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China: Verteidigungsminister verhaftet – Risse im System Xi Jinping

China Xi Jinping Risse im System

Das System Xi Xinping in China weist immer mehr Risse auf. Letzte Woche wurde der chinesische Verteidigungsminister Li Shangfu „zu Befragungen“ verhaftet. Dies ist der zweite Minister innerhalb weniger Wochen, der von der Bildfläche verschwunden ist. Gleichzeitig bleibt die Entwicklung der Wirtschaft enttäuschend.

Vor zwei Wochen wurde Li Shangfu aus einem Treffen mit vietnamesischen Verteidigungsbeamten geholt und ist seitdem aus der Öffentlichkeit verschwunden. Ihm wird angeblich Korruption vorgeworfen. Dieser Fall hat mehrere Dimensionen und wirft ein Scheinwerferlicht auf ein grundlegendes Problem von Xi Jinping: seine Schwäche im Personalmanagement.

China: Die führenden Fraktionen in der KPCh und Xi Jinping

Die Kommunistische Partei ist kein monolithischer Block, wie sie es uns glauben machen will. Oder wie es Mao einmal formulierte: „Es gibt Parteien außerhalb unserer Partei, und es gibt keine Fraktionen innerhalb unserer Partei, das war schon immer so.“ Sie ist eher durchzogen von einer Vielzahl von Fraktionen und Bündnissen, deren „Frontverläufe“ sich aber immer wieder ändern.

In den letzten Jahrzehnten beherrschten vor allem zwei Fraktionen die Geschicke Chinas: Zum einen die sogenannte „Shanghai-Gruppe“, die mit Jiang Zemin den Generalsekretär stellten, und die „Jugendliga“ (CYL), die mit Hu Jintao ihren Vertreter an der Spitze der Partei hatten. Xi Jinping selbst wurde von Jiang Zemin protegiert und wurde deshalb der „Shanghai-Fraktion“ zugerechnet. Um die Macht innerhalb der Partei kämpfte als Vertreter der „Jugendliga“ Li Keqiang um den Posten des Generalsekretärs. Zwar verlor die „Jugendliga“ den Kampf, war aber stark genug, dass Li Keqiang als Antipode zu Xi Jinping als Ministerpräsident berufen wurde. Neben diesen beiden starken Fraktionen könnten auch andere wichtige Fraktionen, wie z.B. die Gruppe der „Prinzlinge“, also die Söhne – und praktisch keine Töchter – von altgedienten Kadern oder die „Marxisten“, deren Vertreter Bo Xilai lange als Kronprinz auf die Nachfolge von Hu Jintao galt.

Sowohl Xi Jinping als auch der eben genannte Bo Xilai sind zwar ebenso „Prinzlinge“, aber Xi Jinping gehörte nie richtig dazu. Im Gegensatz zu Bo Xilai, dessen extravaganter Lebensstil eher den Vorstellungen eines „Prinzlings“ entsprach. Dennoch verdankt Xi Jinping wesentlich seiner Abstammung und den Verbindungen seines Vaters Xi Zhongxun und der Fürsprache seiner Mutter, Qi Xin.

Mit der Einbindung der verschiedenen Fraktionen war ein wichtiges Prinzip der chinesischen Gesellschaft gewahrt: Die Suche nach dem Konsens. Auch in der Partei ist eine gewisse Meinungspluralität vorhanden. Wie aber in allen Gruppen der chinesischen Gesellschaft, sei es nun in Wirtschaftsunternehmen oder in Vereinen oder in der Politik, ist die Einigung nach dem Konsens ein notwendiger, wenn auch mithin ein quälender Prozess.

Die Shaanxi-Gang

Xi Jinping verstand es jedoch schnell, sein eigenes Netzwerk zu etablieren, die „Shaanxi-Gang„, also Weggefährten, die, wie Xi Jinpings Familie, aus Shaanxi stammen oder einen Großteil ihrer politischen Karriere in Shaanxi verbrachten. Sein engster Führungszirkel besteht aus dem sogenannten „Eisernen Dreieck“. Zu diesem Dreieck gehörten Yu Zhengsheng, der Vorsitzende der Chinesischen Volkskonsultativkonferenz (CPPCC), und Wang Qishan, zunächst Sekretär von Xi Jinpings schärfstem Schwert, der Zentralen Disziplinkommission (CCDI), und bis 2023 Vizepremier und Hauptverantwortlicher für die Außenpolitik.

Mit der „Shaanxi-Gang“ und vor allem mit der Zentralen Disziplinkommission, die Xi Jinpings berühmt-berüchtigte „Tiger und Fliegen“-Kampagne umsetzte, gelang es ihm, in den ersten beiden Regierungszeiten den Einfluss der Fraktionen soweit zu begrenzen, dass diese einer dritten Amtszeit von Xi Jinping nichts mehr entgegensetzen konnten und keinen nennenswerten Einfluss mehr genießen. Li Keqiang ließ schon vor einigen Jahren wissen, dass er sich mit Ablauf seiner Amtszeit aus der Politik zurückziehen würde.

Damit gelangte Xi Jinping zu einer Machtfülle, wie es kein Führer der Kommunistischen Partei seit Mao mehr hatte. Und somit konnte Xi Jinping ein Personaltableau verabschieden, bei dem er praktisch keine Kompromisse mehr eingehen musste. Somit trägt Xi Jinping aber auch die ultimative Verantwortung für sämtliche Herausforderungen und Versäumnisse seiner Minister. Zumal Xi Jinping noch andere fundamentale Änderungen in der Führung durch die Kommunistische Partei durchsetzte, die nun erst, mit dem Ende der Corona-Politik, vollends sichtbar wurden.

Das Ende der „Kollektiven Führung“ und des Regierens „Hinterm Vorhang“

Der Generalsekretär ist seit Deng Xiaoping ein primus inter pares, ein vermeintlich Gleicher unter Gleichen innerhalb des Ständigen Ausschusses der Kommunistischen Partei Chinas. Dabei soll in diesem Gremium durchaus offen diskutiert werden und somit im Konsens Entscheidungen getroffen werden. Damit soll eine „Kollektive Führung“ innerhalb der Kommunistischen Partei gewährleistet werden. Im Laufe der zweiten Amtszeit wurden die Diskussionen weniger und weniger, und im Wesentlichen gab es nur noch zustimmende Beiträge der „Ja-Sager-Fraktion“ und keinen fruchtbaren Austausch.

Spektakulär war der Abgang von Hu Jintao, als dieser aus der Schlusssitzung, wo über Xi Jinato’s Personaltableau abgestimmt wurde, hinausgeführt wurde. Zwar war der Grund wohl eher gesundheitlicher Natur, aber es kündigte sich eine fundamentale Änderung der Rolle der aus der aktiven Politik ausgeschiedenen Spitzenpolitiker an, die auf dem diesjährigen Sommerkonklave der Kommunistischen Partei in Beidaihe erst richtig sichtbar wurde. Dort in der Sommerfrische trifft sich die Politikelite zu informellen Gesprächen, Diskussionen und Austausch mit Wissenschaftlern. In den letzten Jahren fand dieses Treffen wegen Corona nur in abgespeckter Form statt.

Aber offenbar ändert sich nicht nur das Format. So nehmen nicht mehr alle Mitglieder des Ständigen Ausschusses an dem Treffen teil. Und auch immer weniger ehemalige Funktionsträger wurden gesehen. Unter Xi Jinping nimmt die Bedeutung dieser Ratgeber, die „Hinter den Vorhängen“ weiter Einfluss auf die Politik nehmen, ab. Deng Xiaoping, der zwar zeitweise die Rolle des Generalsekretärs bzw. Präsident und den Vorsitz der Zentralen Militärischen Kommission abgab, gab einst die Blaupause für dieses versteckte Regieren.

Nur der Vollständigkeit halber sei hier angemerkt, dass ein dritter Grundsatz von Deng Xiaoping von Xi Jinping missachtet wird: Deng Xiaoping war der Personenkult um Mao zuwider: er forderte, dass sich so etwas nicht wiederholen solle.

Xi Jinping verliert sein Gesicht

Umso fataler wirken sich nun die personalpolitischen Fehlentscheidungen für das Ansehen von Xi Jinping aus. In China leiht der Führer seinen Untergebenen Macht. Wenn diese die geliehene Macht falsch einsetzen, schlägt dies unweigerlich auf den Führer zurück. Den beiden Ministern Qin Gang und Li Shangfu ist gemein, dass sie beide erst nach dem Nationalen Volkskongress 2022, wo der Weg zur dritten Amtszeit Xi Jinpings frei gemacht wurde, berufen wurden. Nach nicht einmal einem Jahr verliert er damit zwei wichtige Minister.

Aber auch zwei andere Gefolgsleute Xi Jinpings geraten damit in den Fokus: Einmal Li Xi, Sekretär der Zentralen Disziplinarkommission und damit Nachfolger von Wang Qishan. Und Cai Qi, Sekretär des Generalsekretariats der Kommunistischen Partei, genannt „der Gatekeeper“, der unter anderem für die Auswahl und Überwachung der Spitzenpolitiker zuständig ist. Beide gehören zur „Shaanxi-Gang“ und Cai Qi auch zum engsten Kreis um Xi Jinping.

Dass Cai Qi entgangen sein soll, dass Qi Gang eine Geliebte hatte, darf als höchst unwahrscheinlich angesehen werden. Wenn ja, würde es von beachtlicher Inkompetenz zeugen. Li Shangfu diente vor seiner Beförderung zum Verteidigungsminister als stellvertretender Kommandeur der neu geschaffenen Strategischen Unterstützungstruppe der Volksbefreiungsarmee, die für den Cyberspace, den Weltraum und andere hochtechnologische Kriegsführungsbereiche zuständig ist. Als Leiter des Ausrüstungsentwicklungsdepartments der Zentralen Militärkommission besetzt er eine Position, bei der  Korruption Tür und Tor geöffnet ist. Aus welcher Zeit der Vorwurf der Korruption stammt, ist unklar. Es sollte aber sowohl für die Zentrale Disziplinarkommission als auch für den Leiter des Generalsekretariats eine Selbstverständlichkeit gewesen sein, das Vorleben des kommenden Ministers gründlich zu durchleuchten. Sofern beide Stellen nicht dermaßen inkompetent sind, bleiben nur zwei Schlussfolgerungen für die Berufung der beiden Minister:

1. Xi Jinping wurde nicht über die Fehltritte informiert.
2. Xi Jinping berief beide, obwohl er von den Verfehlungen wusste.

Im Falle von Li Shangfu bleibt eine dritte Vermutung: Es ging nicht um die angebliche Korruption.

Li Shangfu: Beseitigung eines potentiellen Konkurrenten?

Mit der Verhaftung von Li Shangfu geht die Säuberungswelle innerhalb des Verteidigungssektors weiter. Zuvor wurden mindestens zehn Kommandanten der Raketenstreitkräfte (PLARF) verhaftet, von denen mindestens zwei – vermutlich durch Selbstmord – umgekommen sind. Es ist davon auszugehen, dass unter der unmittelbaren Führungsebene noch erheblich mehr Angehörige der Streitkräfte in den letzten Wochen verhaftet wurden.

Die PLARF ist das Herzstück der chinesischen Armee, deren zentrale Aufgabe es ist, im Fall eines Krieges die amerikanische Pazifikflotte auszuschalten. Sie untersteht direkt der Zentralen Militärkommission (CMC), dessen Vorsitzender Xi Jinping ist. Und damit zielt diese Säuberungsaktion direkt auf eines der Machtzentren Xi Jinpings. Die Vermutung, dass es sich weniger um eine tiefgreifende Anti-Korruptionsaffäre handelt, sondern um das Ausschalten von potenziellen oder aktuellen Konkurrenten von Xi Jinping, ist somit nicht abwegig. Bleibt die Frage, warum Li Shangfu überhaupt berufen wurde, was wiederum die Frage nach der Kompetenz von Cai Qi aufwirft.

Xi Jinpings Problem bei Personalentscheidungen

So oder so: Xi Jinping hat ein Problem mit seinen Personalentscheidungen. Zumal da noch eine weitere problematische Berufung ist, sozusagen die „Mutter der Fehlbesetzung“. Diese betrifft den Premier Li Qiang, nicht nur Mitglied der „Shaanxi-Gang“, sondern eine Spitze des neuen „Eisernen Dreiecks“.

Li Qiang gilt als der Mann hinter dem zweimonatigen Lockdown in Shanghai. Damit stellte Li Qiang Loyalität gegenüber Xi Jinping gegen seine eigentliche Überzeugung, dass man mit dem Virus leben müsse. Weder die Bevölkerung noch die internationale Geschäftswelt Chinas, deren Herz Shanghai ist, hat dies Li Qiang verziehen.

Dieser Vertrauensverlust sowohl der Chinesen als auch der internationalen Geschäftswelt ist eines der Grundprobleme der derzeitigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Schon während des Lockdowns kam die Theorie auf, dass der Lockdown nur ein Test sei, wie sich die Bevölkerung im Kriegsfall verhalten wird. Immer noch hält sich die Vermutung, dass es keine Frage des ob, sondern nur, unter welchen Bedingungen sich weitgehende Beschränkungen wiederholen würden. Die internationalen Investoren trauen den Sirenengesängen der Administration Li Qiangs nicht, dass internationale Investoren weiterhin gerne gesehen wären. Taten wiegen schwerer als Worte. Das Anti-Spionage-Gesetz, gepaart mit dem Denunziationsgesetz, verunsichert die internationalen Unternehmen nachhaltig, insbesondere, wenn immer wieder Geschichten von „Befragungen“ von Mitarbeitern und verschwundenen Geschäftsleuten oder gar Ministern die Runde machen.

Xi Jinpings Führungskompetenz hat in den letzten zehn Monaten erheblich gelitten, wie auch seine Beliebtheit in der Bevölkerung. Bei weiteren Fehlern könnten die gerade ausgebooteten Fraktionen durchaus zurückschlagen.



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