Der Bitcoin ist am Wochenende übel gecrasht. Der Absturz der letzten Wochen und Monate hatte sich beschleunigt. Sah man zum Jahresanfang noch Kurse von 42.000 Dollar, so war der Kurs der weltgrößten Kryptowährung bis letzten Freitag Abend auf 20.500 Dollar gefallen. Dann fiel der Bitcoin am Wochenende zügig auf 17.609 Dollar im Tief, um sich bis jetzt wieder zu erholen auf 20.826 Dollar. Nun stellt sich die Frage: Solle man kaufen, wenn alle verkaufen? War das schon das Tief am Wochenende?
Bitcoin-Crash – das gab es schon mehrmals
Sollte man gemäß eines Börsensprichworts dann kaufen, wenn die Kanonen donnern? Der WELT-Journalist Holger Zschaepitz hat eine interessante Grafik veröffentlicht. Sie zeigt, dass es in der Geschichte des Bitcoin bereits 4 massive Abstürze gab, bei denen der Kurs vom Höchststand aus um mehr als 80 Prozent einbrach. Von daher sei der aktuelle Absturz um 74 Prozent nichts Ungewöhnliches. Ist das eine aufmunternde Nachricht für alle Krypto-Fans, die aktuell auf bessere Zeiten hoffen? Der kräftige Kurswechsel nach oben nach dem schnellen Absturz am Samstag gibt Anlass zur Hoffnung, dass viele Trader die „günstigen“ Kurse zum Einstieg genutzt haben. War der Markt überverkauft? Erholt sich der Markt wieder vollständig und steigt auf neue Rekorde, wie bereits mehrmals in den letzten Jahren?
To put things into perspective: A #Bitcoin crash of 74% as at present is nothing unusual. In history, there have already been 4 collapses in which the leading cryptocurrency went from peak to trough by >80%. pic.twitter.com/nFZVYlYSJa
— Holger Zschaepitz (@Schuldensuehner) June 19, 2022
Nicht die Zinswende außer Acht lassen
Einen anderen Aspekt sollte man nicht ausblenden. Schauen wir dazu auf den folgenden TradingView Chart. Man sieht in blau und orange, wie Risiko-Assets wie der Bitcoin und der Nasdaq seit April parallel abstürzen. Gleichzeitig als Negativkorrelation sehen wir in türkis, wie die Rendite für zehnjährige US-Staatsanleihen kräftig ansteigt von 1,76 Prozent zum Jahresanfang auf aktuell 3,23 Prozent – fast eine Verdoppelung in nur einem halben Jahr!
Die Zinswende in den USA und in vielen anderen Ländern ist voll in Gange. Gerade die Federal Reserve erhöht mit voller Kraft die Zinsen – erst letzte Wochen wurden sie um 0,75 Prozentpunkte angehoben. Und weitere kräftige Zinsanhebungen sind in den nächsten Monaten schon fest am Kapitalmarkt eingeplant. Szenario: Steigen die Renditen für US-Staatsanleihen weiter, ziehen sich die Anleger dann weiter zurück aus riskanten Anlageklassen wie Tech-Aktien und Kryptowährungen wie dem Bitcoin? Das ist auch ein mögliches Szenario. Je höher die Renditen für Staatsanleihen, je höher die Zinsen, je weniger billiges und gedrucktes Notenbankgeld im Markt kursiert, desto schwieriger wird die Lage für wacklige Tech-Geschäftsmodelle, und desto weniger spekulatives Anlegergeld kann in Kryptowährungen angelegt werden. So weit das Gegenszenario zu den Optimisten.
Expertenstimme
Ipek Ozkardeskaya, Senior Analyst bei der Swissquote Bank, hat heute einen Kommentar zum jüngsten Absturz im Bitcoin und den anderen Kryptowährungen veröffentlicht. Am Sonntag sei es zu einer Erholung gekommen, da einige Käufer glaubten, dass Bitcoin billig genug geworden sei um einen interessanten Dip zu erwischen. Aber Kryptowährungen bleiben laut Ipek Ozkardeskaya auf einem rutschigen Boden, da die Faktoren, die den Ausverkauf vom Wochenende ausgelöst haben, immer noch im Spiel sind. Und der Stress auf dem Markt nehme zu, sowohl aus makroökonomischer als auch aus branchenspezifischer Sicht.
Aus der Makroperspektive zieht laut Aussage von Ipek Ozkardeskaya die Federal Reserve ihre geldpolitische Unterstützung zurück, um die steigende Inflation zu bekämpfen, und die strengeren geldpolitischen Bedingungen ziehen riskanten Anlagen wie Kryptowährungen den Boden unter den Füßen weg. Leider werde die Sorge um eine straffere Geldpolitik der Fed – und anderer Zentralbanken – so lange bestehen bleiben, bis man einen deutlichen und anhaltenden Rückgang der Inflation sieht. Bei der halbjährlichen Anhörung in dieser Woche werde der Fed-Vorsitzende Jerome Powell das starke Engagement der Notenbank für die Inflationsbekämpfung wiederholen, was nach Meinung von Ipek Ozkardeskaya die Risikoanlagen (wie den Bitcoin) weiter nach Süden treiben könnte.
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Aus der Sicht der Krypto-Branche sieht man laut Ipek Ozkardeskaya, dass einige Branchenriesen Schwierigkeiten haben ihr Geschäft zusammenzuhalten, da das Geld aus der Kryptoindustrie abfließt, was eine weitere Ebene des sektorspezifischen Stresses darstellt. In den letzten Wochen habe man gesehen, wie der Terra, der eigentlich ein stabiler Coin sein sollte, auf Null zusammenbrach. Letzte Woche habe Celsius, einer der größten Krypto-Kreditgeber, Abhebungen und sogar Konto-zu-Konto-Überweisungen ausgesetzt. Am Freitag fror Babel Finance Abhebungen und Rücknahmen ein, was darauf hindeute, dass weitere Krypto-Institutionen ähnliche Maßnahmen ergreifen könnten, wenn die Krypto-Kernschmelze anhält. Und ebenfalls am Freitag erklärte Three Arrows Capital, dass es nach den schweren Verlusten, die es während des diesjährigen Ausverkaufs erlitten hat, den Verkauf von Vermögenswerten und eine Rettungsaktion in Betracht zieht.
Die Mischung aus entmutigenden Nachrichten und dem starken Preisverfall überzeugt laut Ipek Ozkardeskaya nun die langfristigen Kryptoanleger, „die weiße Fahne zu hissen“. Angesichts der Tatsache, dass die 20.000 Dollar-Marke durchbrochen wurde, wäre ihrer Aussage nach die nächste Verkaufswelle ein Test der Unterstützung bei 15-17.000 Dollar. Darunter könne es zu einem weiteren Einbruch bis auf 10.000 Dollar kommen. Auf der Oberseite werde man wahrscheinlich einen ordentlichen Widerstand im Bereich von 22-25.000 Dollar sehen. Aber ein positiver Ausbruch werde eine stärkere kollektive Anstrengung und den Glauben daran erfordern, da das FOMO, die Angst, einen rasenden Zug zu verpassen, nicht mehr die Realität ist. Die Realität sei, dass Bitcoin weiter fallen könnte, und es sei kein Kinderspiel mehr, ein Krypto-Investor zu sein, wie es auch kein Kinderspiel mehr ist, ein Aktien-Investor zu sein.
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„…die Angst, einen rasenden Zug zu verpassen…“
Diese Angst hatte ich eigentlich nie. Mein Überlebenswille hat es mir immer verboten, in rasende Züge einzusteigen😉.