Die Spatzen pfeifen es von den Dächern. Europa rauscht gerade in die Rezession. Wenn ein Wunder geschieht, könnte sie noch verhindert werden – aber welches Wunder sollte das sein? Gleichzeitig erlebt Europa eine beispiellos hohe Inflation. In der Eurozone liegt die Teuerungsrate im August bei 9,1 Prozent im Jahresvergleich. Die EZB hatte im Juli überraschend den Leitzins um ganze 0,50 Prozentpunkte auf 0,50 Prozent angehoben. Für die langsame und passive EZB war das schon eine kleine Sensation. Aber jetzt steckt die Zentralbank der Eurozone in ihrer selbst gebauten Falle.
EZB morgen vor Jumbo-Zinsschritt
Was tun? Der Kapitalmarkt erwartet – das zeigen die Berichte der letzten Tage – für die morgige Entscheidung der EZB (14:15 Uhr), dass sie den Leitzins um ganze 0,75 Prozentpunkte anhebt. Es wäre ein wirklich kräftiger Schritt, aber er wäre notwendig um diese sehr hohe Inflation einzudämmen. Und ihm müsste womöglich eine noch weitere kräftige Zinsanhebung im Oktober folgen, die auch erwartet wird. Die Wirkung würde erst nach Monaten oder mehreren Quartalen einsetzen – aber irgendwann muss man ja mal mit den Zinsanhebungen anfangen?
Während die kräftige Zinsanhebung wegen der hohen Inflation mehr als logisch ist, steht dem gegenüber die Rezession in Europa, die in großen Schritten heran rauscht. Explodierende Energiepreise und hohe Inflation haben bei Konsumenten zu großer Kaufzurückhaltung geführt. Weil hohe Produktionskosten nicht weitergereicht werden können, schließen bereits viele Unternehmen ganz oder fahren zumindest bereits ihre Produktion herunter – angefangen vom kleinen Bäcker um die Ecke bis hin zu Stahlwerken und Aluminium-Hütten, bei denen laut jüngsten Berichten ein Massensterben von Betrieben befürchtet wird. Erhöht die EZB nun die Zinsen kräftig, verteuern sich die Kredite für Unternehmen massiv, was die anstehende Rezession noch verschärfen dürfte.
EZB hat sich diese Falle selbst gebaut
Nun steckt die EZB in einem Dilemma. Bekämpft man mit stark steigenden Zinsen die Inflation in der Eurozone? Oder lässt man die Inflation laufen und hofft, dass sie in den nächsten Quartalen von alleine sinken wird? Denn man könnte nun genau so argumentieren, dass ein Verzicht auf steigende Zinsen notwendig ist, um die Wirtschaft in Europa nicht noch stärker abzuwürgen. Genau so argumentiert laut Bloomberg der Premierminister von Spanien Pedro Sánchez. So sagte er gestern, dass die Zinserhöhungen der EZB mit der notwendigen Erholung der Konjunktur im Euroraum vereinbar sein sollten. Die Straffung der Geldpolitik müsse mit dem wirtschaftlichen Erholungspfad Europas und Spaniens in Einklang gebracht werden.
Die EZB hat sich ihre Falle in den letzten Jahren selbst gebaut, wohl ohne es zu merken. Jahrelang beließ man die Zinsen im Keller, obwohl sich die Wirtschaft in der Eurozone nach der Finanzkrise 2008 wieder erholt hatte. Als die Fed für die USA schon längst die Zinswende ankündigte und einleitete, blieb die EZB weiterhin passiv. Aber da war es schon zu spät. Mit dem jahrelangen Nullzins bestellte man das Feld für das Entstehen der Inflation, die auch schon vor dem Ukraine-Krieg im Februar bei 5,9 Prozent lag. In den Jahren davor hätte man die Zinsen anheben können, tat es aber nicht – mutmaßlich um die Südländer in der Eurozone mit dauerhaft günstigen Finanzierungskonditionen für neue Staatsschulden zu unterstützen. Jetzt hat man keinen Spielraum für Zinssenkungen, sondern muss im Gegenteil versuchen in großen Schritten der Inflation hinterher zu laufen, die 8,6 Prozentpunkte höher liegt als der Leitzins. Und eben dieser immens große Abstand könnte zu so hohen Zinsschritten zwingen, dass die Konjunktur dadurch noch stärker beschädigt wird.
Ökonom rät von Zinsanhebungen ab
Robin Brooks vom Institute of International Finance hat sich zuletzt gegen Zinsanhebungen durch die EZB ausgesprochen. Die Eurozone rausche in eine tiefe Rezession. Zinsanhebungen seien deswegen nicht notwendig. Die Entscheidungsträger der EZB würden eine Anhebung um 75 Basispunkte erwägen, um den Euro zu stützen. Eine Anhebung um 75 Basispunkte könnte laut Robin Brooks jedoch das Gegenteil bewirken. Sie werde das Gerede am Markt verstärken, dass die EZB einen politischen Fehler begeht, da sie in eine tiefe Rezession hinein steuert. Der beste Weg, den Euro zu stützen, ist es die Zinsen NICHT zu erhöhen, so eine Meinung.
FMW-Anmerkung: Das ist nun mal das Problem, wenn man hohe Inflation und stagnierende/rückläufige Wirtschaft zur selben Zeit hat (das nennt man noch mal wie… Stagflation?). Normale Mechanismen zur Bekämpfung hoher Inflationsraten könnten in diesem aktuellen Umfeld die anstehende Rezession in Europa noch verschärfen. Aber blickt man im Augenblick vor allem auf die Inflation, bleibt der EZB morgen wohl kaum eine Wahl, als kräftig die Zinsen anzuheben. Würde man es nicht tun, wie sollte man dann noch ernsthaft öffentlich sagen können, dass man seine Kernaufgabe der „Preisstabilität“ wahrnimmt?
ECB policy makers are contemplating a 75 bps hike in part to buoy the Euro. But a 75 bps hike may have the opposite effect. It will embolden market chatter that the ECB is making a policy mistake, as it's hiking into a deep recession. Best way to support Euro is NOT to hike… pic.twitter.com/uHXn5Vm1U2
— Robin Brooks (@robin_j_brooks) September 6, 2022
Deep Euro zone recession is coming. Germany's new manufacturing orders from domestic sources (blue) fell 5% in July from a month earlier. That's BEFORE the final shut-off of Nordstream gas from Russia and rising fear around Europe's energy crisis. This is no time for ECB hikes… pic.twitter.com/9XpqFDjf7Y
— Robin Brooks (@robin_j_brooks) September 6, 2022
European manufacturing is in deep recession, with forward-looking data like orders – inventories (blue) at 2008 levels in Germany (lhs) and Italy (rhs). This just isn't an environment where supply shocks will broaden out into generalized inflation. No need for the ECB to hike… pic.twitter.com/RhZlIqVypw
— Robin Brooks (@robin_j_brooks) September 6, 2022
FMW/Bloomberg/IIF
Kommentare lesen und schreiben, hier klicken
„0,75 wären ein wirklich kräftiger Zinsschritt.“
Bitte eine Warnung vor derart gelungenen Brüllern positionieren. Man kann auch an Kaffee ersticken wenn man diesen während des Lesens konsumiert.
Eine Inflation verursacht immer eine Rezession, auch ohne Zinsanhebungen. Viele Betriebe müssen schließen, da die inflationierten Preise nicht überall an die Kunden weitergereicht werden können, bzw. eine Kalkulation der Produktion nicht mehr möglich ist. Um aus der Rezession herauszukommen, muss das Ungleichgewicht von von Geldmenge und Warenangebot wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Da mehr Geld als Güter vorhanden sind und ersteres durch die Politisierung der EZB massiv vermehrt wurde, bleibt nur die Möglichkeit, die umlaufende Geldmenge zu reduzieren – also die Zinsen kräftig anzuheben. Das kleine Einmaleins des gesunden Menschenverstandes muss nicht jeder Minister oder Ministerpräsident beherrschen. Es handelt sich ja nur um Geld.
Ich bin ja mal gespannt ob wir eine Leitzinz Erhöhung bekommen oder ob es sogar eine Leidzinz Erhöhung wird😉