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Analyse Wie Russland dem Staatshaushalt die Ölnadel entzieht

Russland scheint sich spürbar abzunabeln von Einnahmen aus Öl- und Gasverkäufen. Der Anteil an den Staatseinnahmen sinkt deutlich. Hier dazu eine Analyse.

Russland-Fahne und Ölpumpe
Russland-Fahne und Ölpumpe. Grafik: MrDm - Freepik.com

Ein Blick auf Finanzzahlen zum Staatshaushalt vom Finanzministerium und der Bundesrechnungskammer in Russland zeigt, dass der Anteil des Öl- und Gassektors an den Haushaltseinnahmen schwindet. Die Konjunktur des Inlandmarktes scheint Verluste aufzufangen. Zugleich schwächte sich der Rückgang aus Einnahmen der Öl- und Gaswirtschaft im Staatshaushalt ab, so dass Russland bei den Budgeteinnahmen zuletzt ein Plus von über 4 Prozent verbuchen konnte und sich das Defizit, wie geplant, auf knapp unter 2 Prozent bewegt.

Russland: Anteil von Öl- und Gaseinnahmen am Staatshaushalt ist geschrumpft

Der Anteil der Einnahmen im Staatshaushalt aus dem Öl- und Gassektor sei in den letzten 16 Jahren auf ein Minimum gesunken, berichtete das Wirtschaftsportal RBK daily am 23. November anhand von Zahlen der Bundesrechnungskammer. In den ersten drei Quartalen 2023 belief sich dieser Anteil demnach auf rund 28,3 % aller Einnahmen und markierte gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum einen Rückgang von 15 Prozentpunkten. In ähnlicher Größenordnung bewegte sich der Einnahmenanteil im Coronajahr 2020 in Russland mit 29,2 Prozent. Einst machte er knapp die Hälfte aller Budgeteinnahmen aus. Jetzt umfasst er nicht einmal mehr ein Drittel.

In absoluten Zahlen sank das Budgeteinkommen aus der Öl- und Gaswirtschaft in den ersten drei Quartalen dieses Jahres um 2,9 Billionen Rubel auf 5,58 Billionen Rubel. Die staatlichen Rechnungsprüfer erklärten diese Dynamik der Öl- und Gaseinnahmen mit einem Rückgang des Durchschnittspreises für Öl der Marke Urals und Erdgas sowie mit einem Steuermanöver in der Öl- und Gasindustrie in Russland. Gleichzeitig erhöhten sich die Einnahmen außerhalb des Öl- und Gassektors. Sie stiegen von Januar bis September 2023 um 2,93 Billionen auf 14,16 Billionen Rubel. Experten führen dies auf den Haushaltsimpuls zurück, der die Nachfrage in der Wirtschaft erhöht und auch zum Wachstum der Steuereinnahmen beiträgt.

Staatseinnahmen liegen im Plus

Mit dem reduzierten Anteil der Öl- und Gaswirtschaft am Aufkommen im Staatshaushalt fallen rückläufige Öl- und Gaseinnahmen in der Gesamtbilanz nicht mehr so stark ins Gewicht. Dazu wird aus den beiden unten stehenden Tabellen vom Finanzministerium ersichtlich, dass sich der Rückgang der Öl- und Gaseinnahmen in Russland im Jahresverlauf deutlich abgeschwächt hat. War von Januar bis April 2023 noch ein deutliches Minus von 52,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu verzeichnen, betrug das Minus von Januar bis Oktober 2023 nur noch 26,3 Prozent gegenüber Januar bis Oktober 2022. Wir sehen die Erfüllung des Bundeshaushalts Januar bis Oktober 2023 (vorläufige Daten) in Milliarden Rubel.

Staatseinnahmen und Ausgaben in Russland Quelle: Russisches Finanzministerium am 7. November 2023

Außerdem legten die Einnahmen außerhalb des Öl-und Gassektors im Staatshaushalt deutlich zu, so dass die Budgeteinnahmen nach monatelangen Verlusten bis September die schwarze Null erreichten. Zusammen mit dem Monat Oktober ist daraus ein Plus mit 4,4 Prozent geworden. Auch bei den Staatsausgaben fällt der Zuwachs mit 11,7 Prozent von Januar bis Oktober 2023 in Russland deutlich geringer aus. Von Januar bis April 2023 legten die Ausgaben 26,3 Prozent zu, so dass das Budgetdefizit über dem verordneten Soll von knapp 3 Billionen Rubel lag. Zuletzt waren es nur noch rund 1,2 Billionen Rubel, umgerechnet rund 12,5 Milliarden Euro.

Gaswirtschaft soll mehr zahlen

Nach Angaben der Bundesrechnungskammer reduzierten sich in den drei Quartalen des Jahres 2023 die Steuereinnahmen aus der Öl- und Gasförderung, die den Großteil der Öl- und Gaseinnahmen ausmachen und die Exportzölle deutlich. Besonders stark habe sich dies in der Ölwirtschaft ausgewirkt. Exportzölle sanken um das 3,4-fache von 2,18 Billionen in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 auf 640 Milliarden Rubel im Jahr 2023. Ab 2024 sollen die Exportzölle auf Öl und Erdölprodukte in Russland nach Abschluss des Steuermanövers in der Ölindustrie auf Null zurückgesetzt werden. Für Gas sollen sie indes erhalten bleiben. Um niedrigere Einnahmen aus dem Ölsektor auszugleichen, soll ab 2024 der russische Gaskonzern Gazprom eine erhöhte Fördersteuer auf Gas und Gaskondensat entrichten. Dies beschloss der Föderationsrat jüngst im November. Auch für Novatek sind Gewinnsteuern vorgesehen, die in den Bundeshaushalt fließen sollen.

Russland kassiert Übergewinne ab

Der Rückgang des Anteils der Öl- und Gaseinnahmen habe hauptsächlich nichts mit der Preisobergrenze und den Sanktionen zu tun, erklärte Anton Tabach, Chefökonom bei Expert RA. „Sie erhöhen natürlich die Transaktionskosten und verringern die Einnahmen, aber nicht in dem Maße, wie es sich die Initiatoren wünschen“, stellte der Ökonom fest. Zugleich sorge gerade das erhöhte Steueraufkommen außerhalb der Öl- und Gasbranche in Russland für Ausgleich. Die Regierung plane 2023 zusätzlich eine Übergewinnsteuer von Unternehmen 300 Milliarden Rubel zu erheben. Davon hätten sie bereits 40 Milliarden Rubel eingebracht, stellte Finanzminister Anton Siluanow im November in Aussicht. Die Hauptzahlungen erwartet der Minister jetzt im November und Dezember.

Jenseits von offiziellen Zahlen mit wachsender Inlandsnachfrage und erhöhtem Steueraufkommen zeigt der russische Influencer Sergej Wolkow auf seinem YouTube Kanal Russische Geheimnisse Bilder von seinen Reisen und Wanderungen durch verlassene Dörfer, Geisterstädte und die Tschernobyl-Zone, die von der wechselvollen Geschichte des Landes Zeugnis geben. Gulag, geschlossene Kohleschächte, einstige Kolchosen der Sowjetzeit und verstrahlte Orte hinterlassen Spuren des Verfalls, wo einst Menschen lebten und nur wenige geblieben sind.

Wolkow will damit auf ungewöhnliche menschliche Schicksale und die Geschichte verlassener Orte aufmerksam machen. Ob neue moderne Wohnungen in Moskau, für die er ebenso wirbt, das auffangen können, was in den Weiten des Landes vor sich hinrostet, ist vermutlich so geheimnisvoll wie die Steuermanöver in Russland. Mit Blick auf die offiziellen Finanzdaten in Russland hält Wirtschaftsexperte Tabach es in jedem Fall für eine Verbesserung, dass der Staatshaushalt, wie seit Jahren gefordert, offenbar endlich von der Ölnadel loskommt.



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6 Kommentare

  1. Sehr geehrte Frau Bollinger-Kanne,
    ist abschätzbar, in wie weit die Gewinnsteuer- und Mehrwertsteuer-Einnahmen aus dem militärisch industriellen Komplex stammen? Und ist abschätzbar, wie dieser militärisch industrielle Komplex finanziert wird, da er ja wenig erwirtschaftet: Der russische Rüstungsexport wird aufgrund Eigenbedarf einbrechen und die Erlöse von Söldnertruppen dürften marginal sein.
    Besteht die Möglichkeit, dass Grossunternehmen gezwungen werden, auf Einnahmen oder Reserven zu verzichten, um diese dem militärisch industriellen Komplex für Produktion und „militärische Dienstleistungen“ zur Verfügung zu stellen?
    Freundliche Grüße Rolf Schneider

  2. 28% entspricht dem Anteil des fossilen Erdöls innerhalb der energiepolitischen Agenda der Öl-Allianz OPEC+/Energiemix bestehend aus 28% fossilem Erdöl, fossilem Erdgas, Wasserstoff, Wasserkraft, Sonnenenergie, Atomenergie, Kohleindustrie, Windenergie und Biomasse.

    1. Carsten Schneider, Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland im Bundeskanzleramt(,)erklärte im Rahmen einer Deutscher Bundestag-Aktuelle Stunde zum Wirtschaftsstandort Ostdeutschland, die PCK-Raffinerie in Schwedt könne auch ohne russisches Erdöl, Erdöl von alternativen Anbietern ohne entsprechenden Kostenaufschlag beziehen. Das OPEC+-Mitgliedsland Russische Föderation hat im Rahmen des russischen Öl-Embargos alternative Abnehmer gefunden. Ohne das genannte russische Öl würde der Ölpreis steigen. Auch Ministerpräsident a.D. Oskar Lafontaine stellte in der aktuellen Ausgabe der ard-Sendung Maischberger fest, daß es ohne russisches Öl nicht geht.

      1. Mein Bundeskanzler Olaf Scholz, eine energie- und rohstoffpolitische Dachpappe, spricht sich auf der COP 28 für „zu 100%“ weg vom Öl aus/Quelle: n-tv-Teletext.

        1. Ich bin wirklich positiv überrascht über die Tatsache, daß sich die Biden-Harris-Administration auf der COP 28 offenbar zur energiepolitischen Agenda der Öl-Allianz OPEC+/Energiemix bestehend u.a. aus ca. 28% fossilem Erdöl bekennt.

  3. Danke für den Hinweis auf den Youtube-Kanal von Sergej Wolkow. Ist zwar 100% russisch, aber ich probiere es mal mit dem „Simultandolmetscher“ von Google / Youtube.

    Eine amüsante Koinzidenz: wenn man nach „Sergej Wolkow“ sucht findet man als ersten Treffer die Bio eine russischen Kosmonauten gleichen Namens. Dieses riesige, fast leere Land, erschien mir immer als Kosmonautenheimat – ein bischen wie ein eigener Planet, auf dem man ein paar menschliche Ansiedlungen findet. Lost Places gehören einfach dazu.

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