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Indien: Warum sich die drittgrößte Ökonomie der Welt im freien Fall befindet

Das Taj Mahal ist das artchitektonische Symbol für Indien

Die nach Kaufkraftparität drittgrößte Volkswirtschaft der Welt wird besonders hart von den Folgen der Pandemie getroffen und bricht im Sommer um fast ein Viertel ein. Indien liegt mit insgesamt knapp vier Millionen Fällen auch bei den Corona-Zahlen aktuell weltweit hinter den USA und Brasilien auf Platz drei. Das Land steckt noch mitten in der ersten Welle der Grippe-Epidemie mit täglich neuen Rekorden bei den Neuansteckungen.

Indien erlebt den heftigsten Wirtschaftseinbruch seiner Geschichte

Mit 2,94 Billionen US-Dollar war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des südasiatischen Landes im Jahr 2019 erstmals höher als das BIP Frankreichs. Bereinigt um die Kaufkraft lag das Land sogar an dritter Stelle der größten Volkswirtschaften weltweit – noch vor Japan und Deutschland. Daher ist der Einbruch des indischen BIP im zweiten Quartal 2020 um 23,9 Prozent für die Weltwirtschaft ein Alarmsignal. Vor allem deshalb, weil sich das bevölkerungsreiche Land mit seinen 1,38 Milliarden Einwohnern noch mitten in der ersten Corona-Welle befindet und mit zuletzt 82.860 neuen Fällen innerhalb von nur 24 Stunden die weltweit höchste Expansionsdynamik aufwies.

 

Indien in der Weltrangliste der Wirtschaftsleistungen

Die Wirtschaft in Indien schrumpfte im zweiten Quartal 2020 auf Jahresbasis um fast ein Viertel, nachdem die Regierung von Premierminister Narendra Modi am 24. März die weltweit als am striktesten geltenden Eindämmungsmaßnahmen gegen die Seuche umsetzte. Der jüngst vermeldete Rückgang des Bruttoinlandsprodukts war weitaus tiefer, als die Prognosen der meisten Ökonomen dies vorhersagten. Der Wirtschaftseinbruch ist auch die Folge der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, bei der u. a. Unternehmen gezwungen wurden, über Nacht zu schließen, was zu einem geschätzten Verlust von 140 Millionen Arbeitsplätzen in Indien allein im zweiten Quartal führte.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert in seinem Update zum „World Economic Outlook“ für Indien einen starken Rückgang der Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 4,5 Prozent – ein „historisches Tief“. Als Begründung für den unter Bankenökonomen immer noch als zu optimistisch geltenden Rückgang gibt der IWF die länger als erwartet andauernden Gegenmaßnahmen und eine anschließend nur zäh verlaufende Erholung der indischen Wirtschaft an.

Grafik zur Veränderungsrate des indischen BIP

Die fiskalischen Hilfsprogramme für die Unternehmen und die Bevölkerung des Landes galten von Beginn an als zu gering, um die Folgen der Beschränkungen auch nur ansatzweise kompensieren zu können.

Gegenmaßnahmen konnten die Pandemie in Indien nicht stoppen

Ein soziales Netz wie in Deutschland gibt es in Indien nicht. Ganzen Familien ist über Nacht das komplette Einkommen weggebrochen. Armut und Hunger konterkarieren die Bemühungen der Regierung in Mumbai, die Ausbreitung der Krankheit im Land zu stoppen. Zwei Drittel der Menschen in Indien leben in Armut. Fast 940.000 Millionen Menschen müssen mit weniger als zwei US-Dollar pro Tag auskommen. Über 30 Prozent der Inder haben sogar weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag zur Verfügung und gelten somit nach internationalen Standards als extrem arm.

Gemäß der Hilfsorganisation SOS-Kinderdörfer sterben in Indien jedes Jahr 1,4 Millionen Kinder noch vor ihrem fünften Geburtstag. Neben Nigeria, Pakistan, der Demokratischen Republik Kongo und China zählt Indien damit zu den Ländern mit der höchsten Kindersterblichkeit weltweit. Bereits vor dem Ausbruch der Pandemie waren Lungenentzündungen maßgeblich mit dafür verantwortlich.

Durch Mangelernährung, schlechte hygienische Verhältnisse und fehlende medizinische Versorgung sind vor allem die Armen in Indien von der Corona-Krise bedroht und die Gegenmaßnahmen der Regierung oft unwirksam. Selbst Mund-Nase-Masken sind für viele Inder unerschwinglich. Während der Lockdown die Wirtschaft in historischer Dimension einbrechen lässt, konnte die Ausbreitung des Covid-19 Erregers daher unter den 1,38 Milliarden Indern bisher auch nicht gestoppt werden.

Indien wurde Anfang April erst relativ spät von der Pandemie erfasst – dafür droht die Lage nun außer Kontrolle zu geraten: Bei dem gegenwärtigen Tempo der Ausbreitung des Virus in Indien wird erwartet, dass das Land Brasilien und die USA in Bezug auf die Gesamtzahl der Covid-19-Fälle bald übertreffen wird und an die erste Stelle der weltweiten Corona-Statistik vorrückt.

Die Zahl der gemeldeten Neuansteckungen lag am 2. September bei 82.860. Zum Vergleich: In den USA lag die höchste Zahl der Neuansteckungen am 24. Juli 2020 bei 78.619 und in Brasilien am 29. Juli 2020 bei 70.869. Da Indien über viermal mehr Einwohner als die USA verfügt und das Gesundheitssystem signifikant weniger gut ausgebaut ist, befürchten die Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass Indien den Rekord bei der Gesamtzahl der Fälle in den USA noch im Laufe dieses Jahres einstellen wird.

Am Montagabend war auch der in Indien prominente Pranab Mukherjee, der 84-jährige ehemalige Präsident und ehemalige Finanzminister des Landes, an den Folgen des Corona-Virus verstorben. Damit gehört er zu den bislang 68.000 Todesopfern im Land. Zum Vergleich: Die Pandemie forderte in den USA bislang mehr als 190.000 Menschenleben und in Brasilien mehr als 120.000 Todesopfer.

Grippewelle versetzt dem Land den Knockout

Die indische Wirtschaft geriet bereits vor der Pandemie ins Stocken. Das BIP-Wachstum verlangsamte sich von 2015 bis 2019 vier Jahre in Folge (siehe BIP-Grafik oben). Im ersten Quartal 2020 verlangsamte sich die Wachstumsdynamik auf Jahresbasis bereits auf nur noch 3,1 Prozent. Die Ende März verhängten Maßnahmen gegen das Coronavirus wirken jedoch verheerend. Von April bis Juni ging der private Verbrauch gegenüber dem Vorjahr um 27 Prozent zurück und die Investitionen gar um 47,5 Prozent. Dabei sollten gerade die Auslandsinvestitionen in diesem Jahr die Wachstumsdynamik wieder ankurbeln.

Fazit und Ausblick

Ein Ende der Corona-Krise ist für Indien noch nicht in Sicht. Wie Brasilien kommen zu den auch im Westen bekannten Herausforderungen bei der Eindämmung der Pandemie noch spezifische Probleme hinzu. Ein Großteil der Bevölkerung kann sich gar nicht adäquat schützen oder verhalten, wie es eigentlich notwendig wäre. Oft mangelt es schon an ausreichender Ernährung, um die Immunkräfte zu stärken.

Für die deutsche Politik sollte Indien eine Mahnung sein, die Erwartung an eine wirtschaftliche Erholung in Deutschland nicht allzu hoch zu schrauben. Das stark von der Weltwirtschaft abhängige Deutschland ist auch von der geringeren Nachfrage aus Indien, z. B. im Bereich Automobilzulieferer, negativ betroffen. Das Land reiht sich damit in eine lange Schlange von bisher dynamisch wachsenden Schwellenländern ein, die deutschen Unternehmen nun das internationale Geschäft verhageln.



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6 Kommentare

  1. Mir ein Rätsel , wenn fast 70% kein Zugang zum Gesundheitswesen hat, wie dann die Infektionszahlen zustande kommen – wird da nur geschätzt?

  2. Wo ist denn mein Kommentar hin?

    1. @RETNIW: Die Zahlen spiegeln die tatsächlich erfassten Fälle wieder. Aber es gibt in Indien eine sehr große Dunkelziffer, die deutlich höher ausfällt als zum Beispiel in Deutschland.

  3. Moin, moin,

    irgendwie stößt man bei Artikel über bspw. Indien immer auf die Frage, wieso diese Länder so eine hohe Zahl von Bevölkerung brauchen. Wofür, wozu? Es gibt natürliche Ressourcen, wie bspw. Trinkwasser, bebaubare Fläche, landwirtschaftliche Fläche etc. . Wozu nicht weniger Leute und dafür eine bessere Versorgung für den Rest.

  4. Für Indien sind die Massnahmen ein weitaus grösseres Problem als der Virus.Allein durch die Demographie. Das sollte eigentlich ein blinder mit Krückstock erkennen. In dem Land ist Armut ein weitaus grösseres Problem welche jetzt durch die Massnahmen multipliziert wird.

    1. Hier ist das Rechenbeispiel, was wir in Deutschland schon mal hatten, noch genauer:
      Man schützt die Bevölkerung von 0,004% Toten, und es sterben durch Verhungern 5%. (Bei uns war es das Verschieben von wichtigen OPs und Behandlungen, und das Sterben (bzw. sich Aufgeben) der alten Leute im einsamen Altersheim.)

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