber in einer Staatengemeinschaft wie der EU, als allein auf weiter Flur wie GB oder Argentinien.
      Ob Personen oder Staaten: Alleinstehende gehen als Erste unter. Das war/ist in allen Konflikten und Krisen so. Die Familie überlebt leichter.

      1. Sehe ich anders. Mehr ist besser, wenn es sich bei dem „Mehr“ um einen Gewinn handelt. Mehr ist schlechter, wenn es eine Belastung ist.

        Also hier; fünf gut geführte Länder in einem funktionalem Verbund haben Vorteile gegenüber einem Land allein, wenn man die jeweils gleiche „Größe“ unterstellt. Aber fünf von Deppen drangsalierte Länder in einem dysfunktionalem Verbund sind im Nachteil.
        Hinzu kommt die Gruppendynamik, die insgesamt eher als Malus zu bewerten ist. („Am stärksten ist der Mächtige allein.“)

        Für die Briten kommt es darauf an, ob sie ihren größeren Handlungsspielraum sinnvoll nutzen, oder nur noch mehr Unfug zu verzapfen, als wir hier. Im Moment sieht es aber ganz danach aus, als ob sie es schaffen, uns zu toppen.

        Dann bleibt ihnen aber immer noch der Vorteil, dass sie ihre eigene Regierung kassieren können und es besser machen können. Das ist in der EU nur durch einen EXIT möglich.

  2. Verkaufen der Staatsanleihen ist für die EZB wahrscheinlich der Harakiri. Gekauft wurden die Anleihen weit über Par, verkaufen müssten sie jetzt weit unter Par . Das würde die bereits jetzt tiefrote Bilanz der EZB weiter gen Süden schicken. Nur nebenbei, seit über einem Jahr kauft niemand mehr italienische Staatsanleihen außer die EZB. Der Punkt nähert sich, an dem die EZB zur Lachnummer wird – ein Unglück für Sparer ohne tangible assets. Die verantwortungslosen Politiker aller Couleur lassen Grüßen. Das lieber in der Staatengemeinschaft leben dürfte sich bald relativieren.

  3. Haben denn die Spekulationen der Idiotenbänker etwas mit dem Brexit zu tun ? Immerhin haben die Engländer die höchsten Börsenkurse, der Footse 100 nur 15% vom ATH. Wer immer noch EU – Fan und Euro- Fan ist soll die Gemeinschaft noch geniessen bevor sie von den Amis ausgehungert wird. Ich wette , dass GB in 5 Jahren besser dasteht als der nicht mehr existierende EU Hühnerhaufen.
    Die Familie überlebt leichter: Sind denn nicht gerade alle grossen Reiche untergegangen ?

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