Allgemein

Warum China im ersten Quartal nicht wachsen kann

Shanghai als wirtschaftliches Zentrum in China

Schaut man sich die Konsensschätzungen zur Wirtschaft in China an, dann träumen die Analysten noch von soliden Wachstumsraten. Wie realistisch ist diese Annahme?

Werbung

China steht in großen Teilen still

Die gesamte Provinz Hubai mit ca. 60 Mio. Einwohnern (EW) mit ihrer Hauptstadt Wuhan (11 Mio. EW) steht unter Quarantäne. Doch auch das Wirtschaftsleben im nur wenige Hundert Kilometer entfernten Shanghai (24 Mio. EW) ist nahezu zum Stillstand gekommen. Das Gleiche gilt für die Megastädte Peking (Beijing/ 22 Mio. EW), Chongqing (31 Mio. EW), Chengdu (16 Mio. EW), Xi’an (12 Mio. EW), Hangzhou (10 Mio. EW), Wenzhou (3,5 Mio. EW), Ningbo (8,5 Mio. EW), Taizhou (6,5 Mio. EW) sowie das von Festlandchina nun komplett abgeriegelte Hong Kong mit 7,5 Mio. Einwohnern.

Die Zahl der offiziell Erkrankten liegt mittlerweile bei 65.247 und die Zahl der Todesopfer bei 1.491. Wie hoch die Dunkelziffer der Infizierten und an dem Virus mit dem nun offiziellen Namen COVID-19 Erkrankten ist, lässt sich nur an Hand von Indizien schätzen. Dass die bisher von der Regierung in Peking verlautbarten Zahlen stimmen, davon kann man nach der jüngsten Revision der Statistiken Infizierter und Toter nicht mehr ausgehen. Zumal das chinesische Gesundheitssystem längst an die Grenzen seiner Erfassungsmöglichkeiten gestoßen ist. Fakt ist, dass die chinesische Wirtschaft gerade ihren ökonomischen Super-GAU erlebt.

Der Vergleich mit SARS hinkt gewaltig

Der Vergleich mit der SARS-Epidemie von vor 17 Jahren hinkt gewaltig. Die Zahl der Todesopfer belief sich damals auf weltweit 774, momentan sind es allein in China bereits 1.488 und weitere 3.000 Patienten befinden sich in kritischem Zustand, über 14.000 Patienten weisen starke Symptome auf.

Vor 17 Jahren boomte China mit fast 15 Prozent jährlichem Wachstum. Aktuell kämpft die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt mit einer zyklischen Abschwächung. Damals beliefen sich die wirtschaftlichen Einbußen auf gerade einmal 30 Mrd. US-Dollar. Der IWF schätzte Anfang Februar, dass der COVID-19 Schäden in Höhe von ca. 280 Mrd. US-Dollar verursachen wird. Ein Grund dafür ist die heute deutlich höhere Abhängigkeit der chinesischen Wirtschaft vom Dienstleistungssektor. Dieser macht inklusive Einzelhandel mittlerweile 60 Prozent der Wirtschaftsleistung aus und ist besonders hart von den Einschränkungen im Zuge der Bekämpfung des Virus betroffen.

Einen Vorgeschmack darauf, wie heftig der stationäre Einzelhandel aktuell belastet ist, offenbarten die heute veröffentlichten Daten zum chinesischen Autoabsatz im Januar, der gegenüber dem Vorjahr um 20 Prozent einbrach. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Neujahrsfeierlichkeiten in diesem Jahr früher stattfanden und daher die Januardaten negativ verzerrt sind. Dennoch war der Rückgang deutlich größer als von Branchenexperten erwartet. Entscheidender ist daher die Entwicklung bereinigt um diesen Feiertagseffekt und vor allem die Entwicklung im Februar: Für die beiden Monate Januar und Februar zusammen schätzt der chinesische Branchenverband CAAM, dass die Autoverkäufe um 30 Prozent zum Vorjahr einbrechen. Sollten die betroffenen Autohäuser bis Ende März geschlossen bleiben, ist gar ein Rückgang um 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal zu erwarten. Die meisten Geschäfte in den betroffenen Ballungsgebieten sind nach wie vor geschlossen, ebenso wie Fabriken und Bürokomplexe. Mit Heimarbeit ist das nicht kompensierbar.

Die unterschätzte Dimension

Die nahezu weitgehende Abschottung des Landes zu Wasser, Schiene, Straße und Luft bedeutet für verschiedene Branchen enorme Einbußen. Über den dramatischen Einbruch der See-Frachtraten hatten wir in diesem Zusammenhang bereits mehrfach berichtet. Aber auch der Tourismus, die Logistik, die Hotellerie, Messen, die Gastronomie, Kinos, Theater, Sportveranstaltungen (Formel 1 Rennen in Shanghai), Glücksspiel (Macau) und diverse andere Dienstleistungen sind massiv betroffen.

Nur wenige Unternehmen, wie zum Beispiel die Hersteller von Atemmasken und die Lieferdienste (+400 Prozent Umsatz ggü. Vorjahr) profitieren von der aktuellen Situation. Die Provinz Hubai, der Hotspot der Virus-Epidemie, ist das industrielle Zentrum Mittelchinas und läge auf der Rangliste der weltweit größten Volkswirtschaften auf Platz 45. Die Region ist wichtiger Produktionsstandort für die Automobil- und Zuliefererindustrie – auch für Pharmakonzerne.

Außerdem ist die von dem Virus stark betroffene Region ein wichtiger Standort des Motoren-, Schiffs-, Fahrzeug- und Maschinenbaus. Es gibt etliche Zementfabriken, Textilwerke, chemische Werke, Werke zur Papierherstellung, Aluminiumwerke und Brauereien. Ein Schwerpunkt der Region ist die für den Bausektor des Landes wichtige Eisenherstellung sowie die Stahlindustrie mit mehreren Walzwerken.

Die Hauptstadt Wuhan ist ein bedeutender Verkehrsknotenpunkt. Die Stadt direkt am für China bedeutenden Wasserweg Yangtse liegt geografisch fast genau in der Mitte zwischen den Megastädten Peking im Norden und Guangzhou, Shenzhen und Hongkong im Süden, sowie Shanghai im Osten und Chongqing im Westen. In alle diese Richtungen bestehen wichtige Verkehrsverbindungen, die nun gekappt wurden. Bis Ende März herrschen in der Region Temperaturen zwischen 8 und 16 Grad Celsius – ideale Bedingungen für die Ausbreitung eines Grippevirus. Daher ist vor Ende des Quartals auch nicht mit einer Normalisierung der Lage zu rechnen. Umso länger die Einschränkungen anhalten, umso größer die Dimension des wirtschaftlichen Schadens. Auf Wachstum im ersten Quartal in China sollte man daher nicht hoffen.

Bitte klicken Sie hier um Teil 2 des Artikels zu lesen

Kommentare lesen und schreiben, hier klicken

Lesen Sie auch

5 Kommentare

  1. Nur mal so als Frage. Sie schreiben: „Der IWF schätzte Anfang Februar, dass der COVID-19 Schäden in Höhe von ca. 280 Mrd. US-Dollar verursachen wird.“ Das könnte China doch mit Maßnahmepaketen in die Märkte pumpen und der Schaden wäre behoben. Ein Konjunkturpaket gab es doch schon, und alles war beruhigt.

    1. @Sven: Bisher wurde lediglich neues Geld in Form von Krediten in die Märkte gepumpt. Das wird in dieser Dimension nicht ausreichen und erreicht auch nicht alle Bedürftigen Unternehmen und Verbraucher. Aber theoretisch sind noch ganz andere Maßnahmen denkbar, die die wirtschaftlichen Folgen abmildern helfen (massive Zinssenkungen, staatliche Ausgabenprogramme und Helikoptergeld). Jedoch wirken solche Maßnahmen immer mit Zeitverzögerung auf die Realwirtschaft, die zudem aktuell durch die Quarantänemaßnahmen und sonstige Beschränkungen stark gelähmt ist (an den Finanzmärkten wirken solche Stimuli sehr viel schneller). Daher ist ein Absturz der chinesischen Wirtschaft im Auftaktquartal 2020 nicht mehr zu verhindern. Die Zahlen in den kommenden Tagen und Wochen werden dies klar zeigen.

  2. Die im Artikel genannten Zahlen zu den am Coronavirus erkrankten und verstorbenen Patienten wurden heute Morgen nach zunächst anders lautenden Zahlen mit Stand 5.45 Uhr MEZ später nach unten korrigiert (man habe sich verzählt). Die aktuellen Zahlen finden Sie hier: https://www.worldometers.info/coronavirus/

    1. Vielen Dank für die schnelle Antwort.

  3. Liquiditätsflutungen und staatliche Ausgabenprogramme (angemessen dosiert und zielgerichtet eingesetzt) können langfristig immer nur dann positive Effekte entfalten, wenn der Stimulus zu einem sich selbst tragenden Wirtschaftsaufschwung führt. Das heißt, wenn die zusätzlich gewonnene Ertragskraft den zusätzlichen Schuldendienst überdecken kann. China und die westlichen Industrienationen treten seit vielen Jahren den Beweis an, dass diese Maßnahmen nicht nur regelmäßig wirkungslos verpuffen, sondern diese in immer größerem Maße erzwingen, um einen Kollaps zu verhindern. Nun glauben einige, man könne dieses Karussell ewig so weiter drehen. Nein, das kann man nicht. Das Ende ist erreicht, wenn die Staatsschulden und die Schulden aller Unternehmen und Haushalte das Gesamtvermögen einer Volkswirtschaft eingeholt haben. Dann bricht das System zusammen und es beginnt bei null wieder von vorne. Diesem Punkt nähern wir uns unaufhaltsam mit immer größer werdender Geschwindigkeit. Die Coronavirus-Epidemie tritt jetzt noch zusätzlich kräftig aufs Gaspedal und mit einer Flucht in die Edelmetalle wird der Systemneustart noch schneller kommen.

Hinterlassen Sie eine Antwort

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert




ACHTUNG: Wenn Sie den Kommentar abschicken stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zur Verwendung der Kommentarfunktion zu.
Weitere Information finden Sie in unserer Zur Datenschutzerklärung

Meist gelesen 7 Tage

Exit mobile version
Capital.com CFD Handels App
Kostenfrei
Jetzt handeln Jetzt handeln

78,1% der Kleinanlegerkonten verlieren Geld.