Hintergrund

Muster oder Gesetzmäßigkeiten schwerer Finanzkrisen

Guido Lingnau erforscht den Zusammenhang zwischen Demografie und den Entwicklungen an den Finanzmärkten – siehe dazu unser Interview mit Guido Lingnau unter dem Titel „Auch die sicheren Häfen sind in Gefahr„.
Folgender Text ist ein Kapitel-Ausschnitt seines neuen Buches „Auch die sicheren Häfen sind in Gefahr“ – die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des FinanzBuch Verlags:

Muster oder Gesetzmäßigkeiten schwerer Finanzkrisen

Wenn es starke Länder wie Japan oder die USA treffen kann, dann kann
es auch alle anderen Länder treffen. Wenn die Wirtschaft und die Immobilienmärkte
in Japan seit mittlerweile 25 Jahren auf einem absteigenden
Ast balancieren, warum dann nicht zukünftig auch in Deutschland?
Wenn das Platzen einer Immobilienblase immer wieder zu nachhaltigen
und gravierenden Folgen für ein Land und dessen Finanz- und Immobilienmärkte
führt, ja sogar das ganze soziale Gefüge zerstören kann, dann
sollten wir uns ernsthaft fragen, wann und wo solche Krisen in Zukunft
entstehen könnten. Wir sollten die Ursachen der Entstehung und Entwicklung
solcher Krisen unter die Lupe nehmen und nach Gemeinsamkeiten
suchen. Die Muster, die wir dabei finden, könnten wir nutzen, um
die nächsten schweren Immobilien- und Bankenkrisen zu erkennen, bevor
sie großen Schaden in unserem Vermögen anrichten können.

In Kapitel 2 haben wir gesehen, dass die wirklich schlimmen Finanzkrisen
sehr oft im demografischen Frühherbst stattfanden, jeweils gut 40
Jahre nach einem nachhaltigen und mindestens 10-prozentigen Geburtenrückgang.
Zuvor gab es jeweils einen lang anhaltenden Wirtschaftsboom,
der in Blasen an den Aktien- und Immobilienmärkten mündete.
Zuerst platzte meist die Aktienmarktblase, und während die Wirtschaft
langsamer als erhofft wieder auf die Beine kam, wurden Innovationen
und Reformen vernachlässigt. Stattdessen wurde die wenig innovative
Baubranche gefördert – Eigenheimförderung, sozialer Wohnungsbau,
Infrastrukturprojekte, Konjunkturprogramme – und das Geld billig
gemacht. Die Immobilienpreise stiegen dadurch wieder, ohne dass der
Anstieg wirtschaftlich untermauert war. Zu hohe Preise und ein Überangebot
an Wohnraum führten zum Platzen der Immobilienblase und danach
zu einer schweren Finanzkrise. Das Muster könnte also lauten: Ein
langer Wirtschaftsboom führt zu Übertreibungen. Wenn dann die Babyboomer
40 werden und die Blasen an den Aktien- und Immobilienmärkten
platzen, kommt es zu schweren Finanzkrisen.

Aber lässt sich daraus eine eindeutige Gesetzmäßigkeit konstruieren? Es
gibt sicherlich viele Anzeichen dafür, dass es im Rahmen bestimmter demografischer
Strukturen immer wieder zu bestimmten Entwicklungen kam. Aber nicht immer
folgt gut 40 Jahre nach einem nachhaltigen Geburtenrückgang eine schwere Finanzkrise.

In Spanien und Irland waren die Babyboomer für eine Immobilienkrise
eigentlich viel zu jung, und trotzdem litten gerade diese beiden Länder
der Eurozone besonders heftig unter der großen Finanzkrise. Der Grund
hierfür dürfte in der für Spanien und Irland ungeeigneten Niedrigzinspolitik
der Europäischen Zentralbank zwischen 2004 und 2007 liegen.
Denn zeitgleich zum Boom in diesen beiden Ländern kämpfte Deutschland
mit einer langwierigen wirtschaftlichen Schwächephase. Die EZB
entschied sich, die deutschen Bedürfnisse nach möglichst niedrigen Zinsen
stärker zu berücksichtigen als den Ruf der Boom-Länder nach konjunkturdämpfenden
Maßnahmen, wohl wissend, dass dies sehr negative
Auswirkungen für Spanien, Irland oder auch Griechenland haben könnte.
Die damaligen Boom-Länder hätten sich mit höheren Steuern vor zu
hohen Kapitalzuflüssen schützen müssen, was sie aber nicht taten. Eine
von der Politik und damit vom direkten Wählerwillen relativ unabhängige
Notenbank kann allem Anschein nach eher vor Blasen und einer Überhitzung
der Wirtschaft schützen als nationale Regierungen.

Dass eine Immobilienblase nicht immer eine systemrelevante Finanzkrise
auslösen muss, zeigen derzeit die Niederlande und Dänemark. Beide
Länder leiden recht leise. Auch sie haben seit einigen Jahren mit rückläufigen
Immobilienpreisen zu kämpfen und müssen Banken retten, während
die Wirtschaft nicht richtig in Fahrt kommt. Beide Länder befinden
sich demografisch in der problematischen Zone, hatten aber keine richtig
große Immobilienblase. Ob die große Krise dort noch kommt, ist nicht
ausgemacht, aber es sieht nicht danach aus.
Deutschland ist es sogar gelungen, eine eigene schwere Finanzkrise zu
vermeiden. Die deutsche Volkswirtschaft litt zwar auch unter den Krisen
in den USA, Irland und Spanien, aber aufgrund ihrer eigenen Stärke
konnte sie diese Herausforderung meistern.
Es gibt sie also, die Ausnahmen von unserem beschriebenen Muster der
sich langfristig anbahnenden schweren Finanzkrise, deren Keim 40 Jahre
zuvor durch einen Babyboom gelegt wird, die sich sukzessive durch einen
wirtschaftlichen Aufschwung und die Bildung von Blasen an den Aktien-
und Immobilienmärkten aufbaut und die dann mit dem Platzen der
Blasen abrupt ausbricht. Für diese Ausnahmen lassen sich aber Gründe
finden. Überdies sind sie zahlenmäßig sehr überschaubar. Ausnahmen
bestätigen die Regel, so heißt es. Eine Regel ist zudem keine Gesetzmäßigkeit
im naturwissenschaftlichen Sinne.

Es lohnt sich aber dennoch, diese Regel zu beachten und sich auf die Suche
nach Ländern zu begeben, deren Babyboomer jetzt um die 40 Jahre
alt sind und in denen in den letzten Jahren die Immobilienpreise stark angestiegen
sind. Und tatsächlich finden wir eine ganze Reihe von Ländern,
auf die diese Merkmale zutreffen.

Der wahrscheinlichste Kandidat für die nächste schwere Finanzkrise ist
sogar ein ganz schwerer Brocken. Es ist der zuletzt wichtigste Wachstumsmotor
der Weltwirtschaft: China. Dort finden wir jetzt alle Kriterien
gleichzeitig: Die Babyboomer sind Anfang 40, eine Immobilienblase hat
sich gebildet, die Politik der Notenbank ist lax, der Staat hat wiederholt
Konjunkturpakete geschnürt und seine Verschuldung extrem gesteigert.



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