Der Hype um die Gamestop-Aktie brachte Anfang des Jahres die ganze Börsenwelt durcheinander – und hat sie womöglich für immer verändert. Millionen von Kleinanlegern kamen in den letzten Monaten ganz neu an die Börse. Sie zocken Kryptowährungen und Aktien – und das vor allem, weil die neuen Smartphone-Broker auf Handelsgebühren bei Aktien ganz verzichten. Da kann man brutal oft und schnell rein und raus gehen. Wichtig als auslösender Faktor für den großen Hype bei der Gamestop-Aktie war: Clevere Beobachter der Aktie bemerkten, dass Hedgefonds in den USA mit mehr leerverkauften Aktien auf fallende Kurse gewettet hatten, als überhaupt vorhanden waren.
Man verabredete sich also im inzwischen 10 Millionen Mitglieder starken Reddit-Forum Wallstreetbets (hier geht es zum Forum), und kaufte die Aktie kräftig hoch. Die Shorties verloren viel Geld, und mussten ihre Short-Positionen glatt stellen. Durch ihre Käufe schoss der Kurs nur noch mehr in die Höhe. Und bis heute konnte sich die Gamestop-Aktie trotz Verlusten noch auf einem erhöhten Niveau halten, welches kaum realen Bewertungen entspricht. Eine Legende war geboren. Bis heute schauen sehr viele Zocker ständig auf neue Bewegungen bei Gamestop, und hoffen auf den nächsten Push für die Aktie. Es müssen sich nur genug Privatzocker gleichzeitig zusammen finden, um eine Kurseuphorie auszulösen.
Deutsche Bank analysiert den „Zwergenaufstand an der Börse“
Genau dieses Phänomen hat die Deutsche Bank in einer aktuellen Denkschrift untersucht. Sie spricht von einem „Zwergenaufstand an der Börse“. Damit sind natürlich die kleinen Privatanleger gemeint, die einzeln noch nie eine Chance hatten gegen große institutionelle Anleger wie Hedgefonds, Pensionskassen oder Banken, wenn es darum ging Kurse zu bewegen. Aber vor allem durch das Wallstreetbets-Forum entstand sehr schnell ein Ort, wo man sich quasi schnell zu einer Trader-Masse zusammenschließen kann. Gemeinsam ist man stark und kann Hedgefonds tatsächlich in die Knie zwingen. Das ist ein ganz neues Phänomen an der Börse.
Die Autoren der Deutschen Bank stellen die Frage, ob soziale Medien die Funktion der Börse aushebeln können. Oder, so könnte man auch fragen (so meine Ergänzung): Ist es nicht eine Art von Gegengewicht gegen große Institutionen, die bislang den Markt beherrschten? Ist das nicht eher ein gesundes Korrektiv gegen diese Schwergewichte? Die Autoren der DB erwähnen, dass es vielen Tradern bei Wallstreetbets im Fall der Gamestop-Aktie gezielt darum gegangen sei „Hedgefonds abzustrafen“. Der Gamestop-Hype entwickelte sich laut den Autoren der DB zu einem regelrechten Feldzug der Privatanleger gegen die Hedgefonds. Spätestens als Tesla-Chef Elon Musk, selbst kein großer Fan von Shortsellern, über den Kurznachrichtendienst Twitter seine 47,7 Millionen Follower auf das Forum aufmerksam gemacht habe, sei Wallstreetbets viral gegangen, und die Gamestop-Aktie sei durch die Decke geschossen. Und es kam in der Tat zum sogenannten Short Squeeze (hier eine Begriffserklärung). Die Aktie stieg innerhalb weniger Tage um fast 2.000 Prozent auf bis zu 347 Dollar, und das ohne jeglichen fundamentalen Grund.
Funktionsfähigkeit der Börse gestört?
Ein Hedgefonds verlor Milliarden von Dollar, und musste sogar durch externe Geldgeber gestützt werden. Bei Anlegern, Investoren, Unternehmen, Politikern und beim Regulator herrscht laut DB-Autoren Diskussionsbedarf, weil der Broker Robinhood wegen zu geringen Kapitalrücklagen den Gamestop-Handel einschränkte, wo er für die Privat-Trader gerade am Interessantesten war. Gab es eine Verschwörung von Hedgefonds und dem Broker? So lautet zumindest die These vieler Beobachter. Aber in Wirklichkeit war der Broker zu schwach aufgestellt. Die DB-Autoren meinen, dass das Faszinierende an dem Gamestop-Debakel sei, dass Kleinanleger es geschafft hätten „das Grundprinzip der Börse auszuhebeln“. Eine Börse funktioniere nur, wenn viele Marktakteure voneinander unabhängig ihre Entscheidung treffen und sich dadurch ein Marktpreis bildet. Aber, so unsere Frage: Bei Wallstreetbets sind ja alle Kommentare und Chats öffentlich einsehbar. Also kann man hier kaum von geheimen Absprachen sprechen. Aber sind öffentliche Chats, wo sich viele Menschen treffen und diskutieren, dennoch rechtlich gesehen Absprachen? Kursmanipulation? Noch ist diese Frage nicht geklärt.
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Absprachen torpedieren laut den DB-Autoren die Funktionsfähigkeit der Börse – ganz unabhängig von der dahintersteckenden Motivation. Bislang seien Marktabsprachen den institutionellen Anlegern vorbehalten gewesen, und seien hart bestraft worden, wenn sie nachgewiesen werden konnten. Wer also habe heute den größten Einfluss auf Aktienkurse: ETFs, Social-Media-Plattformen oder doch Investmentprofis? Auch wenn Communitys wie Reddit derzeit im Fokus der Öffentlichkeit stehen, so seien es doch es weiterhin vor allem Banken, Broker und Research-Häuser, die bei Börsengängen die Preise festlegen. Ihren Aktienempfehlungen würden nicht nur Privatanleger, sondern auch institutionelle Investoren langfristig folgen.
Privatinvestoren werden gemeinsam zu Großanlegern
Das Grundproblem bei Gamestop waren laut DB nicht die Schwarminvestoren. Die Börse fuße auf dem Prinzip, dass immer nur ein kleiner Teil der Aktien gehandelt wird. Bei Gamestop sei dieses Grundprinzip mit dem Short Squeeze kurzzeitig ausgehebelt worden. Unternehmen mit solch hohen Shortpositionen wie Gamestop seien an der Börse aber nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Aber die Reddit-Community habe es geschafft einen milliardenschweren Hedgefonds in die Knie zu zwingen. Börsenteilnehmer sollten sich laut DB-Autoren darauf einstellen, dass durch soziale Medien mehr kurzfristige Hypes entstehen. Die Vernetzung von Kleininvestoren schaffe neue Großinvestoren, deren Firepower niemand vorab kennen könne. Mittelfristig werde aber jede Aktie weiterhin vor allem an der Gewinnerwartung des Unternehmens und an der Liquidität des Gesamtmarkts hängen.
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