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Müssen Aktienkurse fallen? Wall Street steht vor einem Bewertungsproblem trotz Fed-Wende

Wall Street steht vor einem Bewertungsproblem trotz Fed-Wende
Wall Street - Foto: Elnurfreepik - Freepik.com

Die Diskrepanz zwsichen den stark gestiegenen Aktienkursen im Zuge der rasanten Rally der letzten Wochen und der Aussicht auf stagnierende Gewinnaussichten der Unternehmen im kommenden Jahr könnte an der Wall Street zum Bewertungspproblem werden. Denn die Gewinnprognosen der Unternehmen haben sich trotz der bevorstehenden Zinswende der US-Notenbank Fed nicht verändert. Da die Aktien im US-Leitindex S&P 500 bei gleichbleibenden Gewinnschätzungen deutlich gestiegen sind, sind nun auch die Bewertungen deutlich höher. Entweder müssen die Aktienkurse sinken oder die Gewinne in 2024 stark steigen, um diese Diskrepanz aufzuheben.

Diskrepanz am Aktienmarkt

Die Finanzwelt ist in Bewegung: Während die US-Notenbank sich darauf vorbereitet, die Zinsen zu senken, kletterte der Dow Jones auf ein neues Allzeithoch und der S&P 500 und Nasdaq 100 befinden sich in der Nähe ihrer Rekordstände. Doch eine Sache hat sich nicht geändert: Die Erwartungen der Wall Street an die Unternehmensgewinne.

Analysten gehen davon aus, dass die Unternehmen des S&P 500 Index im Jahr 2024 rund 247 US-Dollar pro Aktie verdienen werden, wie aus den von Bloomberg Intelligence zusammengestellten Daten hervorgeht. Das ist im Grunde dasselbe Niveau wie schon am 5. Mai diesen Jahres. Seitdem ist der Index jedoch um 14 % gestiegen, da die Wall Street die Ängste vor einer Bankenkrise, einer steigenden Inflation und der Möglichkeit einer bevorstehenden Rezession abgeschüttelt hat.

Dennoch haben sich die Gewinnschätzungen der Wall Street für die Unternehmen im breit gefassten S&P 500 im nächsten Jahr kaum verändert und bewegen sich zwischen 243 und 248 $ pro Aktie.

„Bei dieser Diskrepanz zwischen einer rasanten Aktienrallye und einer unveränderten Einschätzung der Gewinne pro Aktie im S&P 500 muss etwas nachgeben. Entweder müssen die Kurse sinken oder die Gewinne steigen“, sagte Matt Maley, Chefmarktstratege bei Miller Tabak + Co. „Nur weil die Fed die Zinsen nicht mehr erhöht, heißt das nicht, dass die Aktien weiter steigen können, während die Gewinnschätzungen unverändert bleiben.“

Wall Street: Unternehmensgewinne im S&P 500 unverändert trotz Fed-Wende
S&P 500: Ausblick auf Unternehmensgewinne unverändert

Ist die Rally an der Wall Street zu weit gelaufen?

Während die Risiken, die zu Beginn des Jahres noch eine Rolle spielten, jetzt weitgehend gedämpft sind, besteht immer noch Ungewissheit darüber, wie eine wirtschaftliche weiche Landung aussehen könnte und wie viel davon bereits in den Modellen der Analysten eingepreist ist. Der Optimismus, dass der Zinserhöhungszyklus vorbei ist, könnte zwar eine Welle von Anhebungen der Gewinnschätzungen rechtfertigen. Allerdings ist der Kampf der Fed gegen die Inflation noch nicht vorbei und der Zeitpunkt der Zinswende bleibt unbekannt.

Die Anleger stehen also vor der schwierigen Aufgabe, zu beurteilen, ob die jüngste Rallye die S&P 500-Aktien im Verhältnis zu ihren erwarteten Gewinnen zu hoch getrieben hat. Da die Aktien bei gleichbleibenden Gewinnschätzungen gestiegen sind, haben sich die Bewertungen von vernünftig auf etwas überhöht entwickelt. Nach dem siebten wöchentlichen Anstieg des S&P 500 in Folge – der längsten Gewinnserie seit 2017 – wird der Index mit dem 19,6-fachen der erwarteten Gewinne gehandelt – 10 % über dem Durchschnittswert der letzten 10 Jahre.

Es könnte nur eine Frage der Zeit sein, bis die Sell-Side-Analysten ihre Gewinnprognosen erhöhen, um den „Dot Plot“ der Fed widerzuspiegeln, der nun ein höheres Tempo der Zinssenkungen im Jahr 2024 im Vergleich zum September anzeigt. Ob und in welchem Umfang sie dies tun werden, ist eine offene Frage. Bisher haben sie ihre Prognosen für das nächste Jahr mehr nach unten als nach oben korrigiert, wie aus den von Morgan Stanley zusammengestellten Daten hervorgeht.

S&P 500: Die Divergenz zwischen den Gewinnrevisionen und Erträgen hat sich vergrößert
S&P 500: Die Divergenz zwischen den Gewinnrevisionen und Erträgen hat sich vergrößert

Wall Street blickt auf die Berichtssaison

Mike Bailey, Director of Research bei FBB Capital Partners, sagte, dass die Gewinnprognosen für 2024 realistischer aussehen als noch im Mai, nachdem die Fed die Tür für eine weiche Landung geöffnet und die Unternehmen gute Ergebnisse für das dritte Quartal vorgelegt haben.

Die Anleger richten ihre Aufmerksamkeit auf die Unternehmensgewinne für das letzte Quartal dieses Jahres, nachdem die Wall Street wichtige Events wie dei Zinsentscheidung der Fed und die Inflationsdaten für November gut überstanden hat. JPMorgan wird seine Quartalsergebnisse in vier Wochen veröffentlichen und damit die Gewinnsaison einleiten.

Es wird erwartet, dass der S&P 500 in den drei Monaten bis Dezember ein Gewinnwachstum von 1,6 % verzeichnen wird, nachdem die Ergebnisse des dritten Quartals das Ende einer dreivierteljährigen Serie von Gewinnrückgängen markierten.

Erholung nach einem Rezessionstief

Der Gewinnrückgang des S&P 500 war lang, aber relativ gering, was auf ein geringeres Gewinnwachstum hindeutet, als sich die Bullen derzeit erhoffen. Wenn man die letzten 12 Monate betrachtet, verzeichnete der S&P 500 vom Höchststand bis zum Tiefststand einen Rückgang des Gewinns pro Aktie um 13 %. Das liegt deutlich unter dem durchschnittlichen Rückgang von 26 % vom Höchststand bis zum Tiefststand seit Ende der 1960er Jahre, wie von Bloomberg Intelligence zusammengestellte Daten zeigen.

Die Bloomberg-Daten zeigen ebenfalls, dass einem Gewinntief seit dieser Zeit ein durchschnittlicher Anstieg des Gewinns pro Aktie um fast 16 % in den nächsten 12 Monaten folgte, wobei die Finanzkrise und die Pandemie nicht berücksichtigt wurden. Das ist mehr als die 11 % Gewinnwachstum, die für das nächste Jahr im S&P 500 erwartet werden.

Wall Street: Typische Gewinn pro Aktie Erholung nach einem Rezessionstief
Typische EPS-Erholungen vom Rezessionstief

Marshall Front rechnet daher mit weiteren Anhebungen der Gewinnschätzungen der Wall Street-Analysten.

„Die Erwartungen für die Jahre 2024 und 2025 werden wahrscheinlich durch die veränderten Erwartungen in Bezug auf den Zinskurs der Federal Reserve angehoben“, so Front, Chief Investment Officer bei Front Barnett Associates. „Der Überschwang bei den Aktiengewinnen ist allerdings nur bis zu einem gewissen Grad gerechtfertigt: Endlich sind die Menschen erleichtert, dass die Fed die Zinsen nicht weiter erhöhen wird.“

FMW/Bloomberg



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