FMW-Redaktion
Die Älteren unter Ihnen – also jene, die nicht mit dem ersten Augenaufschlag nach der Geburt auf ein Smartphone glotzten – werden das schöne Wort „Idylle“ noch kennen. Es bezeichnet im weiteren Sinne einen Zustand, der als beschaulich und friedlich empfunden wird, also eine Art „heile Welt“. So ähnlich scheinen sich auch derzeit die Märkte in einer heilen Welt zu befinden – und es ist nicht leicht dagegen zu argumentieren, wenn ja tatsächlich die Sonne scheint an den Märkten und man daher annehmen könnte, es sei schon Sommer. Wenn man darauf hinweist, dass noch kein Sommer ist und die aktuelle Wetter-Lage kein Dauer-Zustand ist, macht man sich nicht wirklich beliebt bei den Sonnen-Anbetern – aber der Hinweis sollten dennoch nicht unterbleiben!
Was etwa war der Anlaß der gestrigen Rally? Die Zahlen von Netflix. Netflix ist ja durchaus ein interressantes Unternehmen, aber eben beileibe kein Schwergewicht wie etwa Facebook oder JP Morgan. Und während die Märkte Party machten wegen des Leichtgewichts Netflix, geht weitgehend unter, dass eher schwergewichtige Unternehmen wire eben JP Morgan Zahlen vorlegen, die zwar richtig gut sind, bei denen sich aber offenkundig zeigt, dass sie schon eingepreist sind. Eine Rally, die auf dem Leichtgewicht Netflix basiert, ist eine Rally auf dünnem Eis.
Ist es nicht eigentlich aufschlußreicher, sich auf die Schwergewichte zu fokussieren? Wir haben nun die Zahlen von vier Dow Jones-Konzernen, wobei nur die Aktien von United Health höher stehen, die Aktien von JP Morgan, Goldman Sachs, Johnson & Johnson sowie IBM dagegen handeln nach den Zahlen tiefer.
Ist das nicht auffällig? Ist das nicht ein Indiz dafür, wie der überwiegende Teil der US-Berichtssaison verlaufen wird: hohe Erwartungen, die getroffen oder sogar leicht überboten werden – aber abverkauft wird dann trotzdem, weil alles Gute längst eingepreist ist!
Auch deshalb ist also Vorsicht geboten – nicht nur wegen den „Großbaustellen“ Fed (restrikivere Geldpolitik mit Anhebung der Zinsen und Reduzierung der Bilanz) und Handelskrieg. Ja, diese Rally kann noch weiter gehen, aber sie ist schon ziemlich reif und widerspricht der übergeordneten Großwetterlage!
Der Dax trotz den sich immer stärker eintrübenden Konjunkturdaten (gestern schwächster ZEW seit 2012), auch das Thema Handelskrieg scheint nicht mehr von Interesse – und überhaupt ist die Welt doch so schön bunt, wenn man ausreichend Drogen konsumiert hat..
(Chart durch anklicken vergrößern)
Der Index steht nun schon in Sichtweite des Februar-Doppeltops bei 12650 Punkten – gelänge der Sprung darüber, wäre der Bereich 12740/50 der nächste größere Widerstand. Auf der Unterseite die nächstliegende Unterstützung nun bei 12475 Punkten.
Und wir legen uns jetzt erst einmal in die Sonne – ist ja so schön idyllisch alles..
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Warum in die Ferne blicken, wenn das Schlechte doch soo nah….
In Frankreich gehen heute die Eisenbahnerstreiks weiter, und werden zur ersten (und vielleicht letzten) echten innenpolitischen Nagelprobe für E. Macron. Der gute Mann duldet keinen Widerspruch im Land, sucht aber gleichzeitig angeblich nach offener Diskussion zu den innenpolitischen und EU-weiten Kernproblemen…wie passt das zusammen? Stärker noch als Trump oder May versucht der „kleine Putin“ seit dem letzten Wochenende durch den Schlag gegen Syrien und seine durch MM derzeit penetrant kolportierte „Wünsch dir was“ EU-Politikvision von seinen eigentlichen Problemen abzulenken.
Dieser offensichtliche Umstand sollte doch der FMW einen kleinen Bericht wert sein?
@Bademeister, da haben Sie in der Sache sicher recht – nur ist es (noch?) nicht marktrelevant. Aber wir haben ein Auge darauf!
@Fugmann, es ist stets ein Freude, Ihre sehr kompetenten Marktanalysen zu lesen, die in Texpassagen eingebettet sind, die einem ein Lächeln ins Gesicht zaubern.
Vielen Dank hierfür und weiter so!
P.S. Ja, ich kenne noch (das Wort) Idylle ;-)