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Ökonomen bewerten die Lage EZB muss die Zinsen schneller senken – Wirtschaft vor der Klippe

EZB muss die Zinsen schneller senken - Wirtschaft vor der Klippe
Sitz der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt. Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg

Die Europäische Zentralbank will und muss die Wirtschaft im kommenden Jahr durch schnellere Zinssenkungen entlasten. Andernfalls könnte die Konjunkturschwäche noch länger andauern. Die anhaltende Verlangsamung der Inflation hat die EZB zuversichtlicher gestimmt, das 2%-Ziel schneller als erwartet zu erreichen, was es den Notenbankern erleichtert, die Zinsen zu senken. Wachstum und Inflation in der Eurozone könnten schwächer ausfallen als erwartet.

EZB vor rascheren Zinssenkungen

Die Europäische Zentralbank wird die Zinsen in den kommenden Monaten schneller senken, um die Wirtschaft anzukurbeln und die Kreditkosten bis Ende 2025 auf ein Niveau zu bringen, das die Nachfrage nicht mehr bremst, so eine Bloomberg-Umfrage.

Da die Inflationsrate derzeit knapp unter der Zielmarke von zwei Prozent liegt, gehen die Analysten davon aus, dass die EZB die Zinsen in der kommenden Woche und bei jeder Sitzung bis März um einen Viertelpunkt senken wird. Danach rechnen die Befragten mit zwei weiteren Zinssenkungen – im Juni und im Dezember – um den Leitzins schließlich auf 2 % zu bringen.

Fast die Hälfte der Ökonomen geht davon aus, dass die Zinsen dann neutral sein werden, während rund zwei Fünftel erwarten, dass sie niedrig genug sein werden, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. In der letzten Umfrage wurde noch angenommen, dass der EZB-Zyklus im September 2025 bei 2,5 % endet.

Zinssenkungen: EZB dürfte die Zinsen schneller und tiefer senken
Schnellere und tiefere Zinssenkungen der EZB erwartet

Zinserwartungen der Märkte

Die Verschiebung der Erwartungen spiegelt eine ähnliche Rekalibrierung an den Finanzmärkten wider, die durch Daten ausgelöst wurde, die auf eine wackeligere Wirtschaft und eine schnellere Desinflation in der Eurozone hinweisen. Die US-Notenbank hat unterdessen ihre geldpolitische Lockerung mit einer großen Zinssenkung um einen halben Prozentpunkt eingeleitet.

„Die EZB hat ein höheres Maß an Vertrauen erreicht, das 2%-Ziel schneller als erwartet zu erreichen, was mit schnelleren Zinssenkungen auf kurze Sicht vereinbar ist“, so Hugo Le Damany und Francois Cabau von AXA Investment Managers. „Das bedeutet aber nicht, dass die EZB unter 2% gehen will, sodass sie die mittelfristigen Erwartungen steuern muss, um zu vermeiden, dass der Markt zu viele Zinssenkungen erwartet“.

Die Geldmärkte gehen zwar immer noch davon aus, dass die EZB die Zinsen nächste Woche um einen Viertelpunkt senken wird, aber ihre Überzeugung, dass eine weitere Senkung im Dezember folgen wird, hat sich abgeschwächt. Die Erwartungen für den Leitzins sind dagegen gestiegen: Die Händler sehen ihn nun bei über 2 % bis Ende nächsten Jahres, während er vor einer Woche noch bei 1,75 % lag.

Was die Bloomberg Ökonomen sagen

„Lagarde wird in der Pressekonferenz nächste Woche zweifellos viele Fragen zu den nächsten Schritten gestellt bekommen. Sie wird wahrscheinlich weiterhin betonen, dass die EZB völlig datenabhängig ist und von Sitzung zu Sitzung arbeitet. Eine weitere Senkung der Zinsen im Dezember scheint jedoch sehr wahrscheinlich. – David Powell, leitender Wirtschaftswissenschaftler für den Euroraum.

Etwa zwei Drittel der Befragten erwarten, dass die EZB am kommenden Donnerstag bekräftigen wird, dass der EZB-Rat die Geldpolitik so lange wie nötig „ausreichend restriktiv“ halten wird, um sicherzustellen, dass die Inflation mittelfristig 2 % erreicht – und dort bleibt.

Während die Inflationsrate im September zum ersten Mal seit 2021 unter 1,8 % sank, haben die EZB-Beamten davor gewarnt, dass er in den kommenden Monaten wieder ansteigen wird, zumal der Druck im Dienstleistungssektor weiter anhält.

„Angesichts der anhaltend hohen Löhne und des nach wie vor angespannten Arbeitsmarktes sowie der Ungewissheit über die Entwicklung im Dienstleistungssektor im nächsten Jahr wird die EZB unserer Meinung nach vorsichtig bleiben“, so Fabio Balboni von HSBC. „Auch wenn wir erwarten, dass die EZB das Tempo der Zinssenkungen in den nächsten Sitzungen beschleunigen wird, bleibt die Unsicherheit über die Landezone für die Inflation im nächsten Jahr bestehen.“

Die EZB-Prognosen vom letzten Monat zeigten, dass das Inflationsziel im letzten Quartal 2025 erreicht werden würde. Seitdem, so die Ökonomen, haben sich die Abwärtsrisiken aufgetürmt. Eine knappe Mehrheit – 55 % – ist der Ansicht, dass die Gefahr, dieses Ziel mittelfristig zu unterschreiten, nun größer ist als das Überschreiten.

Viele Befragte gaben jedoch zu bedenken, dass eine Rückkehr zu 2 % noch nicht gesichert ist.

Wirtschaft: Abwärtsrisiken für das Wachstum

Zwar gibt es auf dem Arbeitsmarkt Anzeichen für eine Entspannung, aber die Arbeitslosigkeit bleibt auf einem Rekordtief. Auch die Löhne steigen immer noch in einem gesunden Tempo, was zeigt, dass der Druck auf die Löhne und Gehälter nicht so schnell nachlassen wird. Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Deutschland streben eine Erhöhung um 8 % an, selbst wenn die Wirtschaft des Landes ein zweites Jahr lang schrumpft.

Die größte Herausforderung für die EZB besteht weiterhin darin, die Abwärtsrisiken für das Wachstum – die sich zuletzt verschärft haben – mit dem anhaltenden Inflationsdruck durch das hohe Lohnwachstum in Einklang zu bringen“, so Bill Diviney, Senior Economist für die Eurozone bei ABN Amro. „Aber die Risikobilanz scheint sich eindeutig in Richtung Wachstumssorgen verschoben zu haben.“

Geopolitik und US-Wahlen sind die größten Risiken für die Euro-Wirtschaft
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In der Tat schwindet die Hoffnung auf eine Erholung der Haushaltsausgaben und der Investitionen sowie auf eine Belebung des Welthandels. Darüber hinaus sehen die Umfrageteilnehmer die größten Risiken für die Wirtschaft der Eurozone in den geopolitischen Spannungen und der möglichen Rückkehr von Donald Trump als Präsident der USA.

Vor diesem Hintergrund ist Andreas Koutras, Chief Risk Officer von AlphaTerra Capital, der Ansicht, dass die EZB „hinter der Kurve“ ist.

Er gehört zu den 49 % der Ökonomen, die voraussagen, dass die Zinsen die Wirtschaft bis Ende 2025 weder stimulieren noch einschränken werden. Die Mehrheit sieht den neutralen Zinssatz – der nur geschätzt werden kann und nicht messbar ist – zwischen 2 % und 2,25 %.

Wirtschaft der Eurozone schwächelt - Zinsen müssen schneller sinken
Bis Ende 2025 werden die EZB-Zinsen…

Große Unsicherheit

Die Fragilität der Wirtschaft in der Eurozone „unterstützt Argumente für eine schnellere Lockerung“, sagte Dennis Shen, ein Ökonom bei Scope Ratings.

Aber es gibt „erhebliche Unsicherheiten“ über die nächste Woche hinaus. In den USA geht es um die Entwicklung der Wirtschaft, das weitere Vorgehen der Fed und die Besetzung des Weißen Hauses. Andernorts könnten die eskalierenden Spannungen im Nahen Osten die Energiepreise in die Höhe treiben.

„Die Inflation ist alles andere als besiegt“, so Shen. „Das sollte die EZB dazu zwingen, bei ihren Zinssenkungsentscheidungen vorsichtig zu bleiben.

FMW/Bloomberg



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3 Kommentare

  1. Gegen ideologische Verblendung und Menschen die diese Beeinflussung in ihren Köpfen zulassen helfen auch keine Zinssenkungen mehr. Und auch keine Parteien. Regean:“Goverment is not the Solution, Goverment is the Problem“. In meinen Augen ist das völlige Zeitverschwenung sich mit den Talkshows uvm. der Poltik zu beschäftigen. Lenkt nur ab!

  2. Moin, moin,

    die Zinsen sind nicht das ursächliche Problem für die EU-Wirtschaft.

    Der EU-Wirtschaft fehlen m.E. die Geschäftsmodelle und die Wettbewerbsfähigkeit. Die Zinssenkung kann das Unvermeidbare nur zeitlich hinauszögen, aber nicht verhindern. Es fehlt eine echte 180 Grad Wende. Die ist aber in der BRD und am Mittelmeer nicht zu machen. Wir sind in der westlichen und südlichen EU eine Anspruchsgesellschaft geworden, warten auf Zuteilung von Geld und Befreiung von Pflichten. Das funktioniert nicht.

    Fazit: Mit chillen zum Wohlstand funktioniert nicht, da helfen auch keine Zinssenkungen

  3. Bezüglich des Wachstums der BIP und der Produktivität in Europa und vor allem in Deutschland spielen die Zinssätze der EZB eine untergeordnete Rolle. Der Green Deal gehört in die Abfalltonne, das Politikversagen hinsichtlich der strukturellen Fehlentwicklungen einschließlich Energie wären dringlich auf die Agenda zu setzen. Weder Deutschland noch Frankreich sind auf die Zeitenwende einer Präsidentschaft von Trump vorbereitet – bei diesem arrogant-verblödetem Politikergehabe könnte man vor Zorn im Quadrat springen.

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