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Zahnloser Tiger EU: Was nützt ein Urteil, wenn der Schuldige gleichzeitig auch der Gerichtsvollzieher ist?

Zahnloser Tiger EU, da haben wir uns mal eine griffige Formulierung ausgedacht. Aber das trifft im folgenden aktuellen Beispiel perfekt zu, an dem man sehen kann, wie hilflos und unbedeutend...

FMW-Redaktion

Zahnloser Tiger EU, da haben wir uns mal eine griffige Formulierung ausgedacht. Aber das trifft im folgenden aktuellen Beispiel perfekt zu, an dem man sehen kann, wie hilflos und unbedeutend die EU ist, wenn es mal ernst wird. Die meisten Menschen mögen doch klare Verhältnisse. Daher sollte man doch sagen: Entweder wir lassen die ganze Sache mit der europäischen Integration sein, und belassen die EU in einem Status als lose Gemeinschaft von Einzelstaaten – oder man schafft eine richtige ernstgemeinte Integration, bei der zum Beispiel Entscheidungen einer zentralen Instanz wie einem europäischen Gericht auch wirklich umgesetzt werden können. Dass die EU in dieser Hinsicht einfach nicht funktioniert, konnte man vor Kurzem bereits bewundern bei den Defizitverstößen Spaniens und Portugals, wo die anderen Mitglieder zusammen mit der EU beschlossen aus Höflichkeit auf eine Strafe zu verzichten.

Das aktuelle Beispiel macht die Hilflosigkeit der EU-Institutionen aber mehr als deutlich. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte nämlich bereits 2009 festgestellt, dass Griechenland sich schlicht und einfach nicht um seinen Giftmüll gekümmert hatte. Keine speziellen Deponien, keine Entsorgungsverfahren – das Zeug verrottet und versickert einfach so in der Landschaft, um es mal klar zu sagen. Bis 2013 gab damals der EuGH Griechenland Zeit diese Missstände abzustellen. Es geschah nichts. Also beschloss die EU-Kommission im Jahr 2014 gegen Griechenland eine sogenannte „Vertragsverletzungsklage“ einzureichen, da das Land durch diese Nichtumsetzung gegen EU-Richtlinien verstieß.

Aktuell nun das Urteil des EuGH. Griechenland verletze seit sechs Jahren EU-Recht, und gefährde massiv die Gesundheit seiner Bürger. Und in diesen sechs Jahren geschah nichts. Das Gericht verdonnert Griechenland zu einer Strafzahlung von 10 Millionen Euro. Hinzu kommen ab sofort täglich weitere 30.000 Euro Zwangsgeld gegen Griechenland, bis die Missstände behoben sind. Besonders lustig oder traurig, je nach Sichtweise: Der EuGH sieht diese Strafe als Warnschuss, um künftigen Verstößen gegen Unionsrecht vorzubeugen… zu der ganzen Sache unsere Meinung:

Erstens: Griechenland hat das erste Urteil jahrelang ignoriert und einfach nichts getan. Warum auch? Man war Verurteilter und letztlich als staatliche Instanz, die das Urteil vor Ort umzusetzen hat, auch „Gerichtsvollzieher“ in einer Person. Zweitens: Die jetzige 10 Millionen Euro-Strafe wird Griechenland womit bezahlen? Natürlich, aus dem EU-Rettungsbudget in Höhe von 86 Milliarden Euro. Und dass man dieses Geld jemals zurückzahlen wird – herje, jeder kennt die Antwort. Also wo ist die Strafe? Dieses Beispiel zeigt (leider!) die aktuelle Hilfslosigkeit der EU, wenn man ein Staatengebilde formt, das gegenüber seinen Einzelteilen hilflos ist. Das wäre so als könnte ein Urteil des deutschen  Bundesgerichtshofs nicht vollstreckt werden, weil das Bundesland in dem der Straftäter wohnt, keine Lust hat das Urteil umzusetzen. Die EU-Mitglieder sollten sich Gedanken machen, wie das in Zukunft weitergehen soll. Aber es wirkt so, als sei selbst der Brexit kein richtiges Aha-Erlebnis gewesen!

Hier der interessante Teil des EuGH-Urteils im Wortlaut:


„In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass Griechenland nicht alle zur Durchführung des Urteils von 2009 erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat. So hatte Griechenland zum Stichtag 25. März 2013 noch immer keinen spezifischen Plan für die Bewirtschaftung gefährlicher Abfälle erlassen, geschweige denn ein integriertes und angemessenes Netz von Anlagen zur Beseitigung gefährlicher Abfälle errichtet oder eine unionsrechtskonforme Bewirtschaftung der „Altabfälle“ (alte Abfälle, die vorübergehend an nicht für diesen Zweck vorgesehenen Orten zwischengelagert werden) umgesetzt. Nach Ansicht des Gerichtshofs ist die Vertragsverletzung Griechenlands nicht nur weil sie seit mehr als sechs Jahren andauert, sondern auch weil sie unmittelbar die menschliche Gesundheit gefährden und die Umwelt schädigen kann, besonders schwerwiegend. Er weist u. a. darauf hin, dass der Bau mehrerer Anlagen sowie von drei Deponien für die Behandlung gefährlicher Abfälle noch immer nicht begonnen hat. Vor diesem Hintergrund hält es der Gerichtshof für angebracht, Griechenland zu verurteilen, in den Unionshaushalt ein Zwangsgeld von 30 000 Euro für jeden Tag des Verzugs bei der Umsetzung der Maßnahmen zu zahlen, die erforderlich sind, um dem Urteil von 2009 nachzukommen, beginnend mit dem heutigen Tag bis zur vollständigen Durchführung des Urteils von 2009. Zudem hält es der Gerichtshof für angemessen, Griechenland zur Zahlung eines Pauschalbetrags von 10 Mio. Euro in den Unionshaushalt zu verurteilen, um einer künftigen Wiederholung entsprechender Verstöße gegen das Unionsrecht vorzubeugen.“



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