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Russland kann ohne Vertrag Gas über die Ukraine nach Europa liefern

Russland könnte auch nach Vertragsende weiterhin Gas über die Ukraine nach Westeuropa liefern. Hier dazu eine Analyse.

Gas-Pipeline
Gas-Pipeline. Foto: Ksandrphoto - Freepik.com

Ende 2024 läuft der Transitvertrag zwischen dem ukrainischen Gasversorger Naftogaz und dem russischen Gaskonzern Gazprom aus. Dies ist kein zwangsläufiges Ende, dass Gazprom kein Gas mehr über das Leitungsnetz der Ukraine nach Europa durchleitet. Schließlich ist der Betreiber des ukrainischen Transportnetzes nicht an einen Langfristvertrag gebunden, erklärte ein russischer Experte Ende Oktober. Per Ausschreibung könne Gazprom, wie in Europa üblich, beim Transportnetzbetreiber Kapazitäten buchen, um weiter Gas aus Russland an europäische Vertragspartner wie Ungarn, Slowakei oder Österreich zu liefern. Immerhin stehen für die Ukraine rund 1,3 Milliarden US-Dollar auf dem Spiel, die Gazprom für den Gastransport im Jahr zahlt.

Russland kämpft um Europa

Zusammen können die Gasleitungen über die Ukraine und das Schwarze Meer knapp 31 Milliarden Kubikmeter russisches Gas nach Europa transportieren. Nach dem Vorstoß von Bulgarien, für russische Gastransporte im Land eine Extragebühr zu erheben, scheinen in Russland die Alarmglocken zu läuten. Aktuell strömen am Tag im Schnitt 40 Millionen Kubikmeter Gas (rund 15 Milliarden Kubikmeter im Jahr) von Russland über die Ukraine nach Ungarn und in die Slowakei. Ungarn bezieht immerhin die Hälfte seines Importgases auf diesem Weg, während die andere Hälfte über Turkish Stream und Bulgarien ins Land kommt. Insgesamt verbraucht Ungarn 8 bis 9 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr.

Um nicht noch mehr Boden in Europa zu verlieren und das jetzige Transportvolumen auch für die Zeit nach 2024 im wahrsten Sinn des Wortes zu retten, richtet sich der Blick für Russland auf den Gastransport über die Ukraine. Das machen die Überlegungen vom Generaldirektor des Instituts für Nationale Energie Alexander Frolow zum Gastransit über die Ukraine nach Auslaufen des Transitvertrages zwischen Gasversorger Naftogaz und Gazprom deutlich, die er gegenüber der russischen Agentur 1Prime Ende Oktober äußerte.

Europäische Energiemarktregeln öffnen Spielräume

Frolow verwies auf Energiemarktregeln in Europa, denen sich die Ukraine Ende der 2010er Jahre im Zug der europäischen Integration ihres Energiesektors unterzogen habe. Nach dem Vorbild europäischer Unternehmen sei es zur Trennung der Produktions- und Transportgeschäfte gekommen. Der eigens eingerichtete Gasnetzbetreiber Operator GTS Ukraini sei folglich für das Transport- und Transitgeschäft zuständig.

„Naftogaz hat also nichts damit zu tun“, schloss Frolow daraus. Dies mindere den Wert der Aussagen seiner Führung. Am 29. Oktober hatte Naftogaz-Chef Oleksiy Chernyshov erklärt, dass die Ukraine den auslaufenden Transitvertrag für russisches Gas nicht verlängern werde. „Der Vertrag endet. Der Transit wird eingestellt“, so Chernysov. In Gesprächen mit der EU, der Kommission und Regierungschefs habe es kein Signal zu einer nötigen Vertragsverlängerung gegeben. Für Forlow ist diese Erklärung Ergebnis der aktuellen, politischen Situation. Es würde seltsam anmuten, wenn sich Chernyskov für eine Vertragsverlängerung aussprechen würde. Aber auch ohne Transitvertrag könnten europäische Abnehmer Gas aus Russland über die Ukraine beziehen. Wie in Europa üblich, könne Gazprom mittels Ausschreibung Kapazitäten beim zuständigen ukrainischen Gasnetzbetreiber zum Transport buchen.

Europa hält Transport aus Russland über die Ukraine offen

Medienberichten zufolge erklärte Kommissionssprecher Tim McPhie am 30. Oktober, dass es noch zu früh sei, eine Einschätzung zum Auslaufen des Transitvertrages Ende 2024 zu geben. „Die aktuelle Vereinbarung läuft am 31. Dezember 2024 aus. Das Erste, was zu sagen ist, ist, dass dies noch in weiter Ferne liegt, und wir nicht in einer Position sind, darüber zu spekulieren, wie jetzt die Situation in über einem Jahr aussehen wird“, antwortete McPhie auf einer Pressekonferenz in Brüssel auf eine entsprechende Frage.

Es sei gelungen, die Diversifizierung voranzutreiben und die Investitionen in den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen. Hinzu kämen erhebliche Maßnahmen zur Energieeffizienz und zur Reduzierung der Nachfrage. Ohne etwas vorwegzunehmen, sei die Situation völlig anders als bei der Unterzeichnung des Transitabkommens. „Unser Ziel bleibt, die Importe fossiler Brennstoffe aus Russland so schnell wie möglich und so weit wie möglich zu reduzieren“, erklärte McPhie weiter. Europa spielt demnach auf Zeit und will sich nicht zu früh positionieren. Die Frist zum Ausstieg aus russischen Gaslieferungen läuft bis 2027. Bis dahin muss ein Ersatz von mindestens 40 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr her.

Gas-Pipelines von Russland über die Ukraine nach Westeuropa
Gas-Pipelines von Russland über die Ukraine nach Westeuropa. Grafik: Samuel Bailey CC BY 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/

Russland braucht Schiffe

Um die Verluste beim Gasexport nach Europa über Pipelines ein Stück weit aufzufangen, legen in europäischen Häfen immer mehr Schiffe mit LNG aus dem russischen Norden an. Der Produktionsausbau von Gasverflüssigungskapazitäten ist in Russland eine strategische Aufgabe. Um noch mehr LNG nach Europa und Asien zu verschiffen, hält russischen Medien zufolge Premier Michail Mischustin eine leistungsstarke Flotte und starke Schiffbauindustrie für erforderlich. Im letzten Juli hatte er daher gefordert, dass die Werften dazu eine tiefgreifende Lokalisierung der Produktion für alle Schiffstypen von nuklearen Eisbrechern, Gastransportern, Tankern und Containerschiffen bis hin zu kleinen Flussschiffen durchführen müssten.

Ende Oktober teilte das russische Industrie- und Handelsministerium mit, dass auf Anweisung von Premier Mischustin ein Fahrplan für die Schaffung inländischer Gastransportunternehmen erstellt und genehmigt worden sei. Zugleich sei es verfrüht, über die Kosten und den Zeitpunkt des Baubeginns zu sprechen. Doch braucht die Umsetzung des Fahrplans viel Zeit, so dass Gasexporte über bestehende Pipelines für Russland lukrativ sind. Ein Festhalten an der Ukraine rechnet sich. Die Kosten zum Bau neuer LNG-Tanker wollen erwirtschaftet sein.

Außerdem scheinen die 1,3 Milliarden US-Dollar im Jahr, die Gazprom für den Gastransit über die Ukraine zahlt, für beide Seiten einen Anreiz zu bieten, den Gastransit fortzusetzen. Eine Verteuerung des Transports in Bulgarien ist für Gazprom ein Grund, so viel Transportvolumen wie möglich in der Ukraine zu halten. Das Prozedere zur Buchung von Transportkapazitäten entspricht dem europäischen Energierecht und braucht keinen Transitvertrag in der jetzigen Ausprägung. Die Frage ist nur, ob der ukrainische Gasnetzbetreiber akzeptiert, dass Gazprom per Ausschreibung Kapazitäten buchen kann. Das hängt wiederum davon ab, wie sich der Verlust der Transiteinnahmen kompensieren lässt. In den Gesprächen zwischen der Ukraine und Brüssel ist das bestimmt ein Thema.



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6 Kommentare

  1. Naja, die Ukraine wird sich die Stange Geld für die Durchleitung nicht entgehen lassen.
    Aber sie fordert ja gleichzeitig, dass Deutschland umfangreiche Sanktionen gegen Russland verhängt, weil mit dem Geld Bomben gegen die Ukraine hergestellt werden können?
    Habe ich da was falsch verstanden?

    Viele Grüße aus Andalusien Helmut

  2. 1,3 Milliarden weniger Einnahmen für die Ukraine, die dann die EU – also vornehmlich wir Deutschen – kompensieren sollen, ohne eine adäquate Gegenleistung in Rohstoffen zu bekommen. Das russische Gas kaufen wir uns dann als LNG selbstverständlich auch teurer über Umwege.

    Klingt für mich sehr realistisch. 🤔

    1. Alternative: EU-Staaten zahlen die Transitkosten an die Ukraine, damit Gazprom sie beliefert. Gazprom als großer Gewinner, die Ukraine kommt mit +/- 0 aus dieser Sache heraus, die EU als großer Verlierer.

    2. Die Ukraine wil ihr eigenes Gas aus dem Donbass und dem Schwarzen Meer vor der Krim fördern. Das ist einer der Hauptgründe warum Putin diese Gebiete erobern will. Um de Ukraine und Europa diese Lagerstätten nicht zu überlassen und Europa erpressen zu können.

      1. du hast vergessen zu erwähnen ,das die amerik. uk Ölkonzerne derzeit die Hand draufhaben, Hunter Biden hat auch Bohrlizenzen im Donbass

  3. Wie die ukrainische Regierung ja schon mitgeteilt hat, zahlt die Russische ebenda nicht mehr für den Transit. Die Leitungen sind nur noch offen wegen der europäischen Verbündeten und ab nächstes Jahr ist Schluss. Dem Irrglauben, dass es doch noch weitergehen wird, werden ein paar Kilo Sprengstoff genauso schnell in Luft auflösen wie die Pipeline. Sobald die Ukraine den Transit einstellt, wird auch die Pipeline Geschichte sein. Allein die Tatsache das diese Pipeline hauptsächlich Länder wie Ungarn oder Österreich beliefert und dieses absolute Nutzlos für die ukrainischen Kriegsbemühungen sind, sollte doch klarmachen das diese Pipeline keine Zukunft hat.

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