Für Einzelhändler und viele Hersteller von Elektronik, Kleidung und Schreibwaren ist die Zeit vor und kurz nach dem Schulanfang, „Back to School Season“ genannt, die zweitwichtigste Umsatzzeit im Jahr – auch die Aktienmärkte profitieren in der Regel von den Einkäufen der Eltern für das neue Schuljahr ihrer Kinder und die Neueinstellung von Lehrkräften. Doch dem Einzelhandel und dem verarbeitenden Gewerbe in den USA geht es gerade gar nicht gut, die Kaufzurückhaltung greift immer mehr um sich. Bleiben die positiven Impulse der Schulanfang-Shopping-Sause in diesem Jahr aus?
Aktienmärkte haben andere Themen im Blick
Kurz zur Erklärung der Back to School Saison, die von Ende Juli bis Mitte September andauert: Laut NRF, der nationalen Vereinigung für den US-Einzelhandel und Prosper Insights & Analytics ist der Schulanfang einer der wichtigsten Termine für den Einzelhandel. Eine Deloitte-Umfrage zum Schulanfang aus dem Jahr 2019, also dem letzten „normalen“ Jahr für den US-Einzelhandel vor der Pandemie, zeigt, dass mehr als die Hälfte der jährlichen Ausgaben für die Schule während der Back to School Saison getätigt werden.
Normalerweise ist Mitte August der Höhepunkt dieses Shopping-Spektakels, das in den US-Medien mit speziellen Werbekampagnen jährlich zelebriert und mit Rabattaktionen beworben wird.
Doch in diesem Jahr halten sich die Umsätze in Grenzen. Einzelhandelsriesen wie die zweitgrößte Supermarktkette in den USA, die Target Corporation oder der größte Warenhausbetreiber des Landes, Macy’s, klagen über die zunehmende Kaufzurückhaltung und unbezahlte Rechnungen (bei Macy’s kann man auf Kredit einkaufen).
Erst vorgestern hatte einer der Profiteure des Schulbeginns, die Sportbekleidungskette Foot Locker mit ca. 2.600 Filialen sehr schlechte Zahlen vorgelegt und die Jahresprognose brutal zusammengestrichen. Die Aktienmärkte straften das Unternehmen mit einem Wertverlust von 30 Prozent ab, nachdem der Kurs bereits seit Jahresbeginn knapp 40 Prozent verloren hatte.
Schaut man sich die Kurse der Aktien verschiedener Sektoren an, dann fällt sofort auf, dass die Anleger momentan eher der KI-Hype beschäftigt und die Tech-Aktien von einem Allzeithoch zum nächsten beflügelt, während der Einzelhandelssektor schwächelt:
Zweitwichtigstes Thema für die Aktienmärkte ist die US-Geldpolitik. Der Fokus der Märkte wird daher heute auf ein kleines Tal in Wyoming am Fuße der Rocky Mountains, Jackson Hole, gerichtet sein, wo um 16:00 Uhr MESZ der Fed-Chef Jerome Powell über die Wirtschaftsaussichten und die Inflation sprechen wird. Die Renditen (Kapitalmarktzinsen) haben aktuell neben dem KI-Hype die entscheidende Bedeutung für die Kursrichtung an der Wall Street:
Die Kreditkarte noch mal glühen lassen?
Nach einer Umfrage der NRF Mitte Juli herrschte im Lobby-Verband der Einzelhändler noch pure Euphorie und die Schätzungen gingen von neuen Rekorden für die Umsätze zum Schulanfang aus:
Noch dramatisch höher und ebenfalls auf neue Rekorde sollten laut Umfrage die Umsätze für das neue College-Jahr explodieren:
Nach der Umfrage schwärmte der NRF-Präsident und CEO Matthew Shay noch: „Einzelhändler bereiten sich seit Monaten darauf vor, sicherzustellen, dass sie mit den wichtigsten Artikeln ausgestattet sind, die Familien und Schüler für das Schuljahr benötigen.“
Doch die Rechnung scheint nicht aufzugehen, wie man am Beispiel Foot Locker sieht: Vorgestern hatte die Präsidentin und CEO des Sportausrüsters erklärt, dass man mit massiven Rabatten von bis zu 40 Prozent versuche, dem Aufbau überhöhter Warenbestände entgegenzuwirken und den Absatz zu beleben. Die vorgelegten Quartalszahlen belegten jedoch einen weiteren Anstieg der Lagerbestände um elf Prozent auf 1,8 Milliarden US-Dollar.
An den Aktienmärkten kam das gar nicht gut an und zog die Zulieferer von Foot Locker, also die Hersteller der dort verkauften Waren wie Nike, Puma und Adidas mit nach unten.
73 Prozent der Amerikaner sehen ihre Finanzen als größten Stressfaktor
Mittlerweile zeigt sich der NRF vorsichtiger in seinen Prognosen. Ausschließen kann man bei den Amerikanern in Sachen Shopping zwar nichts, aber der finanzielle Stress, ausgelöst durch hohe Schulden, explodierende Kreditkosten, aufgebrauchte Stimuli-Schecks und das zum 1. September für 44 Millionen Amerikaner auslaufende Schuldenmoratorium für Studentendarlehen mit ca. 400 US-Dollar Mehrbelastung pro betroffenen Haushalt und Monat ist auf einen Rekordwert gestiegen und hat alle anderen Stress-Faktoren weit hinter sich gelassen.
Momentan stützen die hoch bewerteten Aktienmärkte zwar noch die Konsumentenstimmung, aber sich aufgrund von Buchgewinnen reich zu fühlen und tatsächlich über freies Einkommen für den Konsum zu verfügen, sind zwei Paar Schuhe.
Die entsprechende Studie zum Finanz-Stress namens „Credit Wise Survey“ des US-Finanzdienstleisters Capital One offenbart interessante Details, die Zweifel an einem Kaufrausch in diesem Jahr zum Schulanfang aufkommen lassen: Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Finanzen die häufigste Stressursache für die Amerikaner sind (73 Prozent), mehr als Politik (59 Prozent), Arbeit (49 Prozent) und Familie (46 Prozent).
Jüngere Generationen sind in Bezug auf ihre Finanzen sogar noch gestresster: die Mehrheit der Generation Z gibt 82 Prozent an und die Millennials 81 Prozent.
Noch liegen die Umsatzzahlen für die Back to School Saison nicht vor. Aber selbst wenn diese gut ausfallen sollten, die zunehmenden Belastungsfaktoren für die US-Konsumenten sprechen eher dafür, dass deren Ausgabenverhalten danach umso zurückhaltender sein wird. Daher ist es verständlich, dass die Schulanfangs-Saison für die Aktienmärkte nicht das Thema Nummer 1 ist und bislang keine positiven Impulse liefert.
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Ein paar erhellende Gedanken dazu von Lance Roberts:
https://de.investing.com/analysis/die-schuldenlawine-warum-die-zentralbanken-die-zinsen-senken-werden-200484750
Vielen Dank für die Verlinkung des sehr interessanten Beitrags inkl. erhellender Statistiken!
Keine Bange, wenn die Zinsen am vermeintlichen Hoch sind ( Bonds am Tief) und die Wirtschaft absäuft, was offensichtlich ist, wird die Umschichtung von Aktien in Bonds das Problem ohne künstliche Nachhilfe selbst regeln. Bondrenditen über 4% und beträchtliche Kursgewinne werden kurz/ mittelfristig ein Renner sein.
Frage an Herr Zipfel, sie haben m.W. einmal einen guten Bericht über das US- Gesundheitssystem geschrieben.Wenn man jetzt von Inflation spricht redet man fast nie von dieser Sparte.Ich denke,dass da ein gewaltiger Kostenschub auch wegen Corona bevorsteht.
In der Schweiz mit sehr tiefer Inflation kommt jetzt innert einem Jahr schon die zweite Prämienerhöhung, müsste das in andern Ländern nicht auch mindestens so kräftig reagieren.
Ein Bericht über dieses Thema wäre sicher interessant.
Danke für den Hinweis Inflatorie! Der Beitrag der Gesundheitskosten zur Steigerungen der Lebenshaltungskosten in den USA ist erheblich (z. B. durch stark gestiegene Versicherungsbeiträge). Ich werde Details recherchieren und berichten.
Sehr gut Herr Zipfel, bei dieser kranken Gesellschaft darf man ruhig einmal über Gesundheitskosten reden.