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Russisches Öl und ein Öl-Embargo der EU Die Drehscheibe Mittlerer Osten verschiebt Urals-Crude von Europa nach Asien

Öl-Tanker

Das Analysehaus Vortexa aus London verfolgt weltweit den Schiffsverkehr mit Rohöl und raffinierten Ölprodukten. Vor fünf Jahren unter Beteiligung namhafter Finanziers wie Mosaic Inc., einem weltweit agierenden Düngemittelhersteller, gegründet, war das Ziel von Anfang an, den weltweiten Öl-Warenverkehr detailliert zu tracken. Die Firma berät mittlerweile Hedge-Fonds, Konzerne, Rohstoffhändler und Schiffseigner. Laut Vortexa fließt immer mehr russisches Öl der Sorte Urals-Crude, per Schiff nach Asien, während die europäischen Raffinerien mehr und mehr Rohöl aus Saudi-Arabien und dem Irak bekommen.

Analyse zeigt bereits jetzt die Auswirkungen des kommenden Öl-Embargos

Die EU hat mit dem 6. Sanktionspaket beschlossen, die Einfuhr russischen Öls per Tanker in die EU und das Versichern russischer Schiffe zu verbieten. Das Öl-Embargo soll ab Ende des Jahres in Kraft treten, gilt aber nicht für den südlichen Arm der Druschba-Pipeline. Pipeline-Öl aus Russland darf also noch nach Europa fließen, per Tanker darf das gleiche Öl aber nicht importiert werden, das ist ausdrücklich verboten. Auch wenn das auf Anhieb inkonsequent klingt, es hat massive Auswirkungen. Das US-Amt für Energiestatistik (EIA) gibt an, dass täglich 60 Millionen Barrel Öl und Ölprodukte auf hoher See unterwegs sind. Natürlich kommt nicht alles aus Russland, und nicht alles wird per Tanker transportiert. Aber rund zehn Prozent der weltweiten Ölförderung kommen immerhin aus Russland, und das Land ist einer der wichtigsten Exporteure der Welt, nach Saudi-Arabien.

Analysen von Vortexa zufolge kommt es seit Ausbruch des Ukraine-Krieges und der frühzeitigen Selbst-Sanktionierung westlicher Öl-Händler und Reedereien zu massiven Verschiebungen und Verwirbelungen bei den seit Jahrzehnten eingespielten Schiffs-Handelsrouten. Besonders auffällig hierbei laut Vortexa ist, dass hauptsächlich kleinere Tankerschiffe, die früher iranisches Öl gebunkert hatten, jetzt mit russischem Öl unterwegs sind. Kleinere Tankerschiffe sind sogenannte Aframax – Tanker, benannt nach einem ursprünglich von Royal Dutch Shell eingeführten Ratenindex (Average Freight Rate Assessment). Aufgrund ihrer geringeren Größe können sie fast jeden Hafen dieser Welt anlaufen und zwischen 80.000 bis 120.000 Tonnen Rohöl bunkern, das entspricht im Durchschnitt etwa 730.000 Barrel Rohöl.

Öl-Embargo: Iranisches Öl „out“ – Urals-Crude „in“

Seit April wurden 11 Schiffe beobachtet, die vormals iranische Öl geladen hatten, jetzt aber russisches Öl bunkern. Die Reedereien, die regelmäßig iranisches Öl transportiert haben, sind erfahren im Umgang mit und der Umgehung von Sanktionen. Sie sind aktuell dafür verantwortlich, dass der Öl-Fluss östlich des Suez Kanals mit Urals-Crude weiter gespeist wird. Es ist ein lukratives Geschäft, da sich immer mehr Reedereien und Versicherer weigern, mit Öl aus russischer Herkunft zu handeln oder den Transport zu versichern. Somit können die verbliebenen Spediteure deutlich höhere Gebühren aufrufen und am Markt umsetzen. Wie auf Finanzmarktwelt ausführlich berichtet, profitiert die Region Mittlerer Osten besonders von den derzeit stattfindenden tektonischen Verschiebungen im weltweiten Rohstoff-Handel. Die Öl-Staaten haben den Weg gewählt, sich lieber zu einer internationalen Drehscheibe für Rohstoffe aller Art zu entwickeln und keine Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Sie sind somit auch zum Zufluchtsort für russische Oligarchen, russisches Kapital und Rohstoffhändler aus der Schweiz geworden. Das kommende Öl-Embargo spielt ihnen weiter in die Hände. Nun erscheint es fast logisch, dass parallel hierzu derzeit auf den Weltmeeren eine Neuordnung der Handelsrouten für Rohöl insgesamt stattfindet.

Seetransport mit UIrals-Crude im Juli bei 250.000 Barrels pro Tag

Im Vergleich zum Vormonat April stieg die tägliche Transportmenge von Urals-Crude per Tanker in der ersten Hälfte des Monats Juli um 170.000 Barrel pro Tag auf 250.000 Barrel an. Dabei wurden auch große Supertanker beladen, die bis zu zwei Millionen Barrel bunkern können.

Öl-Embargo: Immer mehr Tanker „verdunkeln“ beim Umladen auf hoher See

In der Fachsprache als „going dark“ bezeichnet, bedeutet dies das Umladen brisanter Fracht auf hoher See bei gleichzeitiger Abschaltung des AIS – Signals (Automatic Identification Signal; Funksystem für den Austausch von Navigations- und anderen Schiffsdaten). Von 14 Schiffen, darunter VLCCs- und Aframax-Tanker, die in den letzten Wochen ihre Satelliten-Signale auf hoher See ausgeschaltet haben, waren laut Vortexa fünf traditionell vorwiegend iranisches Öl bunkernde Tanker. VLCCs sind Very Large Crude Carrier mit einer Transportfähigkeit von 200.000 Tonnen Rohöl. Tanker über 320.000 Tonnen werden ULCC, Ultra Large Crude Carrier, und Doppelhüllentanker ab 300.000 Tonnen werden VPlus bezeichnet. Generell spricht man ab 250.000 Tonnen Ladefähigkeit von Supertankern. Wenn das Öl-Embargo mit Beginn 2023 tatsächlich in Kraft tritt, werden solche „going dark“ Vorfälle wahrscheinlich zunehmen. Denn Rohöl, aus welcher Quelle auch immer es stammt, ist das „schwarze Gold“. Es wird immer einen Abnehmer finden.

Europa bezieht mehr Öl aus Saudi-Arabien und dem Irak

Es gleicht einer gigantischen Rochade – Öl für Asien nach Europa und umgekehrt. In den ersten drei Juli-Wochen wurden über eine Millionen Barrel aus dem Mittleren Osten nach Europa umgeleitet. Das Öl wird durch eine Pipeline in Ägypten und übers Mittelmeer nach Europa exportiert oder direkt per Tankerschiff geliefert. Die SuMed-Pipeline, die Ägypten kreuzt und bei Alexandria endet, verzeichnet mit 1,2 Millionen Barrel pro Tag den höchsten Durchfluss seit langem. Im Vormonat lag der Durchfluss noch bei 800.000 Barrel pro Tag. Sinnbildlich für den veränderten Warenfluss war die Meldung, dass der Konzern Bahri, Saudi-Arabiens Tankerflotten-Reederei, einen Supertanker fürs Mittelmeer gechartert hat mit Destination Rotterdam. Das war vor Ausbruch des Ukraine-Krieges fast nie nötig.

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Woher kommt das zusätzliche Öl für Europa?

Saudi-Arabien und der Irak liefern die zusätzlichen Mengen. Wenn die verwendeten Tanker klein genug sind, können sie den Suez-Kanal passieren. Ansonsten wird die SuMed Pipeline genutzt, die Ägypten kreuzt. Tanker, deren Tiefgang vollbeladen für den Suez-Kanal zu groß ist, können die Pipeline auch nutzen, um entsprechend Gewicht abzupumpen, damit sie passieren können. Die abgepumpten Mengen können dann später wieder gebunkert werden. Die Karte veranschaulicht die Transportwege:

Routen für Öl
Grün: Schiffsrouten Schwarz: Pipeline Kreuze: Start- und Endpunkt Pipeline

Urals-Crude im Angebot für Indien und China

Indien und China profitieren von den Verschiebungen der Öl-Ströme, denn sie kaufen Urals-Crude mit einem Preisabschlag ein. Und das in Zeiten steigender Energiepreise. Ob nach der ganzen Umpumperei, sei es auf hoher See im Schutze der Dunkelheit, oder aber in irgendwelchen gigantischen Tanklagern, die die weltweiten Handelsrouten säumen, die genaue Herkunft noch wirklich nachvollziehbar ist, können wohl nur Chemiker unter hohem Aufwand prüfen, vor allem bei raffinierten Produkten. Ob das Öl-Embargo tatsächlich seinen gewünschten Erfolg bringt, wird sich noch zeigen. Aber für Europa wird es bestimmt kein billiger Weg. Eine langfristige Folge des bald in Kraft tretenden Embargos ist bereits jetzt deutlich sichtbar. Der Wert „ton-miles“ gibt an, wie viele Seemeilen eine Tonne Fracht zurück gelegt hat, bevor sie ihr Ziel erreicht. Für Europa hat sich dieser Wert beim Import von Rohöl verdoppelt, bei Urals-Crude mindestens verdreifacht, wenn nicht sogar mehr. Das sorgt für volle Auftragsbücher in den Tanker-Werften und einen Beschäftigungs-Boom in der Tanker-Schifffahrt, die bisweilen personell sehr effizient zu arbeiten scheint. Ein Supertanker kommt nämlich in der Regel mit einer Besatzung von 15 bis 25 Mann aus.



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3 Kommentare

  1. Das wird bei uns die Inflation mächtig nach „Norden“ ziehen.
    Was denken die Brüssler Bürokraten nur. Sie wollen mir dem Kopf durch die Wand.

  2. Vielen Dank !
    Sehr gut recherchiert.Es zeigt eindeutig die „Kreativität“ des Weltmarkts,der nicht
    in ein Verordnungskonzept zu pressen sein wird.Im Gegenteil ! – Um so mehr reguliert wird,
    umso mehr werden Menschen daran verdienen.Wer so dumm oder naiv ist zu meinen das
    die Mitglieder des World Econ9omic Forums ncht auch hier daran „mitverdienen“,der darf gern
    weiter träumen.Leider müssen viele andere bitter dafür zahlen !

  3. Ministerpräsident Michael Kretschmer verweist zu recht darauf, daß die Russische Föderation für die Bundesrepublik Deutschland ein wichtiger Rohstofflieferant ist. Er spricht sich daher für Verhandlungen mit Staatspräsident Wladimir Wladimirowitsch Putin aus.

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