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Brasilien-Zentralbank vor Zinswende nach unten

In Brasilien steht die Zentralbank vor eine Zinswende nach unten. Hier eine Analyse mit Blick auf die aktuelle Lage.

Nach einer ausgedehnten Zinspause folgen in Brasilien wahrscheinlich keine weiteren Zinsanhebungen, sondern eine Zinswende nach unten. Das geht aus dem Protokoll der letzten Zinssitzung der brasilianischen Zentralbank vom 21. Juni hervor. Vor allem der Druck aus Politik und Wirtschaft führen zum Umdenken. Hier dazu eine Analyse.

Leitet nach China nun auch die Zentralbank in Brasilien eine Zinswende ein?

Bereits im August könnte es so weit sein: die brasilianische Zentralbank (portugiesisch: Banco Central do Brasil, BCB) denkt ernsthaft darüber nach, ihren aggressiven Zinszyklus, der den Leitzins (Selic Lending Rate) von 2 Prozent Anfang 2021 schnell auf 13,75 Prozent am 3. August 2022 führte, zu beenden. Seit sieben Zinssitzungen pausiert die BCB. So auch auf ihrer jüngsten Sitzung am 21. Juni. Zuletzt lag der Leitzins für Brasilien im Jahr 2016 auf einem ähnlich hohen Niveau, nachdem der brasilianische Real damals gegenüber dem US-Dollar von 0,65 BRL/USD im Juli 2011 auf 0,24 BRL/USD im Januar 2016 förmlich kollabiert war. Aktuell notiert der Real bei 0,2081 zum Dollar. Die Pandemie-Wirtschaftskrise gab der brasilianischen Währung den Rest.

Dennoch sei man laut dem am Dienstag veröffentlichten Sitzungsprotokoll der Zentralbank möglicherweise in der Lage, die Zinswende für Brasilien bereits auf der nächsten Sitzung nach der Sommerpause am 2. August einzuleiten, da Spitzenmanager und die Regierung auf klare Anzeichen eines neuen geldpolitischen Lockerungs-Zyklus drängen würden.

Entwicklung und Aussicht für die Zinsen in Brasilien

Laut Bloomberg macht die BCB die Zinswende allerdings von einer weiteren Abschwächung der Inflationsrate in Richtung ihrer Zielmarke in Höhe von 3 Prozent p. a. abhängig und bittet noch um etwas Geduld. Wörtlich heißt es in dem Sitzungsprotokoll im Beamten-Sprech: „Die vorherrschende Einschätzung war, dass die Fortsetzung des anhaltenden Desinflationsprozesses mit seinen daraus resultierenden Auswirkungen auf die Erwartungen es ermöglichen könnte, das nötige Vertrauen aufzubauen, um bei der nächsten Sitzung einen sparsamen Wendeprozess einzuleiten.“

„Es besteht Konsens über eine Zinssenkung im August“, sagte Leonardo Costa, Ökonom bei der Vermögensverwaltung Asa Investments, der zuvor einen Lockerungszyklus erst im nächsten Jahr erwartet hatte. „Wir gehen jetzt davon aus, dass sie ab ihrer nächsten Zinssitzung schrittweise mit einer Lockerung um jeweils 25 Basispunkte beginnen werden.“

Neuer Staatspräsident und Spitzenmanager machen Druck

Die BCB ist eine brasilianische Bundesbehörde und dem Finanzministerium unterstellt (portugiesisch: Ministério da Fazenda). Der alte und neue Regierungschef Luiz Inácio Lula da Silva setzt sich seit seinem Amtsantritt am 1. Januar öffentlich für niedrigere Kreditkosten ein. Nachdem er die aktuellen Zinssätze der Zentralbank wiederholt als „absurd“ bezeichnet und behauptet hatte, sie würden die Arbeitslosigkeit in Brasilien ankurbeln, begann seine Kritik über die Regierung hinaus Widerhall zu finden. Seiner Meinung nach schaden die hohen Zinsen der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes, und er fordert eine Zinswende.

Spitzenmanager, darunter Luiza Trajano von Magazine Luiza SA, forderten sofortige Zinssenkungen und sagten, dass kleine und mittlere Unternehmen in Brasilien unter unzureichendem Zugang zu Krediten, hohen Lagerbeständen und geringen Umsätzen leiden. Auch die Senatoren, die die ultimativen
Garanten für die Autonomie der Zentralbank sind, haben sich dem Chor der Missbilligung angeschlossen. Die Bitte der Zentralbank, noch etwas geduldig zu sein, verärgerte Lulas Regierung, die zumindest einen klareren Hinweis darauf erwartete, dass der Beginn eines geldpolitischen Lockerungszyklus nahe sei. Damit steigt der fiskalpolitische Druck auf die Geldpolitiker der BCB.

Inflationsziel und Zinswende in Brasilien in greifbarer Nähe

Anders als ihre Pendants in den USA und der Euro-Zone liegt das Inflationsziel der BCB etwas höher, also nicht bei zwei, sondern bei drei Prozent p. a. Die jährliche Inflation in Brasilien sank Anfang Juni auf den niedrigsten Stand seit September 2020, unterstützt durch gesunkene Transport- und Lebensmittelkosten, berichtete das nationale Statistikinstitut (portugiesisch: Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística, IBGE) am Dienstag in einer separaten Pressemitteilung. Die Verbraucherpreise stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 3,4 Prozent, und lagen damit knapp über der durchschnittlichen Schätzung von 3,38 Prozent, die von Analysten in einer Bloomberg-Umfrage geschätzt wurde. Die monatliche Inflation lag bei 0,04 Prozent.

Entwicklung der Inflation in Brasilien

Die Analysten von Bloomberg Economics äußern sich wie folgt zu der möglichen Zinswende Anfang August: „Das Protokoll der Juni-Sitzung der brasilianischen Zentralbank brachte leicht gemäßigte Botschaften – unserer Ansicht nach eine Reaktion auf die politische Kritik an einer weiteren Zinserhöhung. Sie deuten darauf hin, dass eine Zinswende im August auf dem Tisch liegt, insbesondere wenn der Nationale Währungsrat auf seiner Sitzung am 29. Juni an dem Inflationsziel von 3 Prozent für die kommenden Jahre festhält.“

Die Swap-Sätze des im Januar 2024 fälligen Kontrakts, die die Stimmung der Anleger gegenüber der Geldpolitik anzeigen, fielen am Dienstag um 4 Basispunkte. Vor der Veröffentlichung des Protokolls hatten die Händler bereits eine Zinssenkung um einen Viertelpunkt Anfang August eingepreist.

Frühe Zinsanhebungen und bereits sichtbare Konsequenzen

Brasiliens Zentralbank gehörte zu den ersten, die im Zuge der Pandemie-Inflation die Zinsen anhoben. Auch deshalb haben die geldpolitischen Entscheidungsträger unter der Leitung von Zentralbankchef Roberto Campos Neto nun Handlungsspielraum für eine Zinswende nach unten.
Nachdem die Zinssätze mehr als neun Monate lang stabil auf einem Sechsjahreshoch gehalten wurden, frieren die Kreditflüsse für kleine und mittlere Unternehmen in Brasilien zunehmend ein, die Einzelhandelsumsätze verlangsamen sich, die PKW-Verkäufe sind so gut wie ins Stocken geraten, und die Industrieproduktion geht zurück. Gleichzeitig verstärken sich die disinflationären Tendenzen sowie die Rezessionsrisiken.

Wirtschaftsdaten in Brasilien gemischt – Warten auf Inflationsziel

Brasilien als größte Volkswirtschaft Lateinamerikas liefert aktuell gemischte Signale: Die Agrarproduktion steigt, während andere Sektoren stagnieren. Insgesamt wuchs die brasilianische Wirtschaft im 1. Quartal 2023 nominal um 4,0 Prozent:

Veränderungen im brasilianischen BIP

„Angesichts der anhaltenden Unsicherheit rund um das offizielle Inflationsziel öffnet sie die Tür für Zinssenkungen langsam und vorsichtig“, sagte Cristiano Oliveira, Chefökonom der Banco Pine. „Wenn das derzeitigen 3-Prozent-Ziel unverändert beibehalten wird, werden die Zinssenkungen im August beginnen.“ Investoren warten auf eine Entscheidung über langfristige Inflationsziele für Brasilien später in dieser Woche, wenn Campos Neto, Finanzminister Fernando Haddad und Planungsministerin Simone Tebet zusammenkommen, um das Inflationsziel für 2026 festzulegen.

Zentralbank von Brasilien in Brasilia
Zentralbank von Brasilien in Brasilia. Photographer: Andressa Anholete/Bloomberg

FMW/Bloomberg



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