Hintergrund

Fed nimmt auch das kurze Ende der Zinskurve ins Visier

Von Claus-Peter Sesin.

Die US-Notenbank will nicht nur – wie bislang – das lange Ende der US-Zinskurve manipulieren, sondern künftig auch das kurze.

Dies berichtet das WSJ.de in seiner neuesten Ausgabe. Am kurzen Ende will die Fed mit Kreditaufnahmen („Reverse Repo“) aktiv werden. Dies verwundert schon deshalb, weil Zentralbanken bekanntlich endlos Geld drucken können. Wozu also sollte eine solche Institution Kredite aufnehmen?

Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass Sätze in (US-)Wirtschaftsmedien, in denen die Formulierung „um die Kreditvergabe an Firmen zu erhöhen“ vorkommt, vor allem der Rechtfertigung von Zentralbankmaßnahmen dienen. Mit ähnlichen Formulierungen hatte die Fed bereits 2009 QE1 „begründet“. Tatsächlich flossen diese QE-Gelder kaum in herkömmliche Investitionen, sondern wurden fast ausschließlich für spekulative Geschäfte eingesetzt.

Mit QE nimmt die Fed bekanntlich das lange Ende der US-Zinskurve ins Visier. Sie kauft mit frisch gedruckten Dollars US-Staatsanleihen und MBS vom Markt weg, den das US-Finanzministerium zeitgleich mit neu emittierten Staatsanleihen überschwemmt. Wegen der zusätzlichen Fed-Nachfrage steigen – trotz der massiven Neuemissionen – die Kurse von US-Langläufern, was deren Zinsniveau wie gewünscht senkt. Das lange Ende der Zinskurve wird damit wesentlich flacher, als es in einem freien, nicht von der Fed manipulierten Markt der Fall wäre.

Im WSJ steht:

Die Fed ist nämlich besorgt, wie sie die Inflation eingedämmt halten soll, wenn die von ihr im Rahmen der außergewöhnlichen geldpolitischen Maßnahmen ins Finanzsystem gepumpten Milliarden als Kredite weitergereicht werden. Die New Yorker Fed testet nun ein System, bei dem die Notenbank in Zukunft die kurzfristigen Zinsen in die Höhe treiben würde, indem sie Kredite bei Finanzinstituten aufnimmt.

Diese Sätze lösen in mehrfacher Hinsicht Bedenken aus. Erstens geht es um die Vergangenheit: Die Fed hat die Liquidität ja bereits seit 2009 stark erhöht. Aktuell hingegen soll die Liquidität durch Tapering eher zurückgefahren werden. Zweitens ist das Fed-Geld auch in der Vergangenheit nachweislich kaum in herkömmliche Investitionen („Firmenkredite“) geflossen. Es ist daher unwahrscheinlich, dass es ausgerechnet jetzt, wo die zentralbankliche Hyperliquidität eingedampft wird, in den Kreditmarkt fließt.

Tapering stellte eine Liquiditätsverknappung dar, die die Zinsen am langen Ende wieder anhebt. Man sah dies deutlich, als nach Bernankes Tapering-Vorankündigung im Mai die Renditen von US-10jährigen binnen weniger Monate von 1,6 auf 3 % kletterten – mit entsprechenden Einbrüchen am US-Hausmarkt, der vom billigen Hypothekengeld lebt.

Im „New Normal“ haben Zentralbanken ohnehin eine gänzlich andere Funktion als früher, als sie noch – wie die Bundesbank – als „Bollwerke der Solidität“ galten und für Stabilität sorgten. Heute sind die Zentralbanken in USA und Japan zu Riesen-Hedgefonds verkommen, und unter Draghi droht auch die EZB in diesem Sumpf zu versacken.

Als die Fed 2009 mit QE begann, führte dies zu einer gewaltigen Assetpreis-Inflation, zu der auch der Anlagenotstand infolge ihrer Nullzinspolitik (ZIRP) beitrug. Die Banken verdienten sich eine goldene Nase, indem sie das billige Geld von der US-Notenbank in hochrentierlichen Anlagen (US-Langläufer, Aktien, Rohstoffe) parkten. Das war wesentlich lukrativer und sicherer, als in dieser wackeligen Zeit Geld an Firmen zu verleihen – das frühere Kerngeschäft der Banken.

Die Firmen wiederum benötigten wegen QE und ZIRP gar keine Banken mehr. Sie konnten sich fast grenzenlos am Bondmarkt refinanzieren. Die frisch emittierten (Junk-)Bonds rissen ihnen die von Anlagenotstand gepeinigten Investoren förmlich aus den Händen. Junkbonds werden aktuell zu Zinsen angeboten, die man in der Vor-Lehman-Ära für AAA-Anlagen erhielt – was dem weitaus höheren (Ausfall-)Risiko in keinster Weise Rechnung trägt.

Infolgedessen schwimmen die meisten US-Firmen geradezu im Geld. In der ZIRP-Ära können sie auf das herkömmliche Bankensystem mit seiner Kreditvergabe getrost verzichten. Sie wissen zudem oft nicht einmal, was sie mit dem vielen Geld überhaupt anfangen sollen. Viele bunkern es, andere kaufen damit überteuert eigene Aktien vom Markt – eine Form der Kurspflege, die vor allem Firmeninsidern, deren Gehalt großteils aus Ausübung und Verkauf von Mitarbeiter-Aktienoptionen basiert, die Taschen füllt. Ansonsten bringen solche Aktienrückkäufe relativ wenig. Sie sind sogar ein Alarmsignal, weil sie zeigen, dass die Firmen für die Gelder offenbar keine bessere Verwendung (z. B. Expansion) haben.

Schon deshalb sollten Behauptungen mit dem Tenor „um die Kreditvergabe der Banken zu erhöhen“ die Ohren läuten lassen.

Zentralbanker wissen (insgeheim) sehr wohl, dass Firmeninvestition weniger von den Zinskosten als von den Renditeaussichten abhängen. Wenn eine Investition sichere 20 % Jahresrendite einfährt, sind selbst 10 % Kreditkosten nicht zu teuer. Die Welt inkl. USA steckt „nach Lehman“ jedoch in einem Deflationsszenario, das durch Deleveraging (Schuldenreduzierung bei Banken, Firmen und Privatkunden und in Europa auch bei den Südstaaten) gekennzeichnet ist. In einem solchen Kontext lohnen Firmen-Investitionen offenbar selbst dann nicht, wenn die Kreditkosten dank QE/ZIRP auf Lang- bis Allzeit-Tiefs notieren. Und an diesem Fakt können Notenbanker nicht die Bohne rütteln.

Was also sind die wirklichen Beweggründe der Fed für obiges Reverse-Repo-Unterfangen?

Vermutlich soll Tapering demnächst ernsthaft angegangen werden – womöglich schon bei der nächsten Fed-Sitzung im Dezember -, so dass die Zinsen am langen Ende steigen dürften. Am kurzen Ende hingegen blieben sie wegen der auch weiterhin fortgesetzten Nullzinspolitik nahe Null „festgenagelt“. Die US-Zinskurse würde damit extrem aufsteilen. Das könnte man prinzipiell als ein Signal des Marktes an die Fed interpretieren, die Leitzinsen zu erhöhen. Die Fed will die Leitzinsen aber noch „sehr lange“ bei nahe Null belassen, da die Realwirtschaft (jenseits der mittels QE hochgepumpten Aktienmärkte) weiterer Stimulation bedarf.

Daher scheint die Fed mit ihren Reverse-Repo-Kreditaufnahmen nun eine Art kosmetische Lösung anzustreben: Wenn sie sich – nach Tapering-Beginn – auch in das kurze Ende der Zinskurve einmischt, würde diese über die gesamte Breite steigen und damit weniger steil aussehen. Folge: Die Fed bekäme bezüglich ZIRP weniger Rechtfertigungszwänge.

Eine über die gesamte Breite (bis auf das ganz kurze Ende) steigende Zinskurve würde zudem die Ilusion nähren, mit der US-Wirtschaft ginge es tatsächlich bergauf – und nicht nur wegen der extremen Neuverschuldung und den damit finanzierten Keynes-Stimulationen.

Um das kurze Ende nach oben zu manipulieren, muss die Fed – schematisch betrachtet – einfach nur das Gegenteil von dem tun, was sie am langen Ende zur Abwärtsmanipulation unternimmt: Am langen Ende kauft sie Bonds auf und erhöht damit die Liquidität. Umgekehrt müsste sie zum Heben des Zinsniveaus am kurzen Ende die dortige Liquidität verknappen. Und genau das tut sie mit besagter „Kreditaufnahme“, für die es nüchtern betrachtet keinerlei Gründe gibt, denn eine Zentralbank kann bekanntlich so viel Geld drucken wie sie will.

Das Ganze erscheint somit als ein riesiger Eiertanz, um die Leitzinsen weiter bei nahe Null halten zu können, ohne die US-Zinskurve – nach Tapering-Beginn – allzu stark aufsteilen zu lassen. Eine weitere Kosmetikmaßnahme, um die immer umfassendere Marktmanipulation zu vertuschen. Mit ernsthafter Zentralbankpolitik nach dem Vorbild der Bundesbank hat dieses Theater freilich kaum noch etwas zu tun.



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