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Aktienmarkt: Was man jetzt kaufen sollte – und was nicht!

Aktienmarkt - was sollte man kaufen?

Im Gegensatz zu den meisten Anlegern glaube ich nicht, dass die Sorglosigkeit am Aktienmarkt ewig anhalten wird – das vor allem am US-Aktienmarkt eingepreiste Goldilocks-Szenario bekommt nicht zuletzt durch die Inflation zusehends Risse:

– Höhere Produktionskosten durch gestiegene Rohstoff- und Energiekosten

– Lohnerhöhungen in Verbindung mit der Schwierigkeit dringend benötigte Arbeitskräfte zu finden

– Frachtraten, die sich innerhalb weniger Monate vervielfacht haben

– Eine sich abschwächende Wirtschaft durch die Delta-Variante

– Ein schwächelnder Immobilienmarkt in China, der fast ein Drittel der chinesischen Wirtschaftsleistung ausmacht.

All dies nagt an der Marge vieler Unternehmen, die planen diesen Kostendruck so weit wie möglich an ihre Kunden weiterzureichen. In meiner täglichen Arbeit lese ich viele Unternehmensberichte und wähle mich in entsprechende Analystenkonferenzen der Firmen ein. Die Worte, die hierin am häufigsten verwendet werden lauten seit Monaten: Inflation, Kostendruck und Materialengpässe.

Nun beginnen auch führende Zentralbanker erstmalig öffentlich einzugestehen, dass es sich doch um ein längerfristiges Problem handeln könnte und Zweitrundeneffekte (Lohn-Preis-Spirale) drohen.

Aktienmarkt: hohe Bewertungen und Spekulation

Ein nicht unerheblicher Teil am Aktienmarkt ist währenddessen sehr hoch bewertet, insbesondere in den USA und in den Branchen, die seit einiger Zeit zu den Anlegerlieblingen gehören: Laut einer Auswertung der Bank of America sind im ersten Halbjahr 2021 mehr Gelder in Aktienfonds und Aktien-ETFs geflossen als in den 20 Jahren davor zusammengezählt!

Ebenfalls haben kreditfinanzierte Wertpapierkäufe erheblich zugenommen, ganz zu schweigen von den massenhaften Optionskäufen auf Einzeltitel.
Unternehmensinhaber finden sich zugleich auf der Verkäuferseite: Die Pipeline mit IPOs, SPACs und die Emissionen von Unternehmensanleihen profitieren von einem Markt, der scheinbar bereit ist, zu jedem Preis zu kaufen. Für Unternehmensverkäufer ein paradiesisches Umfeld. Kann dies zeitgleich auch für die Käufer dieser Papiere gelten?

Das Zurückfahren der Anleihekäufe

Ich denke, dass eine sehr wichtige Frage für Anleger derzeit darin besteht, wie der Aktienmarkt reagieren wird, wenn die Fed im November mit dem angekündigten Tapering der Anleihekäufe beginnt.

In den Jahren 2011, 2015 und 2018 fiel der Aktienmarkt um ca. 10-20 % innerhalb weniger Monate, als die geldpolitischen Stimulierungsmaßnahmen abgeschwächt wurden (Taper Tantrum). Und der derzeitige tägliche Umfang der Stimulierungsmaßnahmen ist etwa 10-mal so hoch wie vor der Pandemie!

Dies alleine würde mir noch keine so grossen Sorgen bereiten, würden sich die meisten Bewertungskennzahlen in den USA nicht nahe oder zum Grossteil über den historischen Rekordwerten befinden.

Die letzten Jahre haben bewiesen, dass ein enormer geld- und fiskalpolitischer Anreiz in Kombination mit Millionen von Neuanlegern eine normale Reaktion auf eine Krise am Aktienmarkt erst einmal verhindern kann. Doch zu welchem Preis? Mit dem Kostendruck und den Lieferproblemen gibt es klare Anzeichen, dass es auch dieses Mal keinen Free Lunch geben wird.

Ich gehe davon aus, dass der Preis hierfür eine anhaltend hohe Inflation sein wird. Die daraus resultierende notwendige Rücknahme des Stimulus, der die Inflation mitverursacht, dürfte am Markt eine starke Mangelerscheinung hervorrufen.

Wie man als rationaler Anleger vorgehen sollte

Der Aktienmarkt bietet jedem Anleger zu jeder Zeit die Möglichkeit selbst zu entscheiden, welchen Preis er für eine Investition als vernünftig erachtet.

Eine Investition zeichnet sich immer dadurch aus, dass man 1.) den Preis kennt, den man für die Investition bezahlt und 2.) die entsprechende Gegenleistung, die man hierfür erhält, einigermasen verlässlich einschätzen kann.

Bei einer Immobilie besteht diese Gegenleistung in der Regel aus den Mieteinnahmen. Ein erwarteter Preisanstieg wäre hingegen der spekulative Teil der Annahme, denn niemand kann mit Sicherheit sagen, ob der Preis weiter steigen wird, seitwärts verläuft, oder zu fallen beginnt, da der Kaufpreis eventuell schon etwas hoch gewesen sein könnte und dessen weitere Entwicklung mit vielen Unsicherheiten behaftet ist.

Beim Kauf eines Unternehmens (und nichts anderes ist der Kauf einer Aktie) besteht die Gegenleistung in den Gewinnen bzw. den Free Cash Flows des Unternehmens. Eine erwartete kurzfristige Kurssteigerung hingegen wäre ebenfalls reine Spekulation. Natürlich kann der Cash Flow des Unternehmens stark schwanken, lässt sich über die Dauer jedoch bei Firmen mit stabilen Geschäftsmodellen recht vernünftig einschätzen. Eine Alternative besteht darin zu sehen, was das Unternehmen in den vorherigen Jahren an Gewinnen bzw. Cash Flows erwirtschaften konnte und eine Einschätzung darüber zu treffen, ob die Gewinne auf diesem Niveau gehalten werden können.

Da die weitere Entwicklung dennoch mit Unsicherheiten verbunden ist, sollte man immer konservative Annahmen treffen und einen zusätzlichen Sicherheitspuffer einkalkulieren, indem man das Unternehmen nur dann kauft, wenn der Börsenpreis trotz konservativer Annahmen deutlich unter seinem fairen Wert liegt. Dies erhöht die Rendite und gleichzeitig die Sicherheit bei fehlerhaften Annahmen.

Die eine Seite des heutigen Marktes

Während man zur Spitze der Internetblase für wachstumsstarke Internetunternehmen den 10-fachen Jahresumsatz bezahlen musste, so liegt dieser Multiplikator heute oftmals beim 20-fachen Jahresumsatz und mehr.

Es gibt ein berühmtes Zitat aus einem Interview mit Scott McNealy (damals CEO Sun Microsystems), das ursprünglich der «Business Week» gegeben wurde. Microsystems war einer der Lieblinge während der Tech-Blase 1999-2000.

Im März 2002, knapp zwei Jahre nach dem Platzen der Blase, hatte Sun etwa 90 Prozent an Wert Börsenwert verloren.

McNealy sagte daraufhin folgendes:

„… vor zwei Jahren wurde unsere Aktie zum 10-fachen des Unternehmensumsatzes gehandelt, als wir bei 64 Dollar standen. Beim 10-fachen!!!
…um Ihnen eine 10-jährige Rückzahlung über unsere Unternehmensgewinne zu ermöglichen, muss ich Ihnen 100 % der Einnahmen 10 Jahre lang in Form von Dividenden auszahlen. Das setzt voraus, dass ich keine Herstellungskosten habe, was für eine Computerfirma sehr schwer ist. Das setzt voraus, dass ich keine Ausgaben habe, was bei 39.000 Mitarbeitern sehr schwer ist. Das setzt voraus, dass ich keine Steuern zahle, was sehr schwer ist. Und das setzt voraus, dass Sie keine Steuern auf Ihre Dividenden bezahlen müssen, was irgendwie illegal ist. Und das setzt voraus, dass ich mit null Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den nächsten 10 Jahren die aktuelle Umsatzrate beibehalten kann. Nun, nachdem ich das gesagt habe, würde jemand von Ihnen meine Aktien für 64 Dollar kaufen wollen? Ist Ihnen klar, wie lächerlich diese Grundannahmen sind? Sie brauchen keine Transparenz. Sie brauchen keine Fußnoten. Was haben Sie sich dabei gedacht?“

Das Zehnfache des Umsatzes ist ein hoher Preis, den man für ein Unternehmen zahlen soll; vielleicht gerechtfertigt bei hohen Margen in Kombination mit hohem Wachstum, aber genauso oft ein Indikator für Irsinn am Markt.

Nehmen Sie nun einmal das Zwanzigfache des Umsatzes an. Leider ist der zwanzigfache Umsatz heute der neue zehnfache Umsatz.

Zeit für Rationalität in einem irrrationalen Marktumfeld

Auf der anderen Seite des Marktes, dort wo sich die Masse der Anleger gerade nicht tummelt, lassen sich gute Unternehmen noch immer zu sehr vernünftigen Preisen finden. Diese lassen auch künftig eine hohe Rendite erwarten.

Hierbei handelt es sich um Unternehmen mit guter Marktstellung, geringer Verschuldung, hohen Kapitalrenditen und gesunden Margen, die dennoch zu günstigen Preisen gekauft werden können, da Sie gerade nicht im Mittelpunkt des Geschehens stehen, aus Branchen stammen, die gerade vom Markt vernachlässigt werden oder nicht so prominent in ETFs und Co. vertreten sind.
In diesem Bereich fühle ich mich mit meinem Unternehmen Zuhause.

Die Rendite liegt im Kaufpreis

Anstatt am Aktienmarkt nach dem nächsten Google oder Amazon Ausschau zu halten, sollte man sich aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse, die sich in der Praxis bewährt haben, auf Unternehmen konzentrieren, die bereits heute hohe Gewinne erwirtschaften und dennoch günstig gekauft werden können. Aufgrund menschlichen Fehlverhaltens an der Börse und durch institutionelle Zwänge professioneller Anleger (bspw. der Benchmarkorientierung) kommen Fehlbewertungen an der Börse zu Stande. Gleichermasen bei zu günstigen, wie auch bei zu hohen Bewertungen.

Wenn man beispielsweise ein Unternehmen, welches jährlich um die 70.- Mio. EUR an Free Cash Flow erzielt, für 500.- Millionen EUR an der Börse kaufen kann, so liegt die Rendite zum Kaufzeitpunkt für den Anleger bei 14% (500.- bezahlen, 70.- erhalten = 14% Rendite).

Auch wenn man lediglich einen kleinen Teil des Unternehmens über eine bescheidene Anzahl Aktien kauft, so wirft dies im Verhältnis die selbe Rendite ab. Und diese Rendite kommt über die Dauer den Eigentümern des Unternehmens zu Gute (durch einbehaltene Gewinne, die innerhalb des Unternehmens reinvestiert werden und den Unternehmenswert erhöhen und durch ausgeschüttete Dividenden).

14% Rendite mögen im momentanen Marktumfeld nicht sonderlich spannend erscheinen. Aber glauben Sie mir: 14% Rendite ist eine sehr gute Zahl für eine Investition in ein gut finanziertes Unternehmen mit stabilem Geschäftsmodell.

Zum Vergleich: Die Unternehmen aus dem S&P500 erzielen für den Investor derzeit leidiglich eine Rendite über den Free Cash Flow in Höhe von durchschnittlich circa 3%.

Somit ist das Unternehmen, welches 14% Rendite erzielt wiederum enorm viel attraktiver als das durchschnittliche S&P500-Unternehmen. Ein Korb aus guten Unternehmen, die zu einem günstigen Preis gekauft werden können, erzielt über die Dauer eine weitaus bessere Performance als teure oder mittelmässige Unternehmen. Teure Firmen beinhalten einen hohen Anteil an Spekulation über deren zukünftige Entwicklung, die erst einmal erfüllt werden muss.

Gute Unternehmen, die zu günstigen Preisen gehandelt werden, stammen oft aus Branchen, die derzeit als unsexy gelten bzw. nicht im Trend liegen.

Beispielsweise können dies derzeit sein:

Hersteller von Werkzeugen, Produzenten von Bodenbelägen, Hersteller von Elektronikgeräten bspw. im High-Tech-Bereich, Grosshändler für Elektronik, Baumarktketten, Weinproduzenten- und Händler, Küchenhersteller, Unternehmen im Öl- und Gasbereich, etc.

Schauen Sie hierzu nicht nur in Deutschland, sondern auch im Rest Europas und bei Unternehmen mit geringer Marktkapitalisierung aus dem Small- und MidCap-Bereich.

Achten Sie vor einer Investition am Aktienmarkt auf eine saubere Unternehmensbilanz und gute Kennzahlen wie eine geringe Verschuldung, solide und stabile Margen, hohe Kapitalrenditen und Wachstum. Lesen Sie die Geschäftsberichte der Firmen und den Management Ausblick. Eine gute Investition erfordert etwas Recherche und Arbeit. Machen Sie aus Ihrem Geld kein Glückspiel, sondern lassen Sie sich bei der Investitionsentscheidung Zeit. Lassen Sie sich nicht durch den allgemeinen Hype um Modefirmen anstecken. Hier befinden wir uns bereits nahe an der Endphase der Aufwärtsbewegung.

Aus meiner täglichen Arbeit weiss ich, dass Sie auf diese Art und Weise sehr attraktive Unternehmen finden werden, die teilweise weit unter Wert handeln und oft bereits über kurze Zeit hohe Kursgewinne erzielen, obwohl, oder gerade weil dies nicht das Hauptziel des Investors darstellt.

Hinweis der Redaktion: Björn Heissenberger ist Portfolio Manager bei der Heissenberger Vermögensverwaltung AG (www.h-vv.ch)



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1 Kommentar

  1. Absolut vernünftig. Allerdings würde ich ergänzen, dass die Übertreibungen diesmal so groß sind, dass auch viele solide Unternehmen in Schwierigkeiten kommen können. Bodenbeläge sind sicher etwas mehr Luxus als Nahrung und Zahnpasta. Und wenn es stressig wird: Tabak.

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