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„Die dachten, das ist ein ganz besonders schlimmer Pate!“ Thomas Middelhoff über seinen Absturz

Thomas Middelhoff bei Boom und Bust Markus Fugmann Stefan Riße

Markus Fugmann und Stefan Riße befragten am 15. Dezember Thomas Middelhoff in ihrem Format Boom und Bust zu Schuld und Sühne.

Das Interview gliedert sich in zwei Abschnitte. In der ersten Hälfte (bis Timecode 28:34) kommt die Causa Middelhoff zur Sprache: sein tiefer persönlicher Absturz, die Gefängniszeit, die gesellschaftliche Ächtung, die unvermeidbar damit einherging. Im zweiten Teil befragten Fugmann und Riße dann den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Bertelsmann AG, wie er die gegenwärtige wirtschaftliche Lage in Deutschland einschätzt. Die ist „ganz, ganz besorgniserregend!“, antwortet Middelhoff.

Nachfolgend bringen wir einen Ausschnitt aus dem ersten Teil des Interviews mit Dr. Thomas Middelhoff. Es enthält, wie erwähnt, persönliche Bekenntnisse. Die Offenheit, mit der Middelhoff hier spricht, ist einprägsam, ja eindringlich! Deshalb bringen wir den O-Ton ungefiltert und enthalten uns bewusst jeglicher Wertung.

Das ganze Interview von BOOM & BUST sehen Sie hier: https://www.youtube.com/watch?v=JiMqCBqIOXw

Markus Fugmann: „Herr Dr. Thomas Middelhoff, Leute die ganz oben waren, und unten, haben nicht nur viel zu berichten, sondern auch inhaltlich Wichtiges mitzuteilen. […] Wie fühlt man sich, wenn es plötzlich heißt: verurteilt! Dann wird der Haftbefehl vorgelesen und man merkt, dass das ganze vorherige Leben zusammenbricht. Was ist das für ein Gefühl?“

Thomas Middelhoff: „Herr Fugmann, das ist kaum in Worte zu fassen, kaum in Worte zu kleiden. Am 14. November 2014 habe ich diese Situation erfahren. Und natürlich: Immer um diese Jahreszeit herum werde ich eigentlich täglich daran erinnert. Sie müssen sich vorstellen […], drei verschiedene Anwaltteams hatten mich darin bekräftigt, dass nur mit einem Freispruch zu rechnen sei. Meine erste Frau und einige meiner fünf Kinder waren im Gerichtssaal versammelt.

Ich hab wirklich viel Empathie für Angeklagte, die im Gerichtssaal erst einmal dem Feuer und Klicken der Kameras ausgesetzt sind. […] Man fühlt sich da sehr einsam und macht eigentlich immer alles falsch. Die einen denken, ich darf mich nicht hinsetzen, dann sehe ich schuldig aus. Die anderen denken, keine Miene verziehen. Ich bin so ein Typ, der eigentlich immer ganz gerne lächelt. […] Dann nimmt man sich natürlich vor, jetzt lächele ich aber nicht, weil das wird ja vollkommen falsch interpretiert. Und dann habe ich natürlich an irgendeiner Stelle doch gelächelt – was reine Verlegenheit war – und das wurde dann natürlich auch gleich im großen Kontext thematisiert.

Na jedenfalls, man steht da vollkommen schutzlos. Ich will nicht sagen, dass das Gericht extra später reingekommen ist. Es ist aber verspätet reingekommen. Dann zieht die Staatsgewalt ein, und das wird einem schon klar. […] Der Richter hebt das Mikrofon leicht an, weil er steht, weil er das Urteil im Stehen verkünden wollte. Und dann kriegte ich plötzlich drei Jahre. […] Mein damaliger Name war nicht nur in Deutschland bekannt, sondern fast noch mehr im englischsprachigen Raum und in Asien. Und mir war ja auch bewusst, dass unmittelbar aus dem Gerichtssaal heraus berichtet wird. Bloomberg, Reuters, die waren ja alle da. Das ging gleich digital weltweit.“

Stefan Riße: „Bei vielen Leuten ist es ja so, dass sie im Wissen, dass sie kriminelle Handlungen vollziehen, immer die Gefahr besteht, dass das auffliegt und sie ins Gefängnis kommen. Ins-Gefängnis-Gehen ist da ja als möglicher Teil der Vita ja vorprogrammiert. Bei Leuten wie Ihnen ist es ja so, dass Sie sich das im Leben nicht haben vorstellen können. […] Wie ist dass, wenn man in die Zelle kommt, die Toilette neben dem Bett? Wie lange dauert es, bis man das realisiert hat? Kommen Selbstmordgedanken? […]“

Thomas Middelhoff: „Das sind ganz wichtige Fragen. Weil es wird ja oft mit ganz bestimmten Bildern und einem kurzen Text ein ganzes Leben in eine ganz bestimmte Ecke geschoben. Was nicht immer ganz fair ist.

Zu der Gefühlslage: Das ist einfach so […]: Man kommt dann in eine Sammelzelle. Da sah ich ganz komisch aus, weil ich einen Anzug an hatte. Alle anderen waren in Jeans. Ich hatte Angst vor denen – und die Angst vor mir. Die haben wahrscheinlich gedacht, das ist ein ganz besonders schlimmer Pate. […] Dann wurde ich als erster in die Kleiderkammer gerufen. […] Dann stand ich da in Unterhose, weil ich das Kommando bekommen hatte, Kleidung ablegen. Mit Schamgefühl habe ich gedacht, die Unterhose kann ich doch jetzt anlassen. Dann kam das Kommando: Alles ablegen! An die Kachelwand treten! Vorn über lehnen! Beine auseinander! Leibesvisitation! (Ob man halt Drogen mit ins Gefängnis bringt). Das alles hat sich abgespielt innerhalb von zweieinhalb oder drei Stunden, vom Gerichtssaal an gerechnet. Dann kommt das unabänderliche: Man kommt in die Zelle, in Anstaltskleidung. Dann fällt die Tür zu. Und man kriegt keine Luft mehr, denkt man, zu atmen. Da lasten Tonnen auf dem Brustkorb.

Als Manager war man eigentlich immer gewohnt, dass man frei entscheiden kann, wo man ist und wohin man hingeht, und über wen man verfügt. Und dann merkt man dann, dass man auf zehn Quadratmetern überhaupt nichts mehr verfügen kann. Es wird über einen verfügt.

Zu den Suizidgedanken: Die habe ich nie gehabt! Weil mein jüngerer Bruder sich umgebracht hat und ich die letzte Person war, mit der er gesprochen hat. Ich habe ihn nicht davon abhalten können, was mich heute noch verfolgt. Selbstmord wäre für mich auch überhaupt nicht in Frage gekommen, eben weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie schrecklich das für diejenigen ist, die zurückbleiben. Ich hab fünf Kinder und damals meine erste Frau […]. Also, das wäre für mich vollkommen ausgeschlossen gewesen, dass ich mich umbringe.

Gleichwohl – der Staat hatte Sorge davor. Eigentlich nicht so sehr um mich als um den Skandal, der daraus entstehen könnte, wenn jetzt dieser inhaftierte Manager, der in der Öffentlichkeit bekannt ist vor allem im Ausland, sich umbringt. Und so wurde ich sechs Wochen lang – bis einen Tag vor Heilig Abend – mit einer 15-Minütigen Suizidkontrolle überwacht. […] Alle 15 Minuten kam jemand zur Zelle und machte die Lebendkontrolle […].

Tagsüber ist das relativ einfach, da guckt man durch den Tür-Spion […]. Nachts muss das Licht angemacht werden […]. Und wenn dann der Häftling Middelhoff schlief, dann kam der VA-Beamte halt rein und machte die Lebendkontrolle. Und man musste ein Lebenszeichen geben. „Schlafentzug triggert Stress, und Stress triggert – wenn er so ungestüm ist – das Immunsystem. Ich hab seitdem einen unheilbaren systemischen Lupus entwickelt, der meine Lebenserwartung – statistisch gesehen – doch relativ stark einschränkt und auch mein tägliches Leben bestimmt.“



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2 Kommentare

  1. Danke für die BaB Folge.
    Gegen die Lebens Wand fahren, wird manchen Menschen, zum Glück, durch dieses Gewiss, er muss, er kann, links oder rechts, einen neuen,anderen Weg einschlagen.
    Gegen die Lebens Wand fahren, gibt die Chance zum Neuanfang.
    Was Herr Dr. Mittelhoff schildert über das menschlich Allzumenschliches, ist Erkenntniss über das Wesen Mensch in Allgemeinen, und den Menschen in Führungspositionen.

    Blitzgewitter, Eitelkeiten, Bussi, Bussi, Geltuns Sucht. Verführung Pur.
    Aber das ist vorbei. Geläutert gehen wir durchs Leben.
    Die nächste Wand. Na etz wirklich nicht.
    Karstadt Nürnberg Innenstadt.
    Seit 1979 unter subjektive Beobachtung.
    Von der Ausstattung, ja wirklich berauschende Investitionen nicht getätigt.
    Warum soll ich da hingehen?
    Das ist die Frage.
    Man möchte ja nur: Lächelnde, immer Höfflige, Zuvorkommede und wenn es 10 mal schwer fällt, Dienstleister.
    Auch das Führungs, Abteilungsleiter Personal, das geschäftig durch die Hallen rennt, würde ein freundliches Grüssen der Kunden nicht schaden.
    Das Mitteinander der Mitarbeiter muss besser werden, sonst ist Schluss.
    Das grösste Kapital in den vergehenden Tempeln, wäre die absolute Kundenorientierte Mensch zu Mensch Bindung.
    Sonst brauchen wir nicht mehr hin.
    Frohe Weihnachten.

  2. Ein riesen Kompliment an die Redaktion und Stefan Riße !!!

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