Die Aktienmärkte in China haben seit ihrem Höchststand im Jahr 2021 einen beispiellosen Absturz erlebt, der mehr als sieben Billionen US-Dollar an Marktwert vernichtet hat: Angesichts dieser Krise hat sich Präsident Xi Jinping persönlich in die Regulierung der Finanzmärkte eingeschaltet. Er hat sich mit der Börsenaufsicht CSRC beraten und den bisherigen Vorsitzenden Yi Huiman durch seinen Vertrauten Wu Qing ersetzt, der zuvor als Vizegouverneur der Zentralbank gedient hat. Diese Schritte deuten auf die wachsende Nervosität von Xi Jinping hin, der einen massiven Vermögensverlust in seinem Land verhindern will, der sich in den letzten Wochen dramatisch beschleunigt hat.
China: Die Krise der Aktienmärkte trifft die chinesische Mittelschicht hart
Damit kommen wir zum ersten Problem für Xi Jinping in Bezug auf den Crash der Aktienmärkte: Mehr als 70% des chinesischen Vermögens steckt in Wohneigentum. Doch die Branche leidet seit drei Jahren unter Schulden, Überangebot und sinkenden Preisen. Die Insolvenz des großen Immobilienkonzerns Evergrande, die von einem Hongkonger Gericht angeordnet wurde, hat die Krise noch verschärft. Niemand weiß, wie tief der Markt noch fallen wird und wie eine Lösung aussehen könnte. Für die Immobilienbesitzer bedeutet das einen erheblichen Wohlstandsverlust. Hinzu kommt, dass etwa 17,5% des Vermögens in China in Aktien angelegt sind. Diese sind ebenfalls stark gefallen, was die politisch wichtige Mittelschicht hart trifft. Schätzungsweise 90% ihres Vermögens sind damit von Wertverlust bedroht.
Der Unmut der Mittelschicht brach sich auf ungewöhnliche Weise Bahn: Unter einem Weibo-Post über wildlebende Giraffen sammelten sich Kommentare, die ihren Unmut über die Entwicklung der Aktienmärktet äußerten. Der Post, der von der US-Botschaft veröffentlicht wurde, um auf den Schutz der bedrohten Tiere aufmerksam zu machen, wurde zu einem Anziehungspunkt für über 130.000 Kommentare und 15.000 Weiterleitungen – die meisten davon völlig unabhängig von Giraffen, sondern vielmehr wütende Online-Proteste über den Zustand der Wirtschaft.
Ein Nutzer schrieb, dass der Beitrag „zur Klagemauer der chinesischen Einzelhandelsaktieninvestoren geworden ist“. Ein weiterer hoch bewerteter Beitrag drückte aus: „Könnten Sie einige Raketen übrig haben, um die Börse in Shanghai zu bombardieren?“ und ein anderer schrieb: „Die gesamte Giraffen-Community ist voller Optimismus“, ein sarkastischer Seitenhieb auf einen Artikel vom Freitag aus der staatlich geführten People’s Daily, der behauptete, dass das gesamte Land voller Optimismus sei – ein Artikel, der in den sozialen Medien weitgehend verspottet wurde. Mittlerweile haben die chinesischen Zensoren einen Großteil der Kommentare gelöscht.
Diese Kommentare zeigen, wie frustriert und verzweifelt die Mittelschicht ist, die einen Großteil ihres Vermögens durch den Crash der Aktienmärkte verloren hat. Sie fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen und von der Propaganda beleidigt. Die Kritik ist für Xi Jinping nicht ungefährlich. Denn er selbst hat immer wieder die Bevölkerung ermutigt, in die Aktienmärkte zu investieren. Erst im letzten Oktober bezeichnete Xi Jinping in einer Rede den Aktienmarkt als einen wichtigen Bestandteil der sozialistischen Marktwirtschaft, die den Wohlstand und die nationale Stärke fördern könne.
Die Anleger verlagern ihre Investments von Aktien hin zu Gold. Im Januar wurden aus den Beständen der Shanghai Gold Exchange 140 Tonnen Gold abgezogen, was den höchsten Abfluss während eines chinesischen Neujahrsmonats seit 2018 darstellt. Dies verdeutlicht das gestiegene Interesse der chinesischen Verbraucher an Gold und ihr wachsendes Misstrauen gegenüber dem Aktienmarkt.
Was die gesamte Situation noch schlimmer macht: Die Abwärtsspirale der Aktienmärkte verstärkt sich gerade vor dem Neujahrsfest, das in vielerlei Hinsicht unserem Weihnachtsfest oder Thanksgiving in den USA gleicht. Gemeinsam ist diesen Festen, dass sie die Grundstimmung in den Gesellschaften verfestigen. In Deutschland gilt in der Wahlforschung, dass Bundestagswahlen am Weihnachtsbaum entschieden werden. Ein Grund, dass Politiker versuchen, den Wahltermin möglichst weit weg von Weihnachten zu schieben. In China bestimmt ebenfalls die Stimmung am Neujahrsfest die politische Stimmung, die Popularität von Xi Jinping bestimmt.
Leidtragende des Einbruchs am Aktienmarkt dürfte – um zu einem etwas ironischen Punkt zu kommen – auch die politische Elite Chinas ganz direkt treffen. Das chinesische Parlament ist wahrscheinlich dasjenige mit der höchsten Millionärsdichte der Welt. An weiten Teilen der chinesischen Wirtschaft sind auch die politischen Clans beteiligt. Ein Verlust an Börsenwert der chinesischen Konzerne und Unternehmen mindert damit auch ganz unmittelbar den Reichtum der roten Eliten – einschließlich Xi Jinping und seiner Familie.
Absturz der Aktienmärkte: Xi Jinpings globale Visionen versus Realität
In der oben schon kurz erwähnten Rede, in der Xi Jinping die Aktienmärkte als Quelle der nationalen Stärke bezeichnet, klingt schon das zweite Problem für ihn an. Er betrachtet den Aktienmarkt als Spielwiese seiner globalen Ambitionen.
Und dieses Problem ist zweigeteilt. Fangen wir mit dem kleineren an, nämlich der Frage, wohin das Kapital abwandert. Es wandert zu dem Intimfeind der Chinesen, nach Indien ab. Indien und China sind sich in ihrer Abneigung zueinander verbunden. Und während die Konjunktur in China schwächelt, überflügelt der indische Elefant mit geschätzten 6,3 Prozent Wirtschaftswachstum im Jahr 2023 die Entwicklung in China deutlich und wird auch in diesem Jahr mit ca. 6,1 Prozent deutlich stärker wachsen, als die von China angestrebten „um 5 Prozent“. Während China einen Nettoabfluss von Auslandsinvestitionen 2023 von ca. 250 Milliarden US-Dollar verzeichnen wird, werden die Investitionen in Indien rund 70,9 Milliarden US-Dollar betragen.
Was für den Konkurrenzkampf mit dem ungeliebten Nachbarn im Kleinen gilt, gilt für den Systemkampf mit den USA umso mehr. Xi Jinping hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass die Attraktivität der chinesischen Börsen – insbesondere der von Hongkong – ein Teil des Wettbewerbs mit den USA ist. Während nun die chinesischen Aktienmärkte von Tiefpunkt zu Tiefpunkt eilen, erreichten Nasdaq und Dow Jones im Januar neue Allzeithochs.
Der doppelte Vertrauensverlust
Analog zur Ideologie des „Doppelten Kreislaufs“, den Xi Jinping entwickelt hat, könnte man von einem „Doppelten Vertrauensverlust“ sprechen:8 Sowohl das internationale Kapital als auch das inländische Publikum wenden sich von den Aktienmärkten ab. Für das internationale Kapital ist dies kein Problem – im Gegensatz zu China selbst. Es wird andere Anlagemöglichkeiten finden, z.B. in Indien. Für das einheimische Publikum bleibt die Frage, was als Wertspeicher dienen soll. Es hat nur im geringen Maße die Möglichkeit, im Ausland zu investieren – da sind die Devisenkontrollen vor. Die Immobilien verlieren an Wert und bieten keine Möglichkeit mehr des Vermögensaufbaus. Die Wahrscheinlichkeit, dass die gegenwärtige Generation ihr ohnehin geringes Vertrauen in die Aktienmärkte grundlegend durch den aktuellen Crash verlieren wird, ist hoch. Und dieser Artikel hat sich noch nicht einmal mit den fundamentalen Problemen des chinesischen Aktienmarktes beschäftigt. Die Flucht in Gold ist nur die Flucht in einen scheinbaren sicheren Hafen, denn letztendlich funktioniert auch dieser Markt nicht unabhängig und kann jederzeit von der Partei reguliert werden, was auch hier zur Vermögensvernichtung führen würde.
Eine Lesart des Crashs der Aktienmärkte ist es, dass sich hier der Vertrauensverlust in Xi Jinping manifestiert. Ausländische Anleger sind der doppeldeutigen Signale aus Peking überdrüssig: Einerseits buhlt die Führung, wie zuletzt Li Qiang in Davos – wobei für Ausländer Li Qiang die Manifestation des Vertrauensverlustes ist – um internationale Anleger. Andererseits lassen wirtschaftliche und insbesondere finanzpolitische Reformen auf sich warten. Im Gegenteil: Anstatt die Finanzmärkte unabhängiger von der Politik zu machen, verstärkt die Partei noch die Kontrolle über sie. Andererseits nimmt die „Fliegen- und Tigerkampagne“ kein Ende, denen auch eine Reihe von Mitarbeitern von (ausländischen) Finanzunternehmen zum Opfer fallen.
Für die chinesische Bevölkerung stellt sich die Frage nach dem Gesellschaftsvertrag. Die Kommentare unter dem schon oben erwähnten Beitrag von „People’s Daily“, der behauptete, dass das „ganze Land voll Optimismus sei“, zeigen, dass die Stimmung eher am gegenüberliegenden Punkt angekommen ist. Wenn die Partei – in Person von Xi Jinping – nicht für Wohlstand sorgen kann, erfüllt die Partei nicht ihren Teil des Vertrags. Damit könnte das Volk auch ihren Teil des Vertrags aufkündigen, der da heißt: es verzichtet auf politische Partizipation.
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Wieso schickt man die ganzen analphabetischen Flücchtlinge nicht nach China da gibt es Wohnraum und Arbeit und sogar himmlichen Frieden. Zumindest heißt der Platz so.
Dann brauchen die refugees nicht mehr in Turnhallen leben. Und die Überalterung der Bevölkerung würde man auch aufhalten.
@AlexZ
Das ist leider nicht möglich, da die Pläne Ihrer Freunde bereits ein Remigration nach Nordafrika vorsehen.