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Analyse Wie viel Gas muss Deutschland wirklich sparen?

Wie viel Gas muss Deutschland wirklich sparen? Hier dazu eine detaillierte Anlayse mit Sparzielen und Aussagen von Experten.

Nutzung von auf einem Herd

Das Forscherteam um Prof. Moritz Schularick und Prof. Moritz Kuhn vom Exzellenzcluster ECONtribute der Universitäten Bonn und Köln zeigt in einer aktuellen Studie, dass Deutschland ohne russisches Gas überwintern kann. Doch dafür muss der Gasverbrauch bis zum Ende der kommenden Heizperiode um etwa 25 Prozent sinken und nicht nur um 15 Prozent, wie es der Notfall für Gas der Europäischen Union (EU) vorsieht. Die Bundesnetzagentur empfiehlt im Vergleich dazu eine Verbrauchseinsparung von 20 Prozent, um gut durch den Winter zu kommen.

Deutschland schränkte den Verbrauch an Gas bereits ein

Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen zeigen, dass der Rückgang beim deutschen Gasverbrauch im ersten Halbjahr des laufenden Jahres knapp 15 Prozent ausmachte. Das entspricht der Einsparquote, die der Gasnotfallplan der EU jedem Mitgliedsstaat ans Herz legt, um den kommenden Winter zu überstehen. Der Plan sieht in Artikel 3 vor, dass jedes Mitgliedsland seinen Gasbedarf im Vergleich zum durchschnittlichen Verbrauch in den letzten fünf Jahren zwischen dem 1. August 2022 und dem 31. März 2023 mit Maßnahmen eigener Wahl um 15 Prozent senkt. Insofern liegen die deutschen Einsparungen des ersten Halbjahrs genau auf Linie der europäischen Vereinbarungen, gegen die Ungarn und Polen gestimmt hatten.

Die Forschenden vom Exzellenzcluster legen in ihrer Studie für Deutschland wie in den Vorjahren von August bis April einen Durchschnittsverbrauch von 829 TWh zugrunde. Im vergleichbaren Zeitraum muss Deutschland ihren Annahmen und Berechnungen zufolge den Verbrauch um 210 TWh und somit 25 Prozent reduzieren. Darin ist die Voraussetzung eingepreist, dass der Speicherfüllstand 20 Prozent nicht unterschreitet, um genug Puffer für einen besonders harten Winter oder Lieferunterbrechungen bei anderen Quellen zu haben (Gasspeicher-Füllstände steigen derzeit schnell an). Maximal lassen sich etwa 250 TWh Gas einspeichern, die für zwei Wintermonate reichen. Außerdem ist in den Szenarien anders als beim EU-Notfallplan berücksichtigt, dass Russland die Gaslieferungen im August komplett einstellt.

Gasangebot ohne Russland

Laut Studie kann Deutschland zurzeit auf Lieferungen von rund 52 TWh pro Monat aus nicht-russischen Quellen zugreifen. Ab Dezember bzw. Januar kämen durch neue LNG-Terminals rund 8 TWh monatlich hinzu. Zu beachten ist dabei, dass wenn zusätzliche LNG-Mengen auf dem Weltmarkt beschafft werden, die Annahme zu Buche schlägt, dass Deutschland etwa 30 Prozent der zusätzlichen Flüssiggas-Importe wie bei anderen Gasimporten in andere europäische Länder weiterleitet.

In verschiedenen Szenarien zum Verlauf der Speicherstände ergibt sich bei einem Verbrauch wie in den Vorjahren und einem um 25 Prozent reduzierten Verbrauch folgende Logik. Demnach würden ohne russische Gaslieferungen und ohne Nachfragereduktion bis zum Ende der Heizperiode Anfang Mai 210 TWh fehlen, um den angenommenen Mindestspeicherstand von 48 TWh sicherzustellen. Von Anfang August bis Ende April 2023 müsse sich folglich die Nachfrage monatlich um durchschnittlich 25 Prozent, d.h. um rund 23 TWh pro Monat, verringern.

Stellschrauben zum Gassparen

Die Sektoren Stromerzeugung, Industrie und Gebäudeheizung in Privathaushalten führen die Forschenden vom Excellenzcluster als zentrale Stellschrauben zur Verbrauchsreduktion ins Feld. Immerhin sind Industrie und Haushalte die größten Gasverbraucher im Land. Auf das ganze Jahr gesehen verbrauchte Deutschland im letzten Jahr rund 1000 TWh. Das geht auch aus Angaben des BDEW hervor. 37 Prozent davon gingen auf das Konto der Industrie. 31 Prozent verbrauchten Haushalte für Heizung und Warmwasser. Aus der unten stehenden Tabelle in der betreffenden Studie geht hervor, welcher Sektor wie viel Gas im Monat einsparen kann, und in welcher Relation das zum Verbrauch der letzten drei Vorjahre steht. Zusammenfassung der Verbrauchsreduktion nach Sektoren:

Quelle: Studie ECONtribute Policy Brief No. 034 – Wie ist es zu schaffen, Seite 12

Prozentual weist die Stromerzeugung mit 45 Prozent Reduktion den höchsten Wert auf. In absoluten Zahlen bietet die Industrie mit 90 TWh den größten Anteil der Verbrauchsreduktion, während Haushalte und Stromerzeugung je zu gleichen Teilen den Rest übernehmen müssen, um das Sparziel für neun Monate zu erreichen. Um Haushalte nicht zu überfordern, sind Einsparmaßnahmen an den Vorjahren ausgerichtet. Das betrifft beim Heizen etwa einer Absenkung der Raumtemperatur um bis zu 2,5°C und zusätzliche Wärmedämmung. Industrieunternehmen wie der Chemiekonzern BASF oder der Glashersteller Wiegand Gas kündigten an, mehr Heizöl statt Gas einzusetzen. BASF fuhr zugleich die Produktion von Ammoniak zurück. Bei der Stromerzeugung geht es um den Einsatz von Kohlekraftwerken und einem längeren Betrieb von Kernkraftwerken.

Zu wenig Anreize zum Gassparen

Auch wenn die Einsparzahlen im ersten Halbjahr vielversprechend aussehen, ist noch viel Luft nach oben, vor allem, wenn kein russisches Gas mehr ankommt. Dann muss sichergestellt sein, dass alle Sektoren ihren maximalen Beitrag leisten. Doch dafür hält das Forschungsteam wirtschaftspolitische Maßnahmen für nötig, die zum Gas sparen motivieren – man schlägt in der Studie zum Beispiel eine Gassteuer vor, die sparsame Verbraucher über eine Rückerstattung belohnt. „Die Politik hat es bisher verpasst, genügend Anreize zum Gas sparen zu setzen“, sagte hierzu Schularick. Wichtig seien darüber hinaus Maßnahmen zum Einsparen von Heizenergie im Gewerbe, etwa durch Homeoffice oder veränderte Ladenöffnungszeiten. Zugleich zeigten Unternehmen wie BASF, dass es möglich ist, Gas teilweise zu ersetzen. „Deutschland kommt ohne russisches Gas durch den Winter, Panikmache ist fehl am Platz“, lautet Schularicks Fazit.

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Deutschland soll 20 Prozent Gas sparen

Zum EU-Notfallplan sagte Klaus Müller von der Bundesnetzagentur jüngst im ZDF: „Wenn alle Länder in Europa Gas sparen, kann das, sozusagen, den Preis stabilisieren und vielleicht sogar senken und dazu beitragen, dass genug Menge da ist, damit wir gut durch den Herbst und Winter kommen.“ In den Gas-Szenarien vom Juli 22 bis August 23 rechnet seine Behörde vor, dass eine Verbrauchsreduktion von 20 Prozent geboten ist, um den Gasmangel zu vermeiden. Ausführlich sprach der Bundesnetzagentur-Chef darüber in einem Interview mit der Welt am Sonntag am 7. August und unterstrich: „Wenn wir nicht kräftig sparen und kein zusätzliches Gas bekommen, haben wir ein Problem.“ Um über zwei Winter zu kommen, müssten die Verbraucher „mindestens 20 Prozent einsparen – also viel mehr als bislang.“ Andernfalls drohe schon im Dezember eine Gasmangellage, oder am Ende der kommenden Heizperiode wiesen Speicher niedrige Füllstände auf.

Zu den aktuellen Herausforderungen zählt laut Müller Kohlekraftwerke ausreichend mit Kohle zu versorgen. Auch die Solidarität mit Frankreich stehe bei der Stromversorgung auf dem Spiel. „Außerdem sehen wir mit Sorge, dass viele Menschen sich strombetriebene Heizlüfter kaufen. Das ist eine wahnsinnig teure Idee, weil es selbst bei den aktuell astronomisch hohen Gaspreisen noch 50 Prozent teurer ist mit Strom zu heizen“, so Müller zu diesem Trend, der gerade in der letzten Zeit Fahrt aufgenommen hat. Der kostengünstige Heizlüfter aus dem Baumarkt befeuert gerade Blackout-Ängste und macht bewusst, wie eng Wärme- und Stromversorgung miteinander verzahnt sind. Das ist für Müller ein guter Grund für einen zweiten Stresstest in der Stromversorgung, der zeigen soll, wie es um die Kernkraft bestellt ist.



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7 Kommentare

  1. Anfrage an Radio Eriwan: warum sollen Industrie und Privathaushalte die Kastanien der selbstsüchtigen und geistig unterdurchschnittlichen Politiker aus dem Feuer hohlen? Wäre ein Gasmangel im Winter nicht bestens geeignet, da überfällig, eine fähigere, weniger korruptionsgefährdete Politikerschicht, die in Direktwahl vom Volk gewählt wird und nicht von den Parteizentralen, in die Regierungsverantwortung zu bringen?

    1. Was für ein Querdenker-Quatsch !

      1. Wittkopf, Querdenker sind Menschen, die auch über den Tellerrand hinaus schauen.

        1. Das tut ein Riesenschnitzel oder eine Pizza auch. Und am Ende landen beide als trauriger Rest in der Kläranlage.

          1. Freiherr Graf von Schwurbelstein

            😂🤣😅👍

        2. Klara Teller, mir gefällt dein Humor! :-)

  2. Pingback: Wie viel Gas muss Deutschland wirklich sparen? - finanzmarktwelt.de - Dermittelstand

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