Asien

Risse in Chinas Schattenbanken-System

Von Claus-Peter Sesin

Ende Januar dürfte erstmals ein großer Fonds aus Chinas Schattenbankensystem faul werden.  Die Großbank ICBC, die den Fonds vermarkten half, will Investoren für die Verluste nicht entschädigen. Der Vertrauensschwund könnte zu einer Kettenreaktion führen.

Um schädlichen Marktüberhitzungen, insbesondere am Immobilienmarkt, entgegenzuwirken, fährt die chinesische Zentralbank (PBoC) seit gut einem Jahr die Liquidität zurück. Damit versucht sie vor allem das ausufernde Schattenbanken-System trocken zu legen, das ihr schon lange ein Dorn im Auge ist.
Die Akteure im Schattenbankensystem – regionale Banken, Fonds, private Geldverleiher und sonstige Investoren – refinanzieren sich wie normale Banken hauptsächlich am chinesischen Interbankenmarkt. Je mehr Zinsen sie dort zahlen müssen, desto weniger Gewinn werfen ihre halblegalen Verleih-Aktivitäten ab. Die von der PBoC verordneten Liquiditätsengpässe führten wunschgemäß dazu, dass sich die Zinsen am chinesischen Interbankenmarkt verteuerten – teils deutlich.

Ab Sommer 2013 entwickelte sich jedoch eine unangenehme Eigendynamik. Im Juli und später noch einmal im Dezember schossen die Zinsen an Chinas Interbankenmarkt auf über zehn Prozent hoch. Dies ist ein Indiz, dass die chinesischen Banken einander nicht mehr trauen. Sie haben Angst, ihre an andere Banken ausgeliehenen Gelder nicht mehr zurück zu erhalten.
Um eine unkontrollierbare Panik zu vermeiden, flutete die chinesische Zentralbank den Markt im Juli und im Dezember mit Milliardenspritzen. Marktbeobachter sehen darin – zumindest bislang – einen Sieg der Schattenbanker: In akuten Notlagen sind Chinas Zentralbanker offenbar nach wie vor zu einem Bailout bereit, um Schlimmeres zu verhindern.

Dennoch bleiben die sprunghaft angestiegenen chinesischen Kurzfristrenditen ein Alarmsignal. US-Großspekulant George Soros sagte Anfang Januar, dass die angespannte Lage an Chinas Interbankenmarkt eine „fatale Ähnlichkeit“ zur Geldklemme aufweise, die ab Sommer 2007 in USA aufkam und in deren Gefolge 2008 viele Banken – darunter Lehman – pleite gingen.
Banken verdienen ihr Geld normalerweise, indem sie langfristig (etwa an Hauskäufer) Geld zu hohen Zinsen verleihen und sich kurzfristig günstig u. a. am Interbankenmarkt refinanzieren. Die Zinsdifferenz ist ihr Gewinn, und wenn sie mit hohem Hebel (= wenig Eigenkapital) arbeiten, dann können die Erträge – und Boni – sehr hoch ausfallen. Dieses Geschäftsmodell basiert jedoch auf Vertrauen. In einer Vertrauenskrise wird für wackelige Banken die kurzfristige Refinanzierung teuer, wenn nicht gar unmöglich. Dies geschah 2007 in USA – und seit 2013 droht es auch in China.
Letztes Jahr musste die chinesische Zentralbank zudem feststellen, dass sie mit ihrer Liquiditätsverknappung das exakte Gegenteil von dem erreichte, was sie eigentlich wollte: Das Schattenbankensystem verzeichnete wider Erwarten einen regelrechten Boom. Grund: Viele marode Firmen, die wegen der Geldverknappung von normalen Banken keine Kredite mehr erhielten, mussten sich wohl oder übel an windige Verleiher aus dem Graumarkt wenden. Teure Zinsen zu zahlen war für sie immer noch besser, als sofort pleite zu gehen.
Verkomplizierend hinzu kommt, dass das Normalbankensystem eng mit dem Schattenbankensystem verwoben ist – und dies nicht nur hinsichtlich der gemeinsamen Refinanzierung am Interbankenmarkt: Chinesische Normal- und Großbanken vermitteln an betuchte Investoren gern hochrentierliche Anlageprodukte, die aus dem lukrativen – da zinshohen – Schattenbanken-Sektor stammen. Denn dafür können sie üppige Provisionen einstreichen. Das Problem für die Käufer solcher Produkte bleibt indes die Haftung. Bislang gingen sie hedonistisch davon aus, dass bei Rückzahlungsproblemen die Bank, die ihnen die Anlageprodukte vermittelte, schon irgendwie einspringen werde – oder dass zumindest am Ende die Zentralbank aushelfe.
Diese Hoffnung wurde Ende letzter Woche erstmals enttäuscht. Ein Schattenbanken-Fonds mit dem ebenso hochfliegenden wie irreführenden Namen „Credit Equals Gold # 1 Collective Trust Product“ kann bei seiner Endfälligkeit am 31. Januar 2014 voraussichtlich nicht voll bedient werden. Zu den Vermarktern dieses Produkts zählt u. a. die chinesische ICBC (Industrial and Commercial Bank of China). ICBC lehnte am Donnerstag gegenüber Anlegern, die auf ihre Empfehlung in diesen Fonds investiert hatten, jegliche Haftung ab.
Emittentin dieses Hochzins-Fonds ist das Treuhandunternehmen China Credit Trust. Die Schattenbank nutzte die vereinnahmten Gelder unter anderem, um einen Kredit an den nicht börsennotierten chinesischen Kohlenförderer Shanxi Zhenfu Energy Group Ldt. zu vergeben. Der Geschäftsführer dieser Firma kam im Mai 2012 hinter Gitter, weil er Geldeinlagen in Empfang genommen hatte, ohne über eine Banklizenz zu verfügen. 2013 fiel obendrein der Weltmarktpreis für Kohle, was die Firma noch weiter in die Enge trieb. Ihren Kredit an China Credit Trust wird sie voraussichtlich nicht zurückzahlen können. Auch andere Kohleförderer sind von den Preisrückgängen getroffen, darunter die Liansheng Resources Group. Große Probleme haben zudem regionale Immobilienentwickler, die ihre oft unrentablen Projekte mit Krediten aus dem Schattenbankensystem finanziert haben.
Die US-Ratingagentur Standard & Poors meldete am Freitag, dass chinesische Immobilienentwickler 2014 wegen unzureichender Finanzierung deutlich unter Druck geraten werden. Analysten gehen zudem davon aus, dass dem chinesischen Schattenbankenmarkt durch Tapering (QE-Reduzierung) in USA Liquidität entzogen wird. Erschwerend hinzu kommt, dass große Städte wie Peking und Schanghai der ausufernden Immobilienspekulation aktiv einen Riegel vorschieben wollen. Im Dezember verzeichneten chinesische Immobilienpreise die stärksten Anstiege seit zwölf Monaten.
Die chinesische Zentralbank wandelt daher auf schmalem Grat: Sie muss zur Blasen- und Inflationsbekämpfung die Liquidität verknappen, darf damit aber im Schattenbankensystem keine Panik erzeugen. Die Geldverknappung zeigt bereits Wirkungen: Im Dezember schwächte sich Chinas Industrieproduktion ab, und der Zuwachs in 2014 soll jüngsten Prognosen zufolge der schwächste der letzten 24 Jahre werden. Das Gros der Analysten rechnet für 2014 mit einem leicht reduzierten BIP-Wachstum von 7,4 Prozent; 2013 lag es nach den heute morgen veröffentlichten Zahlen bei 7,7 Prozent. Ab 7,2 Prozent befürchtet die chinesische Regierung negative Auswirkungen für den Arbeitsmarkt.
Schieflagen im Schattenbankenmarkt könnten die PBoC jedoch dazu zwingen, wider Willen erneut die Liquidität zu erhöhen. PBoC-Präsident Zhang Xiaohu schrieb im Magazin „China Finance“, dass er den „Liquiditäts-Level dem Bedarf anpassen“ wolle, eine straffere Geldpolitik jedoch vorziehe. Chinas KP fürchtet indes Wiederholungen der Geldmarkt-Turbulenzen, die sie – offenbar auch politisch – für „zu gefährlich“ hält. In diesem Klima könnte auch die PBoC weiter auf ihrem „Zickzack-Kurs“ bleiben – was den Schattenbankern noch eine Gnadenfrist bescherte.
Die chinesische Gesamtschuldenquote ist seit 2008 von 130 auf 210 Prozent des BIP hoch geschnellt – der schnellste Anstieg, den je eine größere Volkswirtschaft verzeichnete. Dies erhöht die Gefahr einer Boom/Bust-Entwicklung wie in Japan nach 1990. Insgesamt hat die PBoC seit 2008 den Gegenwert von 15,4 Billionen US-Dollar in das landeseigene Bankensystem gepumpt – das 2,5-fache des chinesischen BIPs und sieben Mal mehr als im gleichen Zeitraum die US-Notenbank Fed. Trotz dieser massiven Stimulation fiel Chinas Aktienindex SSE heute unter die Marke von 2000 Punkten – ein Kursniveau, das nur knapp über dem letzten Krisentief im Winter 2008/2009 liegt.



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