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Gas für Südosteuropa – Abnabeln von Russland – da tut sich was

Die EU will weg vom Gas. Südosteuropa braucht aber noch jahrelang Lieferungen. Es tut sich bereits einiges beim Abnabeln von Russland.

Mit dem Transitende für russisches Gas über die Ukraine Ende 2024 verschärft sich die Diskussion, wie sich die wegfallenden Lieferungen ersetzen lassen. So warf Ungarn der Europäischen Union jüngst vor, die Länder in Südosteuropa in ihrem Bemühen um Ersatz nicht genug zu unterstützen. In diese Region exportiert Russland über die Ukraine und einen Strang der Schwarzmeer-Gasleitung Turkish Stream rund 30 Milliarden Kubikmeter Gas. Das ist über die Hälfte der verbliebenen russischen Gasexporte nach Europa. Das meiste Gas davon beziehen Ungarn und Österreich.

EU drängt zur Diversifizierung beim Bezug von Gas

„Die Europäische Union übt Druck auf uns aus, Gas nicht aus Russland, sondern anderswo zu kaufen. Wir sagen: Okay, wir sind bereit zu diversifizieren, aber wir brauchen neue Versorgungswege. Bitte helfen Sie uns. Und sie sagen: Nein, Gas ist nicht modern, nicht nachhaltig, und wir sollten nach grünen Lösungen suchen“, monierte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto in einem Interview im türkischen Fernsender TRT jüngst im August.

In 10 bis 20 Jahren könnten einige alternative Energiequellen Gas ersetzen, aber nicht jetzt und auch nicht in absehbarer Zukunft. „Wir müssen jetzt in die Gasinfrastruktur in dieser Region investieren.“ Die EU fordere einerseits Diversifizierung, schließe anderseits aber die Augen und unterstütze nicht. Daher führten die Slowakei, Rumänien, Serbien, Ungarn, Bulgarien, Griechenland und die Türkei „eine Reihe von Verhandlungen, wie sich die Transportkapazitäten in der Region erhöhen ließen, um große Gasmengen von der Türkei, Aserbaidschan und Katar über Südosteuropa nach Mitteleuropa zu transportieren.

Ungarn sicherte sich Gas

Wie wichtig die Türkei für die sichere Gasversorgung Ungarns mit der Transanatolischen Gasleitung Tanap ist, stellte Szijjarto im Interview heraus. Dazu betonte er: „Wenn wir Turkish Stream mit der Türkei, Russland, Bulgarien und Serbien nicht gebaut hätten, würden wir jetzt ein tiefliegendes Problem haben.“ Die Kapazität der Anschlussleitungen von Turkish Stream bis nach Ungarn umfasse 8,5 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr, während der jährliche Gasverbrauch im Land bei bis zu 9,5 Milliarden Kubikmeter Gas liege. „In einem Notfall wären wir in der Lage, uns exklusiv über die Türkei zu versorgen.“

Gleichzeitig erklärte er, dass die Regierung bereits lange vor dem Krieg in der Ukraine mit der Energiediversifizierung begonnen habe und dass neben Gas aus Russland, Gas aus der Türkei, Aserbaidschan und Katar die wichtigsten im ungarischen Energiemix sein werden. Laut der jüngsten Vereinbarung mit dem türkischen Öl- und Gashandelsunternehmen BOTAS sollen im nächsten Jahr fast 300 Millionen Kubikmeter türkisches Erdgas in Ungarn ankommen. Dies sei das erste Mal, dass die Türkei nicht nur Transitland, sondern auch Herkunftsland sei. Ebenso liefere Aserbaidschan bis zum Jahresende 100 Millionen Kubikmeter Gas. Künftig könnten die Lieferungen auf bis zu 2 Milliarden Kubikmeter Gas steigen. LNG-Lieferungen aus Katar könnten 2027 starten.

Es klemmt beim Transport

Woher das Gas letztlich kommt, hält Szijjarto nicht für entscheidend. Die Herausforderung sei die Lieferroute, um große Gasmengen nach Mittel- und Südosteuropa zu transportieren. Seit Jahren ist der vertikale Gaskorridor im Gespräch, der Erdgasströme sowohl von Norden nach Süden als auch umgekehrt von Süden nach Norden ermöglichen soll. Damit wollen die Länder im Binnenland sich Zugang zu LNG-Terminals an der Küste in Südeuropa und zu Gastransporten aus Aserbaidschan über den Südlichen Gaskorridor sichern. Eine gemeinsame Erklärung hierzu vereinbarten die Energieminister Griechenlands, Bulgariens, Rumäniens und Ungarns bereits im September 2016 in Budapest. Die Verhandlungen zögerten sich indes hin.

Anfang Dezember 2022 unterzeichneten die Gastransportnetzbetreiber DESFA aus Griechenland, Bulgartransgaz von Bulgarien, Rumäniens Transgaz, die ungarische FGSZ, der bulgarische Betreiber der neuen Gasverbindungsleitung ICGB (Bulgarien) und Griechenlands Gastrade nun eine weitere Absichtserklärung, die sich auf die gemeinsame Umsetzung des Vertikalen Korridors richtet. Auf ein Kooperationsabkommen der Gastransportnetzbetreiber mit Aserbaidschans Nationaler Ölgesellschaft Socar hatten sich die Energie- und Wirtschaftsminister von Bulgarien, Rumänien, Ungarn, der Slowakei und Aserbaidschan in der bulgarischen Hauptstadt Sofia im April 2022 geeinigt. Es sieht die Ertüchtigung und den Zusammenschluss der Gasnetze von Bulgartransgaz, Rumäniens Transgaz, Ungarns FGSZ und Eustream von der Slowakei zum Solidaritätsring vor, um Gas aus Aserbaidschan über die Türkei nach Zentral- und Südosteuropa zu transportieren. Dazu ließ die EU bislang wenig von sich hören.

Projekte von allgemeinem Interesse PCI sind förderbar

Die letzte Liste zu Projekten gemeinsamen Interesses, kurz PCI, vom November 2021 enthält Vorzugsprojekte zum europäischen Gasnetzausbau, die mit Mitteln der EU gefördert werden können. Dazu gehört die Gasverbindungsleitung zwischen Griechenland und Bulgarien, die Anfang Oktober 2022 in Betrieb ging. Sie ist in beide Richtungen nutzbar und kann im Jahr 3 Milliarden Kubikmeter Gas transportieren. Die Kapazität soll sich auf 5 Milliarden Kubikmeter Gas erhöhen, wenn 2024 der Bau einer weiteren Kompressorstation und eines LNG-Terminals in der Nähe der griechischen Stadt Alexandroupolis fertig werden. Der Gesamtwert des Projekts beträgt 253 Millionen Euro. Die EU unterstützte die Finanzierung zur Hälfte im Rahmen von einschlägigen Energie- und Wirtschaftsprogrammen.

EU auf Green Deal fokussiert

Ob in der kommenden Liste im November der vertikale Gaskorridor oder der Solidaritätsring, früher East Ring, enthalten ist, steht infrage, weil die Unterstützung für Gasnetze tatsächlich ein Auslaufmodell ist. Die Regularien zur Auswahl von Vorzugsprojekten, PCIs, haben sich im letzten Jahr geändert. Sie richten sich am Green Deal aus. Von daher dürften Szijjartos Worte mit dem Verweis, grüne Lösungen zu suchen, dem Kurs der EU entsprechen. Näher liegen da die Gaserschließungsarbeiten im Schwarzen Meer vor der Küste Rumäniens. Daran ist der österreichische Mineralölkonzern OMV beteiligt. Auch Ungarn hat sich hier Gas gesichert.

Das Gasleitungsprojekt Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Österreich, kurz ROHU/BRUA, um das Gas abzutransportieren, steht in der noch aktuellen PCI-Liste von 2021. Für den Bau des Zubringers vom Schwarzen Meer kommen 85 Millionen Euro aus dem europäischen Modernisierungsfonds. Insgesamt liegen die Baukosten bei 500 Millionen Euro. Im Juni informierte Transgaz über einen Vertrag zum Baustart mit einem türkischen Bauunternehmen. Bis zum Ende des Transitvertrags für russisches Erdgas ist jedoch keine Entlastung durch rumänisches Schwarzmeergas zu erwarten. Es bleibt ein Puzzle, wie sich die Gasmengen, die aus Russland nach Südosteuropa und Österreich fließen, ersetzen lassen. Am Ende sind alle Mitgliedsländer der EU betroffen, wenn die Gaspreise durch Engpässe steigen.

Verlegung einer Pipeline für den Transport von Gas Verlegung einer Gas-Pipeline. Foto: Aleksandarlittlewolf – Freepik.com



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1 Kommentar

  1. Oder gleich russisches Flüssiggas, zu einem mehrfach höheren Preis.

    Europa ist größer Abnehmer von russischem Flüssiggas

    https://amp2.handelsblatt.com/politik/international/lng-eu-importiert-mehr-fluessiggas-aus-russland-als-je-zuvor/29362430.html

    Viele Grüße aus Andalusien Helmut

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