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Wie „Künstliche Intelligenz“ als Hype eine Karibik-Insel glücklich macht

Künstliche Intelligenz ist das Hype-Thema! Die Domain-Anmeldungen auf .ai (AI auf Englisch für KI) explodieren und lassen eine Insel jubeln.

Sogar unser aller Bundeskanzler Olaf Scholz ließ sich auf Twitter gestern zitieren mit den Worten „Unnötige Vorschriften und Bürokratie sollen wegfallen, das bringt Tempo. Und wir setzen verstärkt auf KI und digitale Strukturen“. Was genau soll das bedeuten, welche Maßnahmen stehen dahinter? Er weiß es wohl selbst nicht. Hauptsache, man erzählt irgendwas von Innovation und Fortschritt – und dafür ist derzeit nun mal das Stichwort „Künstliche Intelligenz“ oder „KI“ absolut hipp und angesagt. Wer etwas auf sich hält, schmeißt derzeit mit dieser Phrase um sich. Aktuell sieht man sogar statistisch, dass Konzerne und Startups sich darum reißen, im Internet voll auf diesen Zug aufzuspringen.

Künstliche Intelligenz – für den Hype muss die passende Domain-Endung her

Hauptsache was mit KI erzählen, Hauptsache irgendwas präsentieren oder vermarkten, was mit dem Thema in Zusammenhang steht – und schon kriegt man mehr Investorengeld, höhere Aktienkurse, ein hipperes und moderneres Image? Da will, da muss man jetzt einfach dabei sein. Ein kurioser Fakt belegt diese Drang zum Hype. Künstliche Intelligenz oder KI heißt auf Englisch Artificial Intelligence oder AI. Und damit man im Internet mit diesem Thema glänzen kann, wollen sich offenkundig immer mehr Unternehmen die Domain-Endung „ai“ zulegen. Als Beispiel: Statt spiegel.de oder finanzmarktwelt.de oder handelsblatt.com würde man hinter den Punkt „ai“ setzen. Dann denkt der Besucher der Webseite nämlich, dass dieses Projekt vermutlich irgendwas zu tun hat mit diesem Thema.

AI – ein Glücksfall für eine kleine Karibik-Insel

Die Domain-Endung „ai“, die man nun mal mit dem Thema Künstliche Intelligenz assoziieren könnte, wird von der kleinen Karibikinsel Anguilla vergeben. Und eben das ist für dieses Land offenbar ein Glücksfall. Man sitzt jetzt auf einem digitalen Schatz. Anguilla, ein tropisches britisches Territorium, ist bekannt für seine Korallenriffe und weißen Sandstrände. Seit den 1990er Jahren ist es jedoch auch für die Vergabe von Internetadressen mit der Endung .ai an Einwohner und Unternehmen zuständig, die Websites registrieren möchten. Es war einer von hunderten von länderspezifischen Domain-Namen und leicht zu übersehen – bis vor kurzem.

Bloomberg schreibt dazu: Stability.ai, X.ai von Elon Musk und Character.ai sind nur einige der angesagten Start-ups im Bereich der künstlichen Intelligenz, die sich die .ai-Domäne gesichert haben, die den Inseln und Buchten Anguillas zugewiesen ist. Auch viele Tech-Giganten haben ihre eigenen Webadressen, die auf .ai enden: Google.ai und Facebook.ai leiten Besucher zu den auf Künstliche Intelligenz ausgerichteten Webseiten ihrer Unternehmen weiter, und Microsoft.ai stellt die Azure-KI-Dienste des Unternehmens vor.

Deutlicher Run auf AI-Domains

Die Gesamtzahl der Registrierungen von Websites, die auf diese beiden Buchstaben enden, hat sich laut Vince Cate, der seit Jahrzehnten die .ai-Domäne für Anguilla verwaltet, im vergangenen Jahr auf 287.432 verdoppelt. Cate schätzt, dass Anguilla im Jahr 2023 bis zu 30 Millionen Dollar an Domain-Registrierungsgebühren einnehmen wird.

Einst war .ai eine der vielen obskuren Top-Level-Domains, die Ländern und Gebieten zugewiesen wurden, und die Nachfrage nach .ai-Websites ist in den letzten Jahren langsam, aber stetig gestiegen. Doch der plötzliche Anstieg der .ai-Domänen vor neun Monaten verdeutlicht die allgemeine Begeisterung für Künstliche Intelligenz und ihre Auswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft. Seit ChatGPT ins Leben gerufen wurde, haben sich immer mehr Technologieunternehmen darum gerissen, Milliarden an Kapital zu beschaffen, Talente zu gewinnen und sich leistungsstarke, aber zunehmend knappe Chips zu sichern. Eine Domain mag weniger wichtig klingen, aber in einer Branche, die von cleverem Branding besessen ist, kann der richtige Name alles bedeuten.

„Seit dem 30. November sind die Dinge hier ganz anders“, sagte Cate und bezog sich dabei auf das Datum, an dem ChatGPT an die Öffentlichkeit ging. Cate sagte, er sei 1994 aus den USA nach Anguilla gezogen, um an einem, wie er es nannte, frühen Kryptowährungs-Zahlungssystem zu arbeiten, und begann bald darauf mit der Verwaltung der .ai-Registrierungen in Anguilla. Während die .ai-Registrierungen jahrelang zunahmen, schossen sie von Dezember bis März in die Höhe“, sagte er – sie haben sich aber seitdem wieder eingependelt.

Insgesamt ist die Zahl der bestehenden .ai-Domänen winzig, etwa im Vergleich zur Zahl der registrierten .com-Domänen. Laut Matt Zook, einem Professor an der Universität von Kentucky, der ein jahrzehntelanges Forschungsprojekt namens ZookNIC betreibt, das die Registrierung von Domänennamen in der ganzen Welt verfolgt, sind es eher 160 Millionen.

Für Anguilla ist der Hype zum Thema Künstliche Intelligenz und der Ansturm auf die Domain .ai jedoch ein großes Geschäft. Das Gebiet erstreckt sich über etwa 35 Quadratmeilen zwischen dem Karibischen Meer und dem Atlantischen Ozean und hat weniger als 20.000 Einwohner. Seine Wirtschaft hängt weitgehend vom Tourismus ab, der während der Pandemie einen Einbruch erlitt. Die gestiegene Nachfrage nach .ai-Domänen und eine geplante Preiserhöhung für solche Registrierungen sorgen nun für einen Einnahmeanstieg.

Der Preis für eine .ai-Domäne kann wie bei .com oder jeder anderen Art von Domänennamen variieren, aber Registrierstellen wie GoDaddy oder NameCheap müssen Anguilla einen Festpreis zahlen: 140 Dollar pro zweijähriger .ai-Domänenregistrierung, der Mitte April von 120 Dollar aufgestockt wurde.

Anguilla-Domain-Einnahmen dank dem Hype um das Thema Künstliche Intelligenz

Anguilla hat laut öffentlichen Aufzeichnungen im Jahr 2021 7,4 Millionen Dollar mit .ai-Domainregistrierungen eingenommen und schätzte zuvor, dass es im Jahr 2023 8,3 Millionen Dollar aus Domainregistrierungen erhalten würde. Jetzt schätzt Cate, dass Anguilla in diesem Jahr zwischen 25 und 30 Millionen Dollar einnehmen wird. „Wir übertreffen das“, sagte Cate. „Wir haben nicht mit ChatGPT gerechnet“.

Gut 1/4 der Gesamteinnahmen aus Domains

Selbst am unteren Ende dieser Spanne wären 25 Millionen Dollar fast ein Viertel der fast 107 Millionen Dollar an wiederkehrenden Einnahmen, die das Territorium laut einer Vorhersage des Finanzministeriums von Anguilla vom Dezember im Jahr 2023 einnehmen soll. Dies würde auch einen bedeutenden Prozentsatz des Bruttoinlandsprodukts des Territoriums ausmachen, das sich nach Angaben der Vereinten Nationen im Jahr 2021 auf knapp über 300 Millionen Dollar belief.

Mar Hicks, Professor für Datenwissenschaften an der University of Virginia und Historiker der Informatik, sagte, dass die steigende Popularität von .ai Sinn mache, da solche Internetdomains seit langem mit US-amerikanischen Geschäftsinteressen in Verbindung gebracht werden, wo sich der aktuelle Boom um das Thema Künstliche Intelligenz weitgehend abspielt. „Es scheint nur ein weiteres Beispiel dafür zu sein, dass wir gerade einen KI-Goldrausch erleben“, so Hicks.

Hicks geht davon aus, dass es zu einem gewissen .ai-Cybersquatting kommen wird, ähnlich wie in den Anfängen des Dot-Com-Booms in den 1990er Jahren, als einige große Unternehmen verhandeln – oder sogar klagen – mussten, um die Kontrolle über ihre Online-Namen zu erhalten. Zumindest im Moment ist es für Unternehmen oft einfacher, .ai-Domänen zu erhalten als die .com-Version.

Character.AI, mit dem jeder seinen eigenen Chatbot erstellen kann, nutzte diesen Vorteil, als es im September 2022 für seine ersten Nutzer an den Start ging. Das 2021 gegründete Startup hat sich eine Website-Adresse zugelegt, die mit dem Firmennamen identisch ist. In einer Erklärung sagte Mitbegründer und Präsident Daniel De Freitas, dass die Wahl des .ai-Domainnamens für das Unternehmen „die natürliche Wahl“ war.

Hicks glaubt, dass das Interesse an solchen Domains mit der Zeit abnehmen wird, da die Begeisterung für alles, was mit dem Thema Künstliche Intelligenz zu tun hat, nachlässt. Aber auch wenn Cate bereits Anzeichen für eine Abkühlung der Nachfrage sieht, glaubt er, dass die Registrierungen für .ai-Domänen weiter zunehmen werden. „Ich denke, dass wir in den Anfängen der künstlichen Intelligenz stehen, also denke ich, dass wir auch in den Anfängen der .ai-Domainnamen stehen“.

Künstliche Intelligenz Foto: Vecstock – Freepik.com

FMW/Bloomberg



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