Die Rufe in China nach stärkerem staatlichem Stimulus werden nach dem enttäuschenden Dragon-Boot-Festival lauter. Einige Kommentatoren warnen bereits vor einem „Verlorenen Jahrzehnt“ für China.
Enttäuschendes Dragon-Boot-Festival verstärkt die Sorgen um Wirtschaft in China
Das Dragon-Boot-Festival gehört zu den kleinen Feiertagen mit drei freien Arbeitstagen, während das Neujahrsfest und die Oktober-Ferien jeweils fünf Werktage umfassen. Neben diesen Festen erhalten die chinesischen Angestellten nur 10-12 persönliche Urlaubstage. Dementsprechend werden solche kurzen Feiertage überwiegend für Trips in die nähere Umgebung unternommen. Nach den ersten Berichten fielen die Ausgaben für Reisen geringer aus als 2019.
Xi Jinping unter Druck: Hoffnungen auf besseres zweites Halbjahr schwinden
Die wirtschaftliche Erholung verlangsamt sich offenbar weiter, und die Hoffnungen auf ein besseres zweites Halbjahr schwinden allmählich. Damit gerät Xi Jinping unter Druck. Die Wachstumsraten des Bruttosozialprodukts sind in China nicht einfach nur statistische Werte, sondern ein hochpolitischer Faktor. Xi Jinping kann sich nun nicht mehr hinter der Covid-Pandemie und auch nicht mehr Premier Li Keqiang verstecken. Nach seiner Wahl für eine dritte Amtszeit und einem nach seinen Wünschen zusammengestellten Personal ist er nun vollständig verantwortlich und muss das in ihn gesetzte Vertrauen rechtfertigen.
In den letzten Wochen wurde die Diskussion über Stimuli für die Wirtschaft eher im Hintergrund unter Experten geführt. Allerdings wurde schon letzte Woche allgemein erwartet, dass auf der Sitzung des Staatsrates neue Maßnahmen beschlossen würden. Das Gremium enttäuschte jedoch mit der Aussage, dass weitere Untersuchungen darüber angestellt würden, wie der Konsum in der Wirtschaft gesteigert werden könne, jedoch ohne weitere Einzelheiten oder Termine zu nennen. Nun dauert es möglicherweise bis zum Juli-Treffen des Politbüros der Partei, auf dem voraussichtlich über die Wirtschaftspolitik diskutiert wird, um den Umfang und die Art eines möglichen Stimulus im zweiten Halbjahr zu erfahren.
Das Dilemma der Führung: Stimulusmaßnahmen könnten Krisen verschärfen
Das Dilemma, in dem sich die Führung sieht, liegt darin, dass die beiden größten systemischen Krisen, mit denen die Politiker zu kämpfen haben, nämlich der Immobiliensektor und die finanzielle Gesundheit der lokalen Regierungen, durch groß angelegte Stimulusmaßnahmen stark verschärft würden. Mittlerweile befinden sich mindestens drei Provinzen und zahlreiche Städte am Rand der Zahlungsunfähigkeit bzw. haben diese schon erreicht und mussten die Zentralregierung um Hilfe bitten.
Zusätzlich zu dieser Sorge wissen Zentralbanker auch, dass ein aggressiver Zinssenkungskurs bei steigenden globalen Zinssätzen noch weiteren Druck auf den Yuan ausüben könnte. Schon jetzt wertet der Yuan gegenüber dem US-Dollar erheblich ab. Am Montag durchbrach er beim Fixing die Marke von 7,2 RMB.
Experten wie der Chefökonom Xu Gao von der Bank of China weisen zudem darauf hin, dass „die träge Wirtschaft des Landes nicht das Ergebnis hoher Zinssätze ist, sondern von eingeschränkter Infrastruktur und Immobilieninvestitionen, da die Übertragung der Geldpolitik blockiert ist. Eine Senkung der kurzfristigen Zinssätze führt möglicherweise nicht zwangsläufig zu einer Stimulierung der Finanzierung und Investitionen in der realen Wirtschaft, sondern zu einem Wachstum der Finanzrisiken.“
Mittlerweile ist die Diskussion über Stimuli in der breiteren Öffentlichkeit in China angekommen. Letzte Woche veröffentlichten die drei wichtigsten staatlichen Wertpapierzeitungen Chinas Titelstories, in denen sie mehr Unterstützung für die reale Wirtschaft forderten. Am Sonntag forderte der stellvertretende Leiter des Wirtschaftskomitees der Chinesischen Politischen Konsultativkonferenz (CPPCC) und ehemalige Vizeleiter der mächtigen Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission, Ning Jizhe, bei einer Presseveranstaltung seine Regierung auf, „es sei besser, Maßnahmen früher als später einzuführen“. Diese Maßnahmen müssten groß sein, um „eine wirtschaftliche Abwärtsspirale und Kontraktion zu vermeiden.“
Einige Banken, insbesondere im Ausland, zeigen sich jedoch zuversichtlich, dass im zweiten Halbjahr ein Stimulus kommen wird. So schrieb ein Volkswirt von Morgan Stanley letzte Woche in einer Notiz: „Eine Lockerung der Politik ist unmittelbar und notwendig“ und argumentierte, dass Peking weiterhin Zinssenkungen auf monetärer Seite durchführen werde, während gleichzeitig das Haushaltsdefizit durch eine Ausweitung der Regierungsanleihen erhöht werde. Zudem werde mehr in Infrastrukturinvestitionen angekündigt und Steueranreize zur Unterstützung der hochwertigen Fertigung bereitgestellt sowie Einschränkungen beim Immobilienkauf gelockert.
China droht langfristige Stagnation ähnlich Japans „Verlorenem Jahrzehnt“
Es mehren sich die Stimmen, die davor warnen, dass sich China einem Zustand langfristiger Stagnation ähnlich Japans „Verlorenem Jahrzehnt“ in den 1990ern nach dem Immobilien-Crash annähert, als das jährliche Wirtschaftswachstum nur durchschnittlich ein Prozent betrug. Peking habe zwar strengere administrative Kontrollen und könne wahrscheinlich eine plötzliche Korrektur der Immobilienpreise oder das Platzen von Schuldenblasen vermeiden. Dennoch bestehe ohne Maßnahmen die Gefahr, dass China langsam in das gleiche Ergebnis abrutsche.
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