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Bloomberg-Analyse Wie Europa zügig den Verzicht auf Energie aus Russland schaffte

In einer umfassenden Analyse zeigt Bloomberg aktuell auf, wie Europa so schnell den Verzicht auf Energie aus Russland schaffte.

Symbolbild für Gas-Pipeline aus Russland nach Deutschland

Die bemerkenswerteste Reaktion Europas auf Russlands Krieg gegen die Ukraine bestand nicht in der Bereitstellung von militärischer und finanzieller Hilfe. Vielmehr war es die beispiellose Geschwindigkeit einer Energiewende, die innerhalb eines Jahres die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen wie Gas und Kohle aus Russland fast vollständig beseitigt hat, um die wichtigste Quelle für Präsident Wladimir Putins Kriegskasse trockenzulegen. Hierzu liefert Bloomberg folgende Analyse mit interessanten Grafiken.

Teure Abwendung von fossilen Brennstoffen aus Russland

Diese Energiewende hatte nichts mit der zu tun, die die EU wegen des Klimawandels anstrebt. Im Gegenteil wurden Rekordpreise für fragwürdige Brennstoffe wie Flüssiggas (LNG) bezahlt, massig Kohle verbrannt und Ökopläne verschoben. Vor allem aber war sie teuer — Schätzungen reichen bis rund 1 Billion Euro, die durch hunderte Milliarden staatliche Subventionen abgefedert werden mussten.Dennoch — selbst die optimistischsten Prognosen von Analysten und Politikern hätten zu Beginn des Krieges nicht vorhersagen können, wie schnell sich die EU bewegen würde. Vor einem Jahr gab Europa täglich etwa 1 Milliarde Dollar für Gas-, Öl- und Kohleimporte aus Russland aus. Heute ist es nur noch ein Bruchteil davon.

Verschiedene Umstände halfen

“Russland hat uns erpresst, indem es gedroht hat, die Energieversorgung zu kappen”, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Anfang Februar. “Wir haben uns vollständig von unserer Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen befreit. Das ging viel schneller, als wir erwartet hatten.” Eine Reihe von Umständen half dabei: Dass Europa schon vor Jahren mit der Umstellung auf erneuerbare Energien begonnen hat, zahlte sich aus. Die warme Witterung trug erheblich dazu bei, dass der Heizbedarf sank. Viele energieintensive Industrien wurden einfach heruntergefahren, weil sie sich den Betrieb zu den gestiegenen Preisen nicht mehr leisten konnten. Doch das vergangene Jahr hat eben auch gezeigt, dass es möglich ist, den Einsatz von Solarzellen und Batterien zu beschleunigen, den Energieverbrauch zu senken und fossile Energieträger dauerhaft zu ersetzen.

Schwenk auf Erneuerbare Energien

Ausbau erneuerbarer Energien in Europa

Bei Solaranlagen legte Europa im vergangenen Jahr um den Rekordbetrag von 40 Gigawatt zu, ein Plus von 35 % im Vergleich zu 2021. Angetrieben wurde dieser Sprung in erster Linie von den Verbrauchern selbst, die eine Möglichkeit sahen, ihre Energiekosten zu senken. Doch unterm Strich trieb dies den Ausbau der Solarenergie um Jahre voran. Die Beschleunigung kam noch vor den neuen Anreizen der EU für Solarenergie, die “wahrscheinlich noch nicht wirklich greifen”, sagt Jenny Chase, Analystin bei BNEF. “Im Bereich der Solarenergie hat sich alles nur aufgrund der Nachfrage der Verbraucher entwickelt.”

Viele, die Solarpaneele auf ihren Dächern installierten, bauten auch Speicher ein. Nach Angaben von BNEF wuchs die Batteriekapazität um rekordverdächtige 79 %, vor allem im privaten Sektor, wo sie sich fast verdoppelte – und das, obwohl die Batteriepreise erstmals stiegen. Auch Windkraft wuchs, wenn auch weniger als erwartet. Die Inflation wirkte hier stärker bremsend. Hinzu kommen bürokratische Hürden, so Oliver Metcalfe, Analyst bei BNEF. “Die Energiekrise hat die Politik dazu veranlasst, einige der Probleme bei den Genehmigungsverfahren zu lösen”, meint er.

Was ist mit den fossilen Brennstoffen passiert?

Doch der Ausbau der erneuerbaren Energien hätte niemals ausgereicht, so schnell aus russischem Öl, Gas und Kohle auszusteigen. Der Einmarsch in die Ukraine hat die Situation grundlegend verändert. Im Laufe des ersten Halbjahrs drosselte die staatliche Gazprom die Gaslieferungen durch die russischen Pipelines unter der Ostsee, durch Weißrussland und die Ukraine immer weiter. Anfangs unter dem Vorwand von Wartungsarbeiten, die angeblich durch westliche Sanktionen erschwert wurden. Schließlich wurden die Lieferungen aus Russland über die Pipeline Nord Stream ganz eingestellt, nachdem Explosionen die Ostseeleitung unbrauchbar gemacht hatten. Im Ergebnis kam Ende des Jahres nur noch ein Viertel der Vorkriegsmengen durch russische Pipelines nach Europa.

Veränderungen in der Belieferung von Gas

Konjunktur in der EU besser als gedacht

Zugleich stürzte der Ausstieg aus dem billigen russischen Gas die europäische Wirtschaft nicht in den Abgrund. Das Bruttoinlandsprodukt der EU wuchs 2022 um 3,5 % — nicht dramatisch weniger als die vor Ausbruch des Krieges erwarteten 4 %. Noch im Herbst wurde eine Rezession im laufenden Jahr als unvermeidlich angesehen, nun erwartet die EU immer noch 0,9 % Wachstum.

“Fast ein Jahr nachdem Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat, steht die EU-Wirtschaft besser da als im Herbst erwartet”, so die EU-Kommission in ihrem jüngsten Wirtschaftsbericht. “Die Inflation scheint ihren Höhepunkt erreicht zu haben, und die günstigen Entwicklungen auf den Energiemärkten lassen einen weiteren kräftigen Rückgang erwarten.”

Ersatz für Gas aus Russland

Ein Teil des russischen Erdgases wurde durch verstärkte Pipelinelieferungen aus Algerien und Norwegen ersetzt. Der größte Teil kam per Schiff in Form von verflüssigtem Erdgas (LNG), hauptsächlich aus Katar und den USA. Insgesamt verdoppelten sich die LNG-Importe der EU im Vergleich zu 2021 beinahe. Und ironischerweise kam ein großer Teil davon wiederum aus Russland. Dank der warmen Temperaturen sind die Gasspeicher für den nächsten Winter immer noch recht gut gefüllt.

Entwicklung der LNG-Importe nach Europa

Weniger Gasverbrauch

Zum Teil wurde die Gasnachfrage auch dadurch reduziert, dass mehr Kohle in Kraftwerken verfeuert wurde. Der Kohleverbrauch in der EU stieg im vergangenen Jahr um 7 %. Dabei fielen die Importe aus Russland im Laufe des Jahres immer weiter und kamen im Oktober nach Inkrafttreten der Sanktionen fast völlig zum Erliegen.

Entwicklung der Exporte von Kohle von Russland nach Europa

Der größte Schub kam jedoch durch den Rückgang der Nachfrage sowohl der Industrie als auch der Haushalte. Als der Gaspreis in die Höhe schoss, wurde der Betrieb für einige Branchen unwirtschaftlich, etwa für Düngemittelhersteller. Andere ersetzten Gas durch andere Brennstoffe. Insgesamt sank der Verbrauch um 18 %, mehr noch als der Rückgang von 14 % im Pandemie-Jahr 2020. Bei der Heizung von Privathaushalten ging der Verbrauch um 15 % zurück, wie BloombergNEF errechnet hat.

Mehr Wärmepumpen

Gleichzeitig stieg der Absatz von Wärmepumpen rapide an. Ersten Schätzungen zufolge könnte der Absatz auf dem Kontinent um 38 % gestiegen sein. Wärmepumpen sind hocheffizient, benötigen weniger Energie und sind billiger zu betreiben. “Die Vorstellung, dass Russland ein zuverlässiger Energielieferant ist, ist tot”, sagt Thomas Nowak, Leiter des Europäischen Wärmepumpenverbands. “Jetzt fragen sich die Leute: ‘Bin ich der letzte Mensch mit einer Gastherme?’”

Sinkender Gasverbrauch in Europa

Immer noch Öl aus Russland

Anders liegt die Sache bei den Ölimporten, die nicht annähernd so stark zurückgingen. Die Importe aus Russland sanken um nicht einmal ein Zehntel auf 3,1 Millionen Barrel pro Tag, womit Russland weiter mit Abstand der größte Lieferant blieb. Dafür kaufte Europa sein Öl vermehrt in den USA, Saudi-Arabien und Norwegen. Erst die jüngsten Sanktionen gegen Rohölimporte und raffinierte Produkte wie Diesel werden diese Importe zum Erliegen kommen lassen. “Öl ist schwerer zu ersetzen”, sagt Christof Ruhl, von der Columbia University, ein ehemaliger Chefökonom der BP. “Es ist der riskanteste Bereich, denn wenn die Ölpreise um 20 % steigen, riskiert man eine weltweite Rezession.”

EU-Importe von Öl aus Russland kaum verringert

Wie geht es weiter?

Während das milde Wetter Europa in die Hände spielte, verschärfte eine andere Folge der Erderwärmung im vergangenen Sommer die Krise: Unter der schlimmsten Dürre seit 500 Jahren auf dem Kontinent litt die Wasserkraft, die zuvor eine zuverlässige Quelle für erneuerbare Energie war. Ein noch größeres Problem bereitete die alternde Flotte der französischen Atomkraftwerke. Wartungsarbeiten nahmen einen großen Teil der Meiler aus dem Spiel und entzogen Europa eine seiner größten Quellen CO2-armen Stroms. Statt Elektrizität zu exportieren, wie üblich, mussten Nachbarn wie Deutschland aushelfen, was die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen ankurbelte.

Diesen Winter speist Frankreichs allmählich wieder mehr Atomstrom ins Netz, wobei die Produktion weiterhin unter den historischen Werten liegt. Dennoch dürften die höhere Kernkraftleistung und eine bessere Wasserlage helfen, die Nachfrage nach Gas und Kohle für die Stromerzeugung im Jahr 2023 zu senken. Trotz all dieser Umstellungen werden die Treibhausgasemissionen der EU wohl um knapp 1 % sinken. Der höhere Ausstoß durch die Kohleverstomung wurde teilweise ausgeglichen durch den geringeren Einsatz von Gas. In diesem Jahr wird die Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen laut BloombergNEF im Vergleich zum Vorjahr um 43% sinken. “In Europa sehen wir eine weitere Beschleunigung der Dekarbonisierung”, sagt Fatih Birol, Exekutivdirektor der Internationalen Energieagentur. “Russland verliert den Energiekampf.”

FMW/Bloomberg



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10 Kommentare

  1. Brics, der neue Chef

    RUSSLAND VERLIERT DEN ENERGIEKAMPF ? Wie naiv und kurzfristig gedacht und dies aus dem Munde eines Spezialisten ?
    Mittel- und langfristig werden wohl die energieabhängigen Länder im Nachteil sein. Kurzfristig konnte das Fiasko abgewehrt werden weil mit sehr teuren Umwegen und LNG statt Pipeline der Bedarf gedeckt werden konnte.Auch die saubere Kohle hat noch mitgeholfen.
    Man sollte einfach bedenken, dass die fossilen Energien auch endlich sind und die OPEC mit Russland zusammen wieder gestärkt sind und den Amis das Öldiktat der billigen Energie aus der Hand nehmen.Zudem sieht man gerade ,dass sich China und Russland immer mehr verlieben und wer gegen Russland kämpft wird es schwer haben, und da sind ja auch noch die Bricser.

  2. “Russland verliert den Energiekampf” da sag ich nur: Hochmut kommt vor dem Fall.

    Während die USA nach Belieben WTO-Regeln brechen und fremde Länder und sogar Privatpersonen ohne UN-Mandat mit Sanktionen belegen (bei Bedarf auch gerne Mal töten) – hat Russland bisher noch in jeder Krise stets und trotz aller Widrigkeiten zuverlässig geliefert. Auch das Angebot, durch Nordstream 2 umweltfreundlicheres Erdgas zu liefern stand bis zuletzt, wurde dann aber mit der Sprengung der Pipelines durch die USA erfolgreich verhindert.

    Hiermit wollte man offensichtlich sicherstellen, daß dem Gegner Russland die Export-Einnahmen unwiderbringlich verloren gehen und Europa nicht durch wirtschaftliche Interessen zu schnell kriegsmüde wird.

    Und wie schon im Artikel erwähnt leiden gerade auch arme Länder stark unter den Preissteigerungen durch die westlichen Sanktionen. Das ist auch ein Grund, warum sich viele Länder weltweit unserer teuer erkauften Doppelmoral nicht anschließen wollen.

  3. Problem erkannt, Gefahr gebannt! Jetzt spricht nichts mehr gegen die Sanktionierung von russischen LNG und einer Reduzierung des Preisdeckelung auf russisches Öl. Und wie wirkungslos Sanktionen sind zeigen die Kurse von Gazprom und Lukoil an der Moskauer Börse.

    1. So haben doch alle etwas. Teure Energie wollten die Grünen immer schon, die USA werden ihr Frackinggas los, Putin hat jetzt Großabnehmer. Selbst Spaniern hat von Russland 2022 doppelt so viel LNG Gas gekauft wie das Jahr davor.
      Wer bezahlt das eigentlich alles
      ?
      Das Kilowatt Strom kostet hier immer noch nur 22 Cent.
      Viele Grüße aus Andalusien Helmut

  4. Young Global Leader

    Fast wie ein Mathematilkerwitz. Die EU isoliert Russland. Wer ist nun isoliert? Der Westen sanktioniert Russland. Wer überlebt die Sanktionen?

    Südafrika hält Marine Manöver ab, mit den „russischen Freunden am Kap“ (SZ). Frankreich hat sich unter Macron aus Westafrika zurückgezogen und dann hat man ihm noch einen Fußtritt zum Abschied gegeben. Brasilien verweigert Waffenlieferungen in Krisengebiete, wie die Ukraine, die Inder sind stinkig, weil sie von Soros bedroht werden … Niemand will noch diese schleimigen Moralprediger und gottlosen Politpfarrer aus dem Kollektiven Westen, die überall Regime-Changes anzettteln und Kriege provozieren. Es spielt auch keine Rolle mehr, dass Xi und Putin keine Heiligen sind. Sie sind halt Politiker und keine Geistlichen. Jeder weiß es und außerhalb des Westens, arrangiert sich jeder damit. Wenn heute ein Land wirtschaftlich erpresst wird, dann ist es Serbien und es ist die EU, die es erpresst. Dumm gelaufen für Serbien. Geografie ist Schicksal.

  5. Grün/ rot hilft in jeder Not

    @ Cui bono, die armen Länder leiden und am meisten leidet die Ukraine, so wie ich kürzlich gelesen habe lösen dann die Flüchtlingsströme noch das Facharbeiterproblem. Diese ideologisch gefärbte Politik wird in De noch zu Unruhen führen, Bürgerkrieg nicht ausgeschlossen. In Lörrach hat man 40Mietern eines Wohnblocks gekündigt um Flüchtlinge zu beherbergen und die Wohnungsbesitzer sind keine Immobilienhaie, sondern Wohnungen der Kommune. Teils 80 jährige kranke Leute werden hinausgeworfen, das ist gesunder grün/ roter Menschenverstand.EINE 360 Grad Kehrtwende in der Politik ist dringend nötig!

  6. Trotz „Zeitenwende“: Russisches Gas bleibt in Europa Normalität

    Mit 25 Prozent Anteil bleibt Russland der größte Erdgaslieferant Europas.

    https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/russisches-gas-bleibt-normalitaet/amp

    Viele Grüße aus Andalusien Helmut

  7. Putin erlaubt höhere Öllieferung von Kasachstan nach Deutschland – eine Falle?

    https://politik.watson.de/international/russland/542219933-putin-erlaubt-hoehere-oellieferung-von-kasachstan-nach-deutschland-eine-falle

    Viele Grüße aus Andalusien Helmut

  8. Verrückt wie hier viele meinen, dass Russland/Putin die Oberhand haben und im Vorteil sind. Bisher läuft es für die EU noch erstaunlich gut. Dann bin ich ja mal gespannt ob die ganzen Schwarzmaler hier recht behalten. Bisher ja noch nicht.

  9. Der Artikel wurde wohl im Pentagon oder von der CIA verfasst und nur bei Bloomberg veröffentlicht. Solche geschönten Darstellungen gab es früher nur in der DDR. Fängt das jetzt wieder an? Oder ist das Teil der US-Kriegspropaganda gegen Russland?

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