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Die EZB warnt sich selbst vor längerer Niedrigzinsphase

Die EZB-Zentrale in Frankfurt

Die EZB warnt sich selbst vor einer längeren Niedrigzinsphase – kein Witz. Der sogenannte „Europäische Ausschuss für Systemrisiken“ (im Original „European Systemic Risk Board“ oder ESRB) ist als Ausschuss der EU nach der Finanzkrise 2008 zur Früherkennung, Prävention und Bekämpfung von systemischen Risiken im Finanzmarkt eingeführt worden. Der ESRB ist als Gremium innerhalb der Europäischen Zentralbank (EZB) angesiedelt. Und genau dieser Ausschuss, dessen Vorsitz die EZB-Chefin Christine Lagarde inne hat, warnt aktuell vor einer längeren Niedrigzinsphase.

Klingt das für Sie auch irgendwie witzig oder auch albern? Denn die EZB als unabhängige Institution, die von keiner Regierung beeinflusst wird, entscheidet ganz alleine über das Drucken von Geld und die Höhe von Zinssätzen. Wenn man also ein Problem mit zu niedrigen Zinsen hat, warum erhöht man sie dann nicht einfach? Nun, wir alle kennen die Antwort. Steigende Zinsen könnten zahlreiche Euro-Staaten und Unternehmen nicht verkraften. Der Junkie war seit der Finanzkrise länger als 10 Jahre am Stück voll auf Droge (dem Nullzins), und kommt jetzt nicht mehr davon weg.

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Die Meldung des ESRB vom 1. Juni ging wohl völlig unter, und auch wir haben es erst heute bemerkt nach einer für den deutschen Markt präsentierten Meldung der BaFin. Die COVID-19-Pandemie dürfte demnach die Niedrigzinsphase weiter verlängern und verschärfen. Zu diesem Schluss sei der ESRB in seinem zweiten Bericht zu makroprudenziellen Fragen im Zusammenhang mit dem Niedrigzinsumfeld in Europa gekommen. Vier Punkte würden Anlass zur Sorge geben. Zitat:

Rentabilität und Widerstandsfähigkeit der Banken: Die Pandemie könnte die bestehenden strukturellen Probleme im EU-Bankensektor, einschließlich Überkapazitäten und zu hohen Kosten, weiter verstärken.

Verschuldung von Kreditnehmern: Die Suche nach höheren Renditen veranlasse Schuldner zunehmend, weitere Schulden zu günstigen Konditionen aufzunehmen. Hierdurch steigen auch die Risiken im Finanzsektor.

Systemisches Liquiditätsrisiko: Unter anderem aufgrund struktureller Veränderungen sei das Finanzsystem auch empfindlicher gegenüber Marktschocks geworden.

Nachhaltigkeit der Geschäftsmodelle von Versicherern und Pensionsfonds, die längerfristige Renditegarantien anbieten: Sie gerieten durch das Niedrigzinsumfeld zunehmend unter Druck.

In seinem Bericht fordert der ESRB von den Staaten und Notenbanken weitreichende Maßnahmen, die über die bisherige Unterstützung von Banken und privaten Haushalten hinausgehen. Konkret fordert der Ausschuss Initiativen zur Analyse und Minderung von systemischen Risiken. Weiterhin beabsichtige man geeignete politische Maßnahmen zur Risikominderung zu entwickeln. Außerdem weis er darauf hin, dass sich zunehmend auch Risiken von den traditionellen Banken auf Finanzintermediäre außerhalb des Bankensektors verlagerten. Auch dem solle die internationale Gemeinschaft der Regulierer und Aufseher Rechnung tragen.

Was lernt man daraus? Ein Papiertiger fordert Analysen und will selbst Maßnahmen entwickeln, und weist auf Risiken hin. Also alles völlig unkonkret. Es ist sowieso mehr als sinnbefreit, dass dieser Ausschuss vor Risiken warnt, welche durch die Institution abgeschafft werden können, unter dessem Dach der ESRB tätig ist. Dieses Gremium wirkt eher wie eine Art Beruhigungspille für die Öffentlichkeit. Da ist ein Ausschuss, der die Risiken im Blick hat – also alles gut, es gibt keine neue Finanzkrise. Richtig? Falsch.



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6 Kommentare

  1. Interessant was relativ gut bezahlte Leute so anstellen, vor allem wenn man bedenkt das genau jene davor warnen welche die Zinsen am liebsten bei -300% hätten und dies seid Jahren genauso richtig finden !?
    Man stelle sich nur einmal vor man würde an das Finanzmanagement von Staaten bzw. Staatengemeinschaften die gleichen Vorgaben und Maßstäbe heranziehen wie man es für Firmen macht … huch, Tod und Teufel …. ;)

  2. Eigentlich spricht es für eine Institution, wenn sie in ihren Reihen Selbstkritik zuläßt.
    Selbstkritik und In-Frage-Stellen der eigenen Glaubenssätze findet man dagegen kaum bei Finanzbloggern samt Beitragsschreibern und Kommentatoren.
    Bei Crashpropheten und Untergangsspezialisten praktisch nie.

    1. @Columbo, das nennt sich je nach Institution bzw. Organisationsform Qualitätsmanagement, Eigenüberwachung, interne Revision oder viel wohlklingender Financial Audit, Management Audit, Operational Audit. Das einfache Schizo-Club-Mitglied wie Du und ich nennt es unbedacht und leichtsinnig nur Selbstkritik, Hinterfragen oder Selbstreflektion und vergisst dabei die fatalen temporalen Folgen für die bedauernswerten Crashprofis mit ständig anzupassendem Verfallsdatum. Die würden sich damit selbst den goldenen Teppich unter den wackligen Füßen wegziehen, ein Widerspruch in sich, ein Oxymoron, ein Paradoxon. Ist wie im Wahlkampf, wer kein eigenes Programm in petto hat, haut blind und laut und medienwirksam auf alles drauf, was vom eigenen Versagen ablenkt.

  3. Hochstehende Worte, aber Selbstkritik wäre bei gewissen INFLATIONSLEUGNERN auch längstens angesagt.

    1. @Inflatori

      Wenn Sie mein Depot sehen würden, würden Sie mich garantiert nicht mehr einen Inflationsleugner nennen.

    2. @Inflatori, Sie sprechen mir aus der Seele. Seit mindestens sechs bis sieben Jahren kritisiere ich die statistische Kreativität beim Neubewerten des Inflationswarenkorbs bis hin zur Kernrate ohne Energie, Lebensmittel und Wohnkosten. Was waren das damals noch interessante und spannende Diskussionen mit dem Statistikprofi Thomas Müller alias @tm, bis schließlich Trump & Co. mit nationalistischen Störfeuern und Blendgranaten weltweit gesellschaftsfähig wurden und alle anderen Themen mehr und mehr hinter viel Schall und noch mehr Rauch zu ersticken versuchten. Ich freue mich, dass Sie nun nach kurzen Abwegen endlich ebenfalls die altbekannten Anliegen selbst wieder feurig und überzeugt thematisieren, zumindest vorübergehend.

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