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Börse: WallStreetBets, Helikoptergeld und Idiocrazy an den Märkten!

Millionen von Neu-Spekulanten zocken an der Börse mit staatlichen Helikoptergeld. Das Niveau erinnert dabei an den Film Idiocracy aus dem Jahr 2006!

Millionen unerfahrener Anleger, ausgestattet mit hunderten Milliarden US-Dollar staatlichen Helikoptergeldes und zusätzlichen Wertpapierkrediten ihrer Neo-Broker wie Robinhood.com machen die Börse seit 2020 zu ihrem Spielcasino. Das Niveau des Börsenwissens dieser Neu-Spekulanten erinnert dabei an den Film Idiocracy aus dem Jahr 2006.

Wie kam es zur Idiocracy an der Börse?

In der Science-Fiction-Komödie Idiocracy des amerikanischen Regisseurs und „Beavis and Butt-Head“-Erfinders Mike Judge wird eine zukünftige Welt gezeigt, deren Gesellschaft geprägt ist von geistiger Degeneration, Selbstüberschätzung und Intoleranz. Eine Gesellschaft, in der Bildung verhöhnt wird, die ihre Felder mit dem Fitnessdrink Gatorade düngt und kurz vor ihrem Ende durch den kollektiven Hungertod steht. In dieser filmischen Kakotopie liegt die Ursache für die Verblödung der Menschheit in der asymmetrischen Fortpflanzung der sozialen Schichten: Akademiker bekommen immer weniger Kinder, wohingegen sich die Reproduktionsrate der Unterschicht permanent erhöht. Aus heutiger Sicht ist dieser filmische Plot wohl politisch nicht korrekt, aber entspricht nun mal dem Drehbuch.

Die Genese der Idiocracy an der Börse stellt sich zwar anders dar, führt aber zu einem ähnlichen Ergebnis: die Verblödung einer neuen Spekulanten-Generation, die sich durch ihre Unwissenheit finanziell zu ruinieren droht.

Mit dem Heilsversprechen des schnellen Reichtums werden die Amerikaner seit Jahren in TV-Spots und Werbeanzeigen von Brokern und Börsenbriefen bombardiert. Dabei ist den Werbenden selbst der Einsatz von Primaten und Kleinkindern nicht zu billig, um auf Kundenfang zu gehen.

Mit den direkten finanziellen Zuwendungen der Bundesregierung und der Bundesstaaten, finanziert durch die US-Notenbank Fed wurden seit vergangenem Jahr Millionen Amerikaner erstmals in die Lage versetzt, endlich an dem großen Spiel der Wall Street teilzuhaben. Um mit den finanziellen Zuwendungen so schnell wie möglich reich zu werden, setzen die Neo-Trader auch hochgehebelte Derivate und Wertpapierkredite ein. Dem damit einhergehenden starken Anstieg des Verlustrisikos sind sich wohl die wenigsten bewusst oder sie ignorieren diese Tatsache. So verkommt die Börse zu einem Abklatsch von Las Vegas: Alles oder nichts, Rot oder Schwarz.

Soziale Medien wie reddit befeuert mit Subboards wie „Wallstreetbets“ die Illusion des schnellen Reichtums an der Börse. Das Layout des Börsenforums von reddit hat den Charme eines billigen Comic-Heftes. Mit einem offensichtlich superreichen Hipster-Trader auf einer Yacht namens „WALLSTREETBETS“ in der Karibik wurde bis Ende letzten Jahres dem Nutzer suggeriert, dass es hier ums schnelle reich werden an der Wall Street geht. Seit Jahresbeginn schmeißt derselbe coole Comic-Trader mit Sonnenbrille Geld mit beiden Händen über der Skyline von Hongkong raus. Die auf dem Board von Wallstreetbets verbreiteten Botschaften sind simpel und eindeutig und lauten beispielsweise wie folgt: „THE BIGGEST SHORT SQUEEZE IN THE WORLD $SLV SILVER 25$ to 1.000$“.

Know-how und Erfahrung sind zum reich werden in der Idiocracy unnötig

Die im Jahr 1999 verstorbene Börsenlegende André Kostolany sagte einst weise: „Wer viel Geld hat, der kann spekulieren, wer wenig hat, darf nicht spekulieren, und wer überhaupt kein Geld hat, der muss spekulieren“. Kostolany bezeichnete das Spekulantentum als schönsten Beruf der Welt. Aber Berufe muss man erlernen. Von Börsenlegenden wie Kostolany oder Jesse Livermore (Buchtipp: „Das Spiel der Spiele“) kann man noch heute sehr viel lernen. Vor allem Kostolany´s Erstlingswerk „Das ist die Börse“ aus dem Jahr 1961 vermittelt essenzielles Grundlagenwissen und sollte für jeden Börsianer eine Pflichtlektüre sein, bevor man sich auf das glatte virtuelle Börsenparkett begibt.

In der Welt der Idiocracy an der Börse wurde das Aneignen von Wissen größtenteils übersprungen. Kaum war das zusätzliche Arbeitslosengeld oder die Schecks der US-Regierung für die ganze Familie eingegangen, wurde in wenigen Minuten online ein Brokerkonto eröffnet, kurz bei reddit der heißeste Zock recherchiert und ab ging die Post.

Obwohl sich vor allem Optionen als sehr beliebtes Spekulationsobjekt unter den „Robinhoodern“ etabliert haben, was an den Rekordumsätzen bei den Retail-Brokern in diesen Instrumenten leicht ablesbar ist, darf bezweifelt werden, dass den Neuspekulanten das Black-Scholes-Modell oder die „Griechen“ wie Delta, Gamma oder Theta irgendetwas sagen, obwohl diese Kennzahlen beim Handel mit Optionen eine enorm wichtige Rolle spielen.

Manche der Wall-Street-Glücksritter werden tatsächlich schnell reich und zu Ikonen in den sozialen Netzwerken. Andere kennen nicht einmal den Unterschied zwischen Buchgewinnen und realisierten Gewinnen. Die, die aus wenigen Dollars ein kleines Vermögen machen, ohne zu verstehen, warum, halten sich für Genies und werden zu Vorbildern für die Börsen-Community. Andere verlieren Haus und Hof, ohne zu verstehen, warum und geben wiederum Dritten die Schuld daran. Auch dieses Verhalten erinnert stark an die Menschen im Film Idiocracy.

Wie komplex die Interdependenzen zwischen den verschiedenen Asset-Klassen der Börse sein können und wie zahlreich die Einflussfaktoren auf die Preisgestaltung von Vermögenswerten sind, wird dabei größtenteils unterschätzt. „Einfach und schnell mit wenig Geld reich werden“: Das ist die Devise der Neo-Trader aus der sozialen Unterschicht Amerikas.

Doch nach ersten anfänglichen Erfolgen lernen die Zocker auf Helikoptergeld-Steroiden nun eine weitere bittere Lektion des Altmeisters Kostolany: „Gewinne an der Börse sind wie Schmerzensgeld. Erst kommen die Schmerzen und dann das Geld.“ Letzteres aber auch nur, wenn man aus seinen Fehlern zu lernen vermag.

Beispiel Silber-Hype

Selbst als Silberfan, zu denen der Autor dieser Zeilen gehört, muss man den Versuch der Wallstreetbets-Gemeinde den Silbermarkt zu cornern als Nonsense bezeichnen. Was vielleicht bei einigen stark geshorteten Nebenwerten zumindest kurzfristig funktionieren kann, war bei Silber schwer nachvollziehbar, da der selbst auserkorene Feind der neuen Trader-Gemeinde, die Hedgefonds, zum Zeitpunkt der Attacke netto Long in dem weißen Edelmetall positioniert waren.

Selbst die großen Investmentbanken wie JP Morgan Chase und BlackRock halten direkt oder über von ihnen emittierte ETFs große Mengen an physischem Silber und Silberforderungen.

Als die Wette nicht aufging und Silber doch nicht in einem Schwung auf 1.000 US$/Unze anstieg, wurden plötzlich viele Posts, die Silber pushen sollten, gelöscht oder Verschwörungstheorien verbreitet. Hätte man sich vorher mit den spezifischen Marktgegebenheiten auseinandergesetzt, wäre einem die viel höhere Komplexität und Kapitalisierung des Silbermarktes und der Silberminenaktien aufgefallen. Aber nach GameStop musste eine neue Sau durch die Communities der Börsen-Boards gejagt werden.

Der gefloppte Versuch, den Silbermarkt in Bedrängnis zu bringen, ist gescheitert und die reddit-Karawane zieht weiter. Sie hat bereits ein neues Objekt ihrer Begierde im Visier: Die Aktien eines Unternehmens, das Verluste erwirtschaftet. Es lebe die Idiocracy an der Börse!

Fazit und Ausblick

Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bevor die nächste Geldflut in Form von Helikoptergeld über die Neo-Broker-Konten an die Börse fließt. Politikinsider in Washington rechnen spätestens für Mitte März dieses Jahres mit der Bewilligung von weiteren Direktzahlungen von mehreren Tausend US-Dollar pro Familie durch den US-Kongress.

Es werden wohl zwischen 1,2 bis 1,4 Billionen US-Dollar frisch digital erzeugten Geldes sein, das dann erneut über die amerikanischen Haushalte mit einem Jahreseinkommen von unter 200.000 US$ herabregnet. Einiges davon wird in dem neuen Spielcasino an der Wall Street landen.
Hoffentlich haben die Robinhooder bis dahin einige wichtige Lektionen gelernt. Im Film Idiocracy kriegen die Menschen ganz knapp noch die Kurve. Den Neubörsianern ist das Gleiche zu wünschen, auch wenn Zweifel angebracht sind. Wenn doch, wäre dies eine Bereicherung für die Börse. Wenn nicht, droht ein kollektives finanzielles Fiasko.

Was an der Börse derzeit passiert erinnert an den Film Idiocrazy



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4 Kommentare

  1. Hallo Herr Zipfel!
    Es ist sehr freundlich, dass sie Kostolanys ‚Das ist die Börse“ erwähnen. Das wird aber seit Jahrzehnten nicht mehr verlegt. Das Grundwissen wurde aber in die folgenden Bücher von Kostolany übertragen. Auch sein letztes Werk, an dem ich wie an den vorhergehenden beiden, die Ehre hatte, mit zu wirken „ Die Kunst über Geld nachzudenken“, ist die beste Alternative.

  2. Wallstreetbets ist doch nur der Anfang. Flashmobs, die kollektiv an Märkten agieren betrachte ich in 2021 als Setting. Es ist nicht sehr smart, die Leute, die dort mitmachen zu individualisieren.

    „Die auf dem Board von Wallstreetbets verbreiteten Botschaften sind simpel und eindeutig und lauten beispielsweise wie folgt: ‚THE BIGGEST SHORT SQUEEZE IN THE WORLD $SLV SILVER 25$ to 1.000$‘.“

    Haben Sie dazu keinen Link? Ich habe bei „Wallstreetbets“ und „Silver“ nur den hier gefunden

    https://www.reddit.com/r/wallstreetbets/comments/la1o04/there_is_no_silver_short_squeeze_happening_none/

    mit 89.5k Upvotes. Dort wird die Geschichte der Brüder Hunt als warnendes Beispiel für einen gescheiterten Angriff auf den Sibermarkt erzählt und das sicherlich nicht ohne Grund. Die Zuschreibung des kurzzeitigen Anstiegs des Silberpreis durch Wallstreetbets ist gelinde gesagt, „umstritten“ und ich wüsste gerne, warum Sie das hier als Tatsache darstellen?

  3. @Dreamtimer: Absolut richtig recherchiert, der vermeintliche Silberhype hat auf Reddit nie stattgefunden. Erstaunlich, dass diese Falschinformation auch hier noch ausführlich behauptet wird.

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