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Ein Land im Lähmungszustand China: Macht, Loyalität und Feinde unter der Herrschaft von Xi Jinping

Foto: Kevin Frayer/Getty Images
Foto: Kevin Frayer/Getty Images

Seit Xi Jinping an der Spitze der Kommunistischen Partei steht, hat er eine umfassende Anti-Korruptionskampagne in China ins Leben gerufen, die als “Fliegen und Tiger”-Kampagne bekannt geworden ist. Diese Kampagne, die sowohl einfache Beamte (“Fliegen”) als auch hochrangige Funktionäre (“Tiger”) ins Visier nimmt, soll eine Art Gleichheit vor dem Gesetz demonstrieren: Niemand ist vor Bestrafung sicher, unabhängig von seiner Position. Mehrere Millionen Beamte wurden bereits sanktioniert, wobei die Strafen von Verwarnungen bis hin zu drakonischen Maßnahmen reichen. Doch die Kampagne zeigt kein Ende, sondern weitet sich aus – zuletzt auf die Volksbefreiungsarmee, wo insbesondere die Raketenstreitkräfte von einer neuen Säuberungswelle betroffen sind.

Diese Art von Anti-Korruptionsmaßnahmen ist in China nicht neu – sie wurden von früheren Parteiführern genutzt, um politische Gegner auszuschalten. Doch die Popularität solcher Kampagnen bei der Bevölkerung, die Korruption als allgegenwärtiges Übel empfindet, steht im Kontrast zu den reichen Eliten des Landes, zu denen paradoxerweise auch die Familie Xi Jinpings gehört, der ein enormes Vermögen nachgesagt wird.

In einem dieser Tage in der Parteizeitschrift “Qiushi” veröffentlichten Artikel äußerte sich Xi Jinping zur anhaltenden Kampagne. Er betonte, dass das Ziel einer strengen Führung über die Partei nicht sei, “die Menschen zu ersticken, sie übermäßig vorsichtig und ängstlich zu machen, leblos und untätig werden zu lassen und sie in einen Stillstand zu führen.” Vielmehr gehe es darum, die Richtung zu klären und Regeln festzulegen, um eine positive und gesunde politische Ökologie sowie ein gutes Umfeld für Funktionäre zu schaffen, damit sie in ihrer Arbeit Eigeninitiative ergreifen können. Die breite Verbreitung des Artikels in Staatsmedien deutet auf die Wichtigkeit dieser Botschaft hin und lässt vermuten, dass die Partei weiterhin eine starke Hand behält, um Korruption zu bekämpfen und Disziplin zu gewährleisten.

Nachdem sich Xi Jinping letztes Jahr als erster Führer seit Deng Xiaoping eine dritte Amtszeit als Präsident, Generalsekretär und Vorsitzende der Zentralen Militärkommission sichern konnte, wurde bei der diesjährigen “Zwei Sitzungen” deutlich, dass Xi Jinping gewillt ist, seine Macht weiter auszubauen. Die Abschaffung der traditionellen Pressekonferenz des Premierministers und die Änderungen im Organisationsgesetz stärken den Einfluss der Partei. Li Qiang, ein loyaler Gefolgsmann Xis, hebt die Bedeutung der zentralisierten Führung hervor, was die unangefochtene Autorität Xis unterstreicht.

Diese Ereignisse und die fortlaufenden Säuberungen innerhalb der Partei und des Militärs werfen Fragen auf, die durch die Theorien Hannah Arendts über totalitäre Systeme beleuchtet werden können. Ihre Analysen bieten einen Rahmen, um die tiefere Logik hinter den Handlungen der chinesischen Führung zu verstehen.

Hannah Arendt und das Wesen des Totalitarismus

In ihrem Hauptwerk untersucht Arendt die historische Entstehung und die politischen Merkmale des Nationalsozialismus und des Stalinismus, die sie als paradigmatische Beispiele totalitärer Herrschaft ansieht. Sie identifiziert den Totalitarismus nicht nur durch die offensichtliche Unterdrückung und Terror, sondern auch durch die subtilen Methoden der Kontrolle und Manipulation der Gesellschaft. Arendts Analysen heben hervor, wie totalitäre Regime durch das Schaffen eines Feindbildes und die permanente Mobilisierung der Massen ihre Macht festigen.

Die Parallelen zwischen Arendts Beschreibungen und der gegenwärtigen politischen Landschaft in China sind unverkennbar. Die “Fliegen und Tiger”-Kampagne, die Ausweitung der Säuberungen auf das Militär und die Betonung von Loyalität und Autorität spiegeln die von Arendt beschriebenen totalitären Taktiken wider.Durch die Anwendung von Hannah Arendts Theorien als analytische Linse lässt sich ein tieferes Verständnis für die Beweggründe und möglichen Konsequenzen von Xis Handlungen erlangen.

Die Dualität der Feindbilder

Hannah Arendt hebt in ihrer Analyse totalitärer Systeme die Schaffung und Bekämpfung immer neuer Feinde als ein zentrales Merkmal hervor. Diese Praxis dient dazu, die Gesellschaft in einem ständigen Zustand der Mobilisierung und Angst zu halten. Im Nationalsozialismus manifestierte sich dies in der Verfolgung spezifisch definierter Gruppen wie den Juden, dem “slawischen Untermensch” oder Menschen, die als “lebensunwertes Leben” klassifiziert wurden.

In der Ära Xi Jinping lässt sich eine ähnliche, jedoch differenziertere Unterteilung beobachten: die Feinde der Partei und die Feinde des Volkes. Während die Feinde der Partei oft aus den eigenen Reihen stammen und als Bedrohung für die Reinheit und Einheit der kommunistischen Ideologie gesehen werden, sind die Feinde des Volkes jene, die als Gefahr für die soziale Stabilität und den Fortschritt in China betrachtet werden.

Xi Jinpings primäre Sorge gilt der Partei, deren oberstes Ziel es ist, die Macht unter allen Umständen zu bewahren. Dies spiegelt sich in der rigorosen Durchführung der “Fliegen und Tiger”-Kampagne wider, die sowohl hochrangige als auch niedrigrangige Beamte zur Rechenschaft zieht. Der informelle Gesellschaftsvertrag, der zwischen der Partei und dem Volk besteht, basiert auf einem Tauschgeschäft: politische Macht gegen wirtschaftlichen Wohlstand. Das Volk hat sich bereit erklärt, die Macht der Partei anzuerkennen, erwartet jedoch im Gegenzug, dass die Partei für Wohlstand und eine kontinuierliche Verbesserung der Lebensbedingungen sorgt.

Loyalität als Säule der Macht: Li Qiang

Hannah Arendt erkannte in ihren Studien über totalitäre Regime die zentrale Rolle der Loyalität als Stützpfeiler der Macht. Sie sah, wie totalitäre Führer bedingungslose Gefolgschaft über fachliche Eignung stellten, um ihre Herrschaft zu festige1. Diese Dynamik findet sich in der modernen chinesischen Politik wieder, insbesondere in der Figur von Li Qiang, dem neuen Premierminister Chinas.

Li Qiang, ein langjähriger Vertrauter von Xi Jinping, wurde trotz weit verbreiteter Kritik an seinem Umgang mit dem strikten Lockdown in Shanghai zum Premierminister ernannt. Seine Loyalität zu Xi, die er während seiner Zeit als Parteisekretär in Shanghai unter Beweis stellte, scheint für seine Beförderung ausschlaggebend gewesen zu sein. Dieser Lockdown, der die Stadt monatelang lähmte, hat das Vertrauen der Bevölkerung und internationaler Geschäftsleute in Li Qiang erschüttert und zu einer Konsumverweigerung geführt, die den wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt beeinträchtigt hat3.

Die Ernennung von Li Qiang kann als Paradebeispiel dafür gesehen werden, wie in Arendts Theorie die Loyalität als höchstes Gut in einem totalitären System fungiert. Sie dient als Instrument, um die Macht zu konsolidieren und jegliche Opposition zu unterdrücken, selbst auf Kosten der Kompetenz und des öffentlichen Vertrauens. Arendts Analyse bietet somit einen wertvollen Rahmen, um die politischen Entscheidungen und die Struktur der Macht in China zu verstehen und zu interpretieren.

Die Illusion der Normalität und die chinesische Wirtschaftspolitik

In ihrem Werk über die Natur totalitärer Systeme sprach Hannah Arendt von der “Illusion der Normalität”, die solche Regime aufrechterhalten, um die wahren Zustände zu verschleiern und die Bevölkerung in einer falschen Sicherheit zu wiegen. Die jüngsten “Zwei Sitzungen” in China und die dort verkündeten wirtschaftlichen Zielsetzungen könnten als moderne Manifestation dieser Arendtschen Beobachtung betrachtet werden.

Trotz der ambitionierten Ziele eines BIP-Wachstums von 5% und der Schaffung von 12 Millionen neuen Arbeitsplätzen steht China vor einer anhaltenden Deflation und einer hohen Jugendarbeitslosigkeit, die die sozialen Spannungen im Land verschärfen. Die offiziellen Zahlen, die ein positives Bild der wirtschaftlichen Lage zeichnen, stehen im Kontrast zu den Erfahrungen vieler Bürger und den Bedenken internationaler Beobachter, die auf eine tiefere wirtschaftliche Malaise hinweisen.

Die Ankündigung weiterer Sonderfonds durch Premierminister Li Qiang, die angeblich zur Stabilisierung der Wirtschaft beitragen sollen, kann ebenfalls als Teil dieser “Illusion der Normalität” interpretiert werden. Sie vermitteln den Eindruck fiskalischer Maßnahmen und einer proaktiven Regierung, während die tatsächliche Verschuldung und die wirtschaftlichen Herausforderungen weitgehend unadressiert bleiben.

Die Paradoxie der Macht

In der Betrachtung der aktuellen politischen Entwicklungen in China unter Xi Jinping lässt sich eine Paradoxie erkennen, die Hannah Arendt in ihren Analysen totalitärer Systeme beschrieben hat: Die Konsolidierung der Macht geht oft einher mit der Schaffung neuer Probleme, anstatt bestehende zu lösen. Der Artikel in der Parteizeitschrift “Qiushi” deutet an, dass die “Fliegen und Tiger”-Kampagne zu einer Lähmung innerhalb der Bürokratie führt, da Beamte aus Angst vor Korruptionsvorwürfen Entscheidungen lieber vermeiden oder nach oben delegieren. Dies war wahrscheinlich die wichtigste Ursache des chaotischen Krisenmanagements in Wuhan gewesen, wo die Bestrafung der Überbringer schlechter Nachrichten Vorrang vor der ernsthaften Auseinandersetzung mit der Ausbreitung von Covid-19 hatte.

Auch die Analyse der US-Regierung, insbesondere von Avril Haines, der Vorsitzenden des Nationalen Sicherheitsrates, wirft ein kritisches Licht auf die Politik von Präsident Xi Jinping. Haines betonte, dass “Präsident Xis Schwerpunkt auf Kontrolle und zentrale Aufsicht wahrscheinlich nicht die Herausforderungen lösen wird, die durch Chinas endemische Korruption, den demografischen Rückgang und strukturelle wirtschaftliche Zwänge gestellt werden.”

Diese Einschätzung spiegelt die Bedenken wider, dass die gegenwärtige politische Strategie Chinas nicht ausreicht, um die tief verwurzelten Probleme des Landes anzugehen. Li Qiang, als neuer Premierminister und Symbolfigur dieser Politik, steht zunehmend für einen Vertrauensverlust in der internationalen Geschäftswelt. Dieser Vertrauensverlust manifestiert sich in einem offensichtlichen Widerspruch zwischen den offiziellen Verlautbarungen Chinas – “China is open for Business” – und den repressiven Maßnahmen der Sicherheitsbehörden gegenüber internationalen Unternehmen.

Sollte Xi Jinping weiterhin primär an der Festigung seiner Machtposition interessiert sein, könnte er, wie von Arendt beschrieben, den Weg der Schaffung und Bekämpfung von Feindbildern fortsetzen. Ohne tragfähige Lösungsansätze für die internen Probleme bleibt ihm möglicherweise nur die Option, weiterhin Feindbilder zu kreieren, was wiederum ein Risiko für die internationale Sicherheit darstellt – mit Blick auf Taiwan und das Südchinesische Meer.



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2 Kommentare

  1. Deng Xiaoping ist das wirtschaftspolitische Vorbild von Staats- und Parteichef Xi Jinping. Aufgrund dessen gilt in der Volksrepublik China die Wirtschaftsordnung Gelenkte sozialistische Marktwirtschaft. Und so soll es auch bleiben, sprich diesbezüglich muß das Politisches Präsidium der Kommunistische Partei Chinas mit einer Stimme sprechen.

  2. @Holger Voss schreibt wieder Bloedsinn. Xi Jinping hat mit Deng Xioping schon lange gebrochen.

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