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Jährlich verlassen 2,5 Millionen Inder ihr Heimatland Indien: Abwanderung der Talente – Gefahr für Wirtschaftswachstum

Hohe Bildungs- und Lebenshaltungskosten treiben Talente ins Ausland

Indien Wirtschaftswachstum Abwanderung
Foto: Bloomberg

Indien steht vor einer großen Herausforderung: die Abwanderung von hochqualifizierten Fachkräften, oft als „Brain Drain“ bezeichnet. Als eines der bevölkerungsreichsten Länder der Welt verfügt Indien über ein rasch wachsendes Talentpotenzial, doch es fällt dem Land zunehmend schwer, seine besten Köpfe im Land zu halten.

Massive Abwanderung von Fachkräften schwächt Indien

Jährlich verlassen etwa 2,5 Millionen Inder ihr Heimatland, um dauerhaft im Ausland zu leben und zu arbeiten. Diese Abwanderung betrifft vor allem gut ausgebildete Fachkräfte, die von Ländern angezogen werden, die höhere Gehälter, bessere Arbeitsbedingungen und attraktivere Karriereaussichten bieten. Besonders begehrt sind Ziele wie die USA, Großbritannien und Deutschland. Indien bezeichnet diese Personen als „Non-Resident Indians“ (NRIs), also Personen mit indischer Nationalität oder ethnischer Herkunft, die im Ausland leben. Mit rund 35,4 Millionen Menschen bildet die indische Diaspora die größte weltweit.

Die USA beherbergen etwa 4,9 Millionen NRIs, was rund 1,4% der US-Bevölkerung entspricht. In Großbritannien sind es 1,4 Millionen NRIs (2,0% der Bevölkerung) und in Deutschland leben rund 240.000 (0,3% der Bevölkerung) Inder.

Doch die Abwanderung der gut ausgebildeten Arbeitskräfte bedeutet nicht nur eine zahlenmäßige Verschiebung; sie stellt einen tiefgreifenden Verlust für die indische Wirtschaft und Gesellschaft dar. Viele der abgewanderten Talente haben herausragende Positionen im Ausland erreicht. So werden beispielsweise Technologiegiganten wie Google und Microsoft von CEOs indischer Herkunft geleitet – ein klares Zeichen für das Ausmaß und die Tragweite des indischen „Brain Drain“.

Einer der Hauptgründe für diese Abwanderung ist das enorme wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen Indien und entwickelten Ländern. Die Hochschulbildung in Indien ist teuer, wobei die Studiengebühren oft das durchschnittliche Jahreseinkommen vieler Haushalte übersteigen. Ein vierjähriges Universitätsstudium in Indien kann mehr als 1.000.000 Rupien kosten (etwas mehr als 10,000 Euro), während Absolventen in Indien deutlich weniger verdienen als in Ländern wie Deutschland oder den USA. So verdient ein indischer Absolvent im Schnitt nur etwa 300.000 Rupien (ca. 3,200 Euro) pro Jahr, während ein Absolvent in Deutschland mehr als 40,000 Euro jährlich erhält. Diese Gehaltsunterschiede machen es für indische Studenten und Fachkräfte finanziell sinnvoll, ihre Karriere im Ausland zu suchen.

Hohe Bildungs- und Lebenshaltungskosten treiben Talente ins Ausland

Diese wirtschaftliche Belastung wird weiter verschärft, wenn man bedenkt, dass viele Familien mehr als ein Kind haben und oft unter dem Durchschnittsgehalt verdienen. Erschwerend kommen die vergleichsweisen hohen Kosten für eine akzeptable Grund- und weiterführende Schule hinzu, die sich zwischen 80.000 und 150.000 Rupien (zwischen ca. 850 – 1,600 Euro) pro Jahr bewegen können. Der immense finanzielle Druck, schnell nach dem Studium Geld zu verdienen, um diese Bildungskosten zu decken, ist für viele Familien überwältigend. Dadurch wird die Option, das Land zu verlassen und im Ausland ein wesentlich höheres Gehalt zu erzielen, umso verlockender.

Die begrenzte Anzahl an Studienplätzen an Indiens besten Hochschulen, wie den Indian Institutes of Technology (IITs) und den Indian Institutes of Management (IIMs), deren Aufnahmeraten extrem niedrig sind, verschärfen die Situation. Für viele talentierte Studierende bleibt das Studium oder Arbeiten im Ausland die einzige realistische Möglichkeit, eine vielversprechende Zukunft zu sichern.

Indien zwischen Wachstum und Brain Drain: Eine Zwickmühle

Indien steckt in einer Zwickmühle. Einerseits benötigt das Land seine gut ausgebildeten Arbeitskräfte, um Innovationen voranzutreiben, die Produktivität zu steigern und die Wirtschaft zu stärken. Andererseits kann Indien nicht mit den Gehältern und Chancen konkurrieren, die andere Länder bieten. Zwar senden viele Auswanderer Geld an ihre Familien zurück und tragen so zu den indischen Rücküberweisungen bei, doch das ist nur eine kurzfristige Lösung. Langfristig beeinträchtigt der Verlust an qualifizierten Fachkräften Indiens Potenzial für technologische und industrielle Fortschritte erheblich.

Trotz eines beeindruckenden Wirtschaftswachstums von zuletzt 7,6% bleibt Indien mit Herausforderungen wie Korruption, dem Kastensystem und Lohnungleichheit konfrontiert, die weiterhin viele Fachkräfte ins Ausland drängen.

Wenn Indien seine Talente im Land halten will, muss es diese systemischen Probleme angehen und mehr Chancen für seine qualifizierte Arbeitnehmerschaft schaffen. Andernfalls wird der „Brain Drain“ anhalten und Indien wird darauf angewiesen bleiben, seine Rolle als Dienstleistungszentrum zu spielen, anstatt sein volles Potenzial als globale Wirtschaftsmacht auszuschöpfen.



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1 Kommentar

  1. @Doi Ennoson. Danke für diese starken Informationen über Indien. Der indische Aktienmarkt hat seit dem Jahr 2000 alle großen Indizes weit in den Schatten gestellt. Der BSE SENSEX stieg bis zum 30.8. 2024 um 1432 Prozent, der S&P 500 hingegen nur um 288 Prozent, ein Kurs-DAX gleich gar nur um 38 Prozent. Es war früh klar, dass sich ein halbwegs demokratischer Emerging Market-Staat in seiner Wirtschaftsleistung vervielfachen kann, wenn jährlich 10 Millionen Studenten die Universität verlassen. Aber das pro-Kopf-Einkommen kommt in dem insgesamt noch armen Land auch irgendwann an Wachstumsgrenzen. Vor allem, wenn es den von Ihnen beschriebenen Brain Drain gibt.
    Indiens Aktienmarkt ist teuer geworden, es gibt bestimmt nicht allzu viele, die an dieser Rallye teilgenommen haben.
    Viele Grüße

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