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EZB überschreitet Zins-Schmerzgrenze – Lagarde sieht harte Zeit

EZB-Chefin Christine Lagarde
EZB-Chefin Christine Lagarde. Photographer: Alex Kraus/Bloomberg

Alle drei Zinssätze hat die EZB gestern erneut angehoben um 0,25 Prozentpunkte. Die Europäische Zentralbank zieht die Daumenschrauben trotz schwächelnder Konjunktur im Euroraum weiter an. Da hilft es wenig, dass die Währungshüter vage ein Ende der Zinserhöhungen in den Raum stellen.

Mit der am Donnerstag beschlossenen zehnten Zinserhöhung in Folge betreten die Notenbanker um Präsidentin Christine Lagarde laut Bloomberg „Neuland“. Das Unbehagen war erkennbar und verriet, dass ihnen bewusst ist, welche Folgen sie beim Kampf gegen die Teuerung in Kauf nehmen. Die Entscheidung, den Einlagensatz auf 4% zu erhöhen, beruht auf der vagen Hoffnung, den Anstieg der Verbraucherpreise bis Ende 2025 auf unter 2% zu drücken.

BIP und BIP-Aussichten der EZB

Gefahr für EZB in zu übertriebener Straffung

Die damit einhergehende kurzfristige Aussicht war jedoch düster. EZB-Chefin Lagarde räumte ein, dass das Wachstum “sehr, sehr schleppend” verlaufen wird, und die Prognosen der EZB-Volkswirte ließen erkennen, dass der Wirtschaft sogar eine Schrumpfkur bevorstehen könnte. Die Gefahr für die EZB besteht darin, dass sich die Warnungen der Tauben im Rat vor einer zu weit gehenden Straffung der Geldpolitik bewahrheiten, und dass die Verantwortung für eine mögliche Rezession die EZB der Kritik der Bevölkerung aussetzt. Die Finanzmärkte setzen jedenfalls auf eine Kehrtwende schon im Juni. “Diese Anhebung ist nicht gerechtfertigt”, sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt bei Berenberg in London. “Ich fürchte, die EZB unterschätzt immer noch den konjunkturellen Abschwung — die EZB ist immer noch zu optimistisch, was das Wachstum angeht.”

Revidierter Wirtschaftsausblick der EZB

Schwache Konjunktur

Die EZB senkte die eigenen Wachstumsprognosen bis 2025 erheblich. Sie zeigen eine derzeit stagnierende Wirtschaft, die im vierten Quartal gerade mal 0,1 % Wachstum erreichen wird — eine Schätzung, die nicht viel Spielraum zu einer Rezession aufweist. Für das zweite Quartal wurden die Kennzahlen gerade erst nach unten revidiert. “Die schwierigen Zeiten sind jetzt da”, sagte Lagarde nach der Ratssitzung am gestrigen Donnerstag. “Wir tun das nicht, weil wir eine Rezession erzwingen wollen, sondern weil wir Preisstabilität wollen.”

In Ländern wie Italien, das im zweiten Quartal einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts hinnehmen musste, kommen solche Äußerungen nicht gut an. Das war am Donnerstag nicht anders. “Diese Entscheidung — die, wie ich glaube, mehrheitlich getroffen wurde und daher von einigen abgelehnt wird — wird meiner Meinung nach nicht zur wirtschaftlichen Erholung Europas beitragen”, sagte der italienische Industrieminister Adolfo Urso.

Das Problem für die EZB besteht darin, dass die Inflation immer noch “zu lange zu hoch” bleiben dürfte. Sowohl die Gesamtinflationsrate als auch die der Kerninflation — bei der Energie und Lebensmittel herausgerechnet werden —, liegen bei über 5%. Angesichts dieser Aussichten hält der ehemalige Chefvolkswirt der EZB, Peter Praet, die Zinserhöhung um 25 Basispunkte für gerechtfertigt. “Die EZB ist in einer sehr schwierigen Lage, weil ein Stagflationsdruck besteht, also kein Wachstum, wenig Wachstum, und Inflation”, sagte er bei Bloomberg TV.

Die Tauben haben die Marktreaktion gewonnen

Doch auch Praet ist der Meinung, dass die EZB zu optimistisch ist, was das Wirtschaftswachstum angeht, und wies darauf hin, dass sich die Ansichten der Anleger inzwischen geändert haben. Die Geldmärkte haben nach der Zinserhöhung vom Donnerstag ihre Wetten auf den Zeitpunkt der ersten Zinssenkung von Juli auf Juni vorgezogen. Fast drei Senkungen um 25 Basispunkte sind für das nächste Jahr eingepreist, so viele wie seit Anfang des Monats nicht mehr. “Die Falken haben die Zinsentscheidung gewonnen, aber die Tauben haben die Marktreaktion gewonnen”, sagt Karsten Junius, Chefökonom der Bank J Safra Sarasin in Zürich.

Lagarde betonte, dass das Thema Zinssenkung während der Ratssitzung niemandem auch nur über die Lippen gekommen sei und das Augenmerk auf der Beibehaltung des aktuellen Niveaus liege. “Der Schwerpunkt wird sich wahrscheinlich etwas mehr auf die Dauer verlagern, aber das heißt nicht, dass wir jetzt den Höhepunkt erreicht haben — das können wir nicht sagen”, sagte sie.

Womöglich war die Aussicht auf die konjunkturelle Flaute sogar mit ein Grund dafür, dass die EZB sich im Zugzwang sah, die Zinsen erneut anzuheben, meint Skylar Montgomery Koning, Strategin bei Globaldata TS Lombard. “Wir befinden uns in einem Umfeld der Stagnation, und die EZB erkennt das endlich an”, sagte sie auf Bloomberg TV. “Ich denke, der Denkprozess war: Entweder wir erhöhen jetzt, oder wir verlieren die Gelegenheit für eine letzte Erhöhung, weil sich die Daten so sehr verschlechtern.”

FMW/Bloomberg



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6 Kommentare

  1. überspannt?? Lieber Redakteur ich hatte 1991 für 1 Jahr Festgeld 11 Prozent Zinsen bei einer Inflationsrate von 5,5 Prozent. Warum muss der Zinssatz weit unter der Inflationsrate sein???

  2. 0,25 Prozentpunkte oder 0,25 Prozent.
    Selbst bei den Finanzmarktnachrichten guckt Niemand nach Fehlern oder Unstimmigkeiten.

  3. @ Bückle, wichtig ist,dass jedermann weiss was mit den 0,25 gemeint ist, da man es schon tausendmal erwähnt hat in den letzten Tagen.Es gibt aber immer Klugscheisser die auf solche unwichtigen Sachen achten und auch krampfhaft auf Tippfehlersuche sind.Es sind oft Leute, die Wichtiges nicht von Unwichtigem unterscheiden können und der Gesellschaft nicht einmal 0,25 Prozentpunkte nützlich sind.

  4. Diese Frau ist nicht normal Firmen und Private Bersonen werden sehr geschwächt und in den Ruine getrieben.

  5. Die Reichen Patrizier in Straßburg und deren Kammer die EZB noch reicher machen, ja das ist die Devise. Die Plebejer, oder das gemeine Rest kann von mir aus krepieren, selber Schuld, wenn sie auf den Trick der Banken mit VARIABLEN Zinsen eingefallen sind. Dass die Banken nur fixverzinste Kredite für das Pöbel anbieten ist ja nicht das Schuld der EZB? Jedenfalls friss oder stirb! Dass wars jedenfalls, ich zu meinem Teil bin nun amtlich ruiniert!

  6. Die Reaktion der EZB ist, wie damals die Zinssenkung, unsinnig und volkswirtschaftlich schädlich.
    Handelte es sich bei den Zinsaussetzungen schlichtweg um Betrug an den Besitzenden, so ist es jetzt ein mutwillig Schwächen der Unternehmen.
    Eine fälschlicherweise durch politische Entscheidungen erzeugte Kostenexplosion der Energiepreise, CO2Abgaben und Klimavorschriften bewirkt einen Folgepreisschock aber keine klassische Inflation.
    Aber was will man von „Experten“ wie Draghi, Lagarde und Co auch anderes erwarten?

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