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„Geld oder Leben“: Fratzscher und die „Die Banalität des Ambitiösen“

Wer grün wählt und dabei nicht weiter nachdenken will, wird durch Fratzschers Text echokammermäßig bestärkt

Fratzscher - Geld oder Leben
Marcel Fratzscher (Präsident DIW Berlin)Foto: Stephan Röhl

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, hat eine neues Buch geschrieben. Es erschien am 10. März. Der saloppe Titel „Geld oder Leben“ ist gerade einmal anderthalb Monate alt, gefühlt allerdings mindestens drei Jahre – so wenig passt er in die von Corona, Inflation und Ukrainekrieg gebeutelte weltpolitische Lage. Fratzschers Titel ist symptomatisch für eine akademische Klasse, die – merkwürdig unreif wirkend – um Aufmerksamkeit buhlt, und zwar um jeden Preis (in diesem Fall € 22,–).

Man will geistreich wirken und geht dabei phantasielos zu Werke. Der Buchtitel, den der maskierte Bankräuber so oder so ähnlich dem Schalterangestellten zuruft, ist eine Spielart von „Kopf oder Zahl“. Der Münzwurf ist ein Zufallsergebnis, und das ist das Buch von Marcel Fratzscher offenbar auch.

Womit wir in der tristen Wirklichkeit des Textes angekommen wären: 249 Seiten, davon 230 Seiten Fließtext, gegliedert in sieben Hauptkapiteln und 33 Unterkapiteln, die den Textkörper in leicht verdauliche Häppchen häckseln. Das von Fratzscher angerichtete intellektuelle Mahl ist kein gehobenes Drei-Gänge-Menü, sondern eher Fingerfood. Damit liegt DIW-Präsident Fratzscher freilich ganz im Trend.

Fratzscher und die Banalität des Ambitiösen

Um dem Leser einen unverfälschten Eindruck von der Lektüre zu vermitteln, zitieren wir nachstehend drei Ausschnitte. Sie stehen beispielhaft für den gesamten Text. Auf Seite 111 finden wir: „Olaf Scholz sprach Ende 2021 „von den größten Wirtschaftsreformen in hundert Jahren“, die von der Bundesregierung verlangt werden.“ Fratzscher fügt staatsmännisch hinzu: „Denn wenn sich das Land […] nicht erfolgreich auf einen Reformkurs begibt, dann droht auch ein enormer wirtschaftlicher Schaden durch den Verlust von Wettbewerbsfähigkeit und vielen guten Arbeitsplätzen und Wohlstand“.

Auf Seite 69 steht ebenfalls Bahnbrechendes: „Die Forschung zeigt, dass eine bessere Bezahlung die Loyalität der Beschäftigten erhöht und damit auch zu einem geringeren Arbeitsplatzwechsel führt. Davon profitieren die Unternehmen […]“.

Dass das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) unter seinem Präsidenten Fratzscher den innovativen Spitzen der Wirtschaftsforschung zugerechnet werden darf, wird spätestens auf Seite 219 deutlich: „So zeigt eine Studie des DIW Berlin einen erstaunlich starken Unterschied in der allgemeinen Lebenszufriedenheit zwischen Millionären und anderen Gruppen. […] Der allergrößte Anstieg der Lebenszufriedenheit trifft jedoch auf Millionärinnen und Millionäre zu.“

Man muss vermutlich ein Institut der „Leibnizklasse“ leiten (das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung gehört zur Leibniz-Gemeinschaft), um Sätze solcher Tragweite abzusondern. Die Banalität des politisch Ambitiösen trägt einen Namen: Marcel Fratzscher.

Inhalt, schwäbische Hausfrau und Sexismus

Wie soll man ein Buch inhaltlich zusammenfassen, dessen einziger Inhalt Aktualität ist? Fratzscher hat im Grunde eine Bekenntnisschrift vorgelegt. Für mehr Schulden, mehr Geld, mehr Klimaschutz, mehr Glück, mehr Lebensqualität und Diversität, mehr grüne und weniger gefühlte Inflation und noch weiteres mehr. Der Autor hält eine gemäßigte Schuldenpolitik für keinen Dammbruch (einzige Gemeinsamkeit mit Daniel Stelter).

Innerhalb des von Fratzscher umrissenen Assoziationsraums sind lockere Geldpolitik und aktivere Klimapolitik und der Glaube an beides conditio sine qua non für alles andere. Das ist weder gut noch schlecht, könnte spannend sein. Bei Fratzscher allerdings ist es lediglich meinungsstark, aber faktenarm. Fratzscher macht Mehrdimensionalität eindimensional. Wer gerne grün wählt und dabei nicht weiter nachdenken will, wird durch Fratzschers Text echokammermäßig bestärkt. Wer gerne das Altbekannte überwinden möchte und neue Wege sucht, wird bei Fratzscher hingegen nicht fündig.

Schwäbische Hausfrau und Sexismus

Mit viel Sexismus werde gern von den Tugenden der schwäbischen Hausfrau gesprochen, verkündet Fratzscher, um dieselben Tugenden gleich darauf verbal anzuprangern, diesmal (natürlich) ohne Sexismus (Seite 10). Das alles lässt den Rezensenten staunen, wie eins mit dem Zeitgeist man doch formulieren kann. Derlei Zeitgeistanbiederndes erwartet man allenfalls im Feuilleton der ZEIT (wo es ärgerlich genug ist), aber nicht vom Präsidenten eines der ehedem wichtigen Wirtschaftsinstitute des Landes. Dass Fratzscher der wirtschaftspolitische Haus-und-Hof-Lieferant von ARD und ZDF ist, offenbart ein Problem, das in den Redaktionen der Öffentlich-Rechtlichen sitzt.

Um ein Berliner Institut vor die Wand zu setzen..

Es steht zu befürchten, dass Marcel Fratzscher das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, dessen Reputation nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderem von Ferdinand Friedensburg aufgebaut wurde, erfolgreich gegen die Wand fahren wird. Als dessen Präsident kommt Fratzscher mit der wissenschaftlichen Bugwelle eines Ozeanriesen daher. Dabei sitzt er in einem Schlauchboot.

Nur am Rande bemerkt: Es ist nicht Fratzschers Schuld, dass er 2013 zum Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung berufen wurde. Das bewerkstelligte eine hochdotierte Berufungskommission. Ein Urteil über Fratzschers mangelnde Fachkompetenz ist zugleich auch ein Urteil über die Inkompetenz besagter Kommission.



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7 Kommentare

  1. Haha das liest sich ja gut. Hat er auch Anlagetipps in seinem Buch versteckt? Z.B. Sparbuch oder so?

    1. @ Sebastian

      Gute Frage.

      Dann hätte Herr Fratzscher sein Buch auch „Leben ohne Geld“ nennen können.

      Zumindest ohne Geld mit einer Kaufkraft ;-)

      1. Stimmt haha sehr gut, vielleicht ein Druckfehler? Gleich mal die Redaktion anschreiben ;)

  2. Markus Fugmann würde mit seinen Kommentaren in ARD und ZDF nicht nur die Wirtschaftsredaktion ad absurdum führen, sondern gleich dazu mit die politischen Redaktionen. Dann könnte nur mehr Micky Mouse gesendet werden und die Intendanten und Redakteure wären arbeitslos. Wer würde unseren Politikern noch Beifall klatschen?

    1. „Wer würde unseren Politikern noch Beifall klatschen?“ – Dank öffentlichem Staats-TV sind die Deutschen dumm – und dumme Menschen fühlen sich von Dummköpfen gut vertreten.
      »Das ist die Seuche unserer Zeit. Verrückte führen Blinde.« -aus William Shapespeares König Lear
      „Manchmal frage ich mich, ob die Welt von klugen Menschen regiert wird, die uns zum Narren halten, oder von Schwachköpfen, die es ernst meinen.“ -Mark Twain

      1. @Frido

        Das muss schon frustrierend sein, wenn man als einer der wenigen Auserwählten unter einer Millionenhorde von Dummköpfen lebt. Wenn man alles weiß und ständig warnt und am Ende doch vom unaufhaltsamen Strom der Lemminge mit in den Abgrund gerissen wird. Dann doch vielleicht lieber dumm, so hat man wenigstens bis kurz vorm Ende ein schönes Leben.

  3. 22 € sind aber sicher eine gute Investition, um den Kreislauf anzuregen. Wobei ich mich frage, ob die beispielhaft genannten Aussagen statistische Aussagekraft über den Rest der Frühstückslektüre(?) besitzen.

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