Wir erinnern uns: Im September 2022 kam es in Großbritannien unerwartet zur Mini-Finanzkrise. Die Regierung wollte massiv Steuern senken, ohne Gegenfinanzierung. Die Anleiherenditen für britische Staatsschulden verteuerten sich sehr schnell. Die Rendite für zwei Jahre laufende Staatsanleihen aus Großbritannien steigen sehr schnell von 3,17 % auf 4,70 %. Pensionsfonds kamen ins Wanken wegen den rasant fallenden Anleihekursen, die Bank of England musste massiv intervenieren. Die gerade frisch amtierende Premierministerin Liz Truss musste sogar zurücktreten, vor allem auch wegen dieses Debakels. In den Monaten danach sah man Renditen um die 3,40 %. Inzwischen geht es aber wieder stark nach oben. Heute hat der Anleihemarkt den Rekord von letztem September eingestellt. Wir sehen heute einen schnellen Anstieg der Anleiherenditen, von gestern Abend 4,63 % auf aktuell 4,88 %. Das ist der höchste Stand seit dem Jahr 2008. Im Chart sehen wir den Verlauf der Rendite seit 1995.
Anleiherenditen in Großbritannien springen hoch nach starken Arbeitsmarktdaten
Anleihehändler rechnen mit aggressiveren Zinserhöhungen durch die Bank of England, nachdem die britischen Löhne im April schneller als erwartet gestiegen sind, so beurteilt Bloomberg die aktuelle Lage. Dazu in Kurzform: Löhne im April +7,2 % bei +6,9 % Erwartung, 3,8 % Arbeitslosenquote bei 4,0 % Erwartung. Der britische Anleihemarkt gehört in diesem Jahr zu den Ländern mit der schlechtesten Wertentwicklung in den großen Industrieländern, und die Inflation bei 8,7 % zeigt keine Anzeichen für eine Abschwächung. Das Bild wird weiter getrübt, weil die Bank of England Anleihen aus ihren Beständen der quantitativen Lockerung verkauft und die Regierung den Markt mit Anleihen überschwemmt, um ihren Haushalt zu finanzieren.
Expertenkommentare
„Die Nachfrage nach Staatsanleihen wird erst dann in nennenswertem Umfang zurückkehren, wenn die Anleger davon überzeugt sind, dass die Inflation hinreichend rückläufig ist und der Leitzins (aktuell 4,50 %) einen Höchststand erreicht hat (oder zumindest nahe daran liegt)“, so Imogen Bachra, Leiterin der britischen Zinsstrategie bei NatWest Markets. „Je mehr die Daten nach oben hin überraschen, desto weiter wird die Nachfrage in die Zukunft verschoben.
Die Geldmärkte gehen nun davon aus, dass der Leitzins für Großbritannien bis Februar auf 5,7 % steigen wird, was dem höchsten Stand seit 15 Jahren entsprechen würde. Das bedeutet eine weitere Anhebung um 120 Basispunkte in einem Straffungszyklus, der den Leitzins seit Ende 2021 bereits um 440 Basispunkte angehoben hat.
Einige Anleger sind der Meinung, dass sich der Ausverkauf seinem Ende nähert. Mike Riddell, ein Makro-Portfoliomanager bei Allianz Global Investors, sagt, dass der Ausverkauf allmählich übertrieben erscheine, während BlackRock wieder in britische Staatsanleihen investiert, die mit den Anleiherenditen in den Industrieländern locken.
„Die Bewertungen deuten darauf hin, dass der Markt für britische Staatsanleihen in Bedrängnis ist, aber es gibt diesmal keine greifbare Bedrängnis“, sagte Riddell, als er britische Schuldtitel mit denen anderer Länder verglich. „In den letzten 18 Monaten waren wir gegenüber britischen Staatsanleihen im Vergleich zu anderen Märkten eher negativ eingestellt.
FMW/Bloomberg/Chart TradingView
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