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Spiel mit dem Feuer: Mit Brexit absichtlicher Bruch mit dem EU-Binnenmarkt für „richtigen Neustart“

Erst Theresa May, dann folgte gestern der "Brexit-Minister" David Davis mit seiner Rede vor dem britischen Parlament. Auch er machte klar: Es wird einen aktiven und absichtlichen Bruch mit dem EU-Binnenmarkt geben. Auch wird man die...

FMW-Redaktion

Erst Theresa May, dann folgte gestern der „Brexit-Minister“ David Davis mit seiner Rede vor dem britischen Parlament. Auch er machte klar: Es wird einen aktiven und absichtlichen Bruch mit dem EU-Binnenmarkt geben. Auch wird man die Zollunion verlassen, zu der unter anderem bereits das Nicht EU-Mitglied Türkei zählt. Also ein völliger Bruch mit der EU! Eigentlich eine Art wirtschaftlicher Selbstmord, mag man meinen. Aber dahinter steckt eine Logik, die man als „Spiel mit dem Feuer“ bezeichnen könnte. Und die geht so: Erst wenn man aus allen EU-Verträgen voll und ganz raus ist, und in keinster Weise mehr zolltechnisch an die EU gebunden ist, hat man die Freiheit nach dem Brexit weltweit und auch mit der EU alle Verträge „ganz neu“ zu verhandeln. Eine Art Kaltstart. Reset-Kopf drücken oder den Stromschalter gleich ganz aus machen, und dann hoffen, dass der PC nach dem Neustart wieder bestens funktioniert. Das geht bekanntermaßen nicht immer gut!


Brexit-Minister David Davis. Foto: UK Government / OGL3

So eine Taktik kann auch böse ins Auge gehen. Denn man hat parallel zur Ankündigung des völligen Verlassens des Binnenmarkts auch klar gemacht, dass an seine Stelle ein neues richtiges Freihandelsabkommen mit der EU treten soll. Es soll anscheinend das Beste für UK erreichen, was möglich ist. Denn ein „richtiges totales“ Freihandelsabkommen mit der EU würde ja einen freien Marktzugang bedeuten so als wäre man noch Teil des EU-Binnenmarktes. Gleichzeitig wäre man aber nicht den Verpflichtungen unterworfen, die die Mitgliedschaft im Binnenmarkt mit sich bringt, als da wäre vor allem die Personenfreizügigkeit.

Das ist ein heißer Poker, denn es ist kaum anzunehmen, dass Berlin, Paris, Brüssel und Co auf diesen Trick reinfallen. Binnenmarkt durch Freihandelsabkommen ersetzen, und so alle lästigen EU-Regeln abschütteln, das ist doch ein zu plumper Versuch, oder? Aber die britische Regierung meint so hoch pokern zu können. An Stelle der bisherigen Vereinbarungen suche man eine „neue mutige Partnerschaft
einschließlich eines ambitionierten Freihandelsabkommens“, das zum Nutzen beider Seiten einen möglichst zoll- und barrierefreien Handel ermögliche, so Brexit-Minister Davis gestern bei der Vorstellung des sogenannten Weißbuch für den Brexit.

Die Opposition im Parlament reagierte gestern empört über diesen völligen aktiv herbeigeführten Bruch. Denn, so ist wohl die Angst: Wer erst mal raus ist, und dann „unter anderem Namen“ wieder rein will (in die EU), der kann auch scheitern. Laut Davis sei es das Ziel der Regierung so bald wie möglich mit den USA ein neues Freihandelsabkommen zu erzielen. Jetzt schon fertig verhandeln, und dann noch zwei Jahre warten im so lange dauernden Brexit-Verfahren? Oder will da etwa jemand diesen zweijährigen Brexit-Verhandlungsmarathon beschleunigen? Möglich ist das auf jeden Fall, wenn UK + EU damit kein Problem haben!

Bereits am Mittwoch hatte das Unterhaus mit 498 zu 114 Stimmen dem Brexit-Gesetz zugestimmt, dass es der Premierministerin erlaubt in Brüssel den EU-Austritt für Großbritannien zu erklären (das Oberhaus fehlt noch). Dann aber am nächsten Tag die Empörung über die Details, die im „Weißbuch“ erst nach der Abstimmung veröffentlicht wurden. Es enthält auch die Klarstellung, dass man die Freizügigkeit selbst für EU-Bürger in UK beenden wird. Wie man mit bereits dort lebenden EU-Bürgern umgehen will, ist noch nicht definitiv klar, auch wenn man angedeutet hat, dass hier ja eine faire Regelung her soll. Das kann noch lustig werden, weil ja gerade viele Brexit-Befürworter sich über die zahlreichen polnischen Einwanderer „aufregen“.

Auch der große Aufreger der Parlamentarier: Laut Weißbuch soll das Parlament in London erst dann über das finale Brexit-Abkommmen mit der EU abstimmen, wenn die EU es bereits unterschrieben hat. Folglich müssten die UK-Parlamentarier im TV zusehen, wie das EU-Parlament die letzten Vertragsdetails bespreche, bevor man im britischen Parlament dazu überhaupt etwas sagen könne. Das sei herabwürdigend und nicht akzeptabel, so gestern Parlamentarier in London. Möglich ist, dass die Regierung unter Theresa May damit das Verfahren in London beschleunigen will. Wenn man den eigenen (nervigen?) Abgeordneten etwas vorsetzt, was die Gegenseite schon endgültig genehmigt hat, kann man selbst nicht mehr viel debattieren, so wohl die Annahme dahinter.

Der Regierung ginge es beim Brexit um 12 Grundprinzipien, die Davis auflistet. Hier im Original-Wortlaut:

This is based on the 12 principles that will guide the government in fulfilling the democratic will of the people of the UK. These are:

• providing certainty and clarity where we can as we approach the negotiations

• taking control of our own laws and statute book

• strengthening the Union by securing a deal that works for the whole of the UK

• maintaining the common travel area and protecting our strong historic ties with Ireland

• controlling immigration from the European Union

• securing the rights for European Union citizens already living in the UK and the rights of UK nationals living in the European Union

• protecting and enhancing existing workers’ rights

• ensuring free trade with European markets, forging a new strategic partnership with the EU including a bold and ambitious free trade agreement and mutually beneficial new customs agreement

• forging ambitious free trade agreements with other countries across the world

• ensuring the United Kingdom remains the best place for science and innovation

• co-operating in the fight against crime and terrorism

• and, finally, delivering a smooth, orderly exit from the European Union

Hier die komplette Rede von David Davis im Original.



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5 Kommentare

  1. Die Briten haben Recht, die EU ist das sinkende Schiff besser ein Neustart als mitunterzugehen.
    Deutschland Exportweltmeister verkauft seine Waren?
    nein wir verschenken sie in Wirklichkeit.

  2. Das ist doch nur Verhandlungstaktik. Die Briten versuchen den Druck zu erhöhen mit der Hoffnung dass die EU nachgibt. Ich denke dass genau das auch passiert, EU wird einknicken wie immer…

  3. Wer ist klüger: Derjenige, der einen rostigen alten Kahn frühzeit verlässt, oder derjenige, der bis zum endgültigen sinken sitzen bleibt?

    Heute besingt auch das MS-Blatt „Welt“ das Ende der EU, https://www.welt.de/debatte/kommentare/article161769171/Diese-EU-hat-ausgedient.html. Das war bis vor kurzem noch undenkbar.

    Am Schluss sitzt Deutschland mit der EZB alleine da. Die Forderungen gegen die Schuldner-Staaten sind dann genau soviel wert, wie die Griechenland-Forderungen heute: Nada.

  4. zwar etwas offtopic, aber nur mal ein Gedanke zum Standort Großbritannien, falls Trump ernst macht und die USA abschottet und ins Privatrecht eingreift bzw. den „freien“ Kapitalismus zähmt? Dann dürfte GB die letzte Bastion des freien Kapitalismus werden und massiv davon profitieren dass Unternehmen aus den USA nach GB übersiedeln…

    1. hier können Sie sich mal was zum „freien Kapitalismus“ anschauen:
      https://www.youtube.com/watch?v=15EBH4EodZ0

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