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Aktienmärkte: Wie tief können die Kurse im Crash fallen?

Es ist die bei jedem Börseneinbruch am meisten gestellte Frage: Wie tief können die Kurse der Aktienmärkte in einem Crash fallen? Aus den Erfahrungen der letzten Rezessionen speist sich die Antwort: Es ist noch weniger vorhersehbar als normale Kursprognosen für ein Börsenjahr, zelebriert zum Jahreswechsel, bei denen man häufig nur den über Jahrzehnte ermittelten durchschnittlichen Kurszuwachs addiert. Weil in einer Baisse Kräfte am walten sind, die von außen nicht berechenbar sind.

Aktienmärkte: Die Schwankungsbreite an den Börsen

Aktienkmärkte schwanken täglich, ablesbar beim S&P 500 anhand des Volatlitätsbarometers VIX. Dieses gibt an, welche Schwankungen Marktteilnehmer im weltgrößten Aktienindex S&P 500 für die nächsten 30 Börsentage erwarten. In Deutschland heißt das Pendant VDax new. Der seit 1993 ermittelte VIX hat einen Durchschnittswert von etwa 19, das Tief vom 3. November 2017 lag bei 9,04, das bisherige Hoch stammt aus der Zeit der Finanzkrise bei 80,86. In den letzten Monaten lag der Volatilitätsindex zumeist im Bereich von 15 und signalisierte ruhige Zeiten in einem langfristigen Aufwärtstrend. Seit dem Überschwappen der Coronakrise auf westliche Staaten im März sprang der VIX nach oben, auf neue absolute Höhen.

Das aktuelle Hoch wurde am gestrigen Tag mit 84,83 Punkten erreicht – was nichts anderes bedeutet, als dass man eine Schwankungsbreite des Index anhand der zugrunde liegenden Optionspreise an der Chicago Board Options Exchange (CBOE) von über 80 Prozent in gerade mal eineinhalb Monaten erwartet. Wir leben in ganz extremen Börsenzeiten und anhand des VIX sieht man, wie schwierig es ist, einen Tiefpunkt der Aktienmärkte im aktuellen Zyklus zu eruieren.

Und damit kommen wir zum Problem mit der eingangs gestellten Frage.

Aktienmärkte: Crash und Margin Calls

Am Ende eines langen Börsenzyklus ist immer ein besonderes Phänomen zu beobachten: Marktteilnehmer werden nach einer langen Phase von Kurssteigerungen der Aktienmärkte zum einen besonders sorglos, aber zugleich meist auch noch besonders gierig (Stichwort Michmädchenhausse). Man hat ja die Erfahrung gemacht, dass Kursrückgänge der Aktienmärkte immer Nachkaufgelegenheiten waren, ergo hilft man dem Depot etwas nach, indem man Wertpapierkredite (Lombardkredit) in Anspruch nimmt, um den Hebel nach oben zu erhöhen. Mir ist in jedem der letzten Börsencrashs aufgefallen, wie stark die Aktienmärkte gefallen waren, ohne dass die Wirtschaftszahlen dies zunächst signalisiert hätten. Es fand ein fast bodenloser Ausverkauf statt. Alles – auch stabile Werte – wurden versilbert. Ein Grund hierfür ist zum Teil die Nachschussverpflichtung, der so genannte Margin Call, der sich auch aus der Inanspruchnahme des Wertpapierkredits ergibt (den zum Beispiel alle Direktanlagebanken anbieten).

Dazu ein ganz primitives Beispiel: Ein Kleinanleger mit einem Aktiendepot von 10.000 Euro beleiht dieses mit 30 Prozent, indem er die Aktienquote bis dahin aufstockt. Bei einem Kurseinbruch von 30 Prozent rauscht er deutlich unter die Beleihungsgrenze, muss aber nicht 30 Prozent seiner Aktien verkaufen, sondern deutlich mehr, um diese Beleihungsgrenze wiederum zu erreichen.

Er bekommt von seiner Bank den gefürchteten Margin Call: Er müsse das Konto ausgleichen, ansonsten würden Aktien verkauft. Viele Anleger tappen regelmäßig in diese Falle, die umso mehr zerstörerisch zuschnappt, je höher die Kursverluste ausfallen. Ein weiterer verbreiteter, aber nicht weniger riskanter Fehler ist die ausschließliche Investition in ein Aktiendepot, obwohl man in absehbarer Zeit das Kapital für größere Anschaffungen benötigt – zumindest einen Teil davon. Bisher war jeder Rückgang ein Gewinn bringender „Buy the dip-Trade“. Aber bei einer richtigen Baisse der Aktienmärkte hat man keine Zeit mehr die Kursverluste auszusitzen – und der Pain Trade führt zum Verkauf, oft in der Nähe des Tiefs.

Wenngleich dies nur kleine Beispiele von Privatanlegern sind, so gibt es das kreditfinanzierte Geschäft mit unterschiedlichen Assets natürlich auch bei den ganz Großen. Zum Beispiel bei Hedgefonds, deren Schieflagen einen Sell-Off mit befeuern. Es läuft in einem Aufwärtszyklus jahrelang prima (auch mit kreditfinanzierten Aktienrückkäufen), bis eines Tages das Unerwartete geschieht, der „Schwarze Schwan“ von Nassim Nicholas Taleb auftaucht, der dies in seinem Buch so metaphorisch am Beispiel des Truthahns und dem Thanksgiving Day beschreibt.

Crash: Die großen Kurseinbrüche der letzten Dekaden

Bei der Abschätzung wie tief eine Rezession die Börsenkurse in die Tiefe reißen kann, ist stets ein Blick auf die letzten Zyklen hilfreich. Der S&P 500 fiel in den letzen beiden Baissen 2000 bis 2002 um 49,1 Prozent – und bei der großen Finanzkrise 2008 hatte er seinen größten Rückgang mit 56,8 Prozent. Am vorgestrigen Handelstag haben wir die 30-Prozent-Verlustzone erreicht, das durchschnittliche Turnaround-Niveau.

Und beim Dax? Dieser ist gewohntermaßen volatiler, ein Spielball ausländischer Investoren. Der 2003-Kursverfall endete erst bei einem Minus von über 72 Prozent, in der Subprime-Krise mit dem Tief vom März 2009 blieb es bei minus 54 Prozent. Der durchschnittliche Kursverfall der letzten fünf Rezessionen beträgt 40 Prozent.

Der deutsche Leitindex ist (war) erheblich günstiger bewertet als sein US-Pendant mit einem KGV von 16. Im Jahr 2000 vor seinem massiven Einbruch hatte es über 30 betragen. Sein Buchwert liegt bei ungefähr 8100 Punkten, wie auch der langfristige Trend sowie die Hochpunkte aus den letzten beiden Börsenzyklen. Eigentlich eine gute Haltezone, wenn da nicht das große „Unknown Unknown“ in Gestalt eines Virus wäre, das immer mehr Regionen der Welt stilllegt, aber in Fernost vielleicht schon auf dem Rückzug ist.

Fazit

In jeder Börsenphase gibt es passende Börsenweisheiten. Bei langen Börsenzyklen wie zum Beispiel dem aktuellen, der das hohe Alter von 11 Jahren erreicht hat, passt oftmals der abgedroschene Spruch: „Gier frist Hirn.“ Am Ende eines Aufschwungs der Aktienmärkte erlebt man oft Sorglosigkeit, gepaart mit etwas „ungezügeltem Streben nach Gewinn, um jeden Preis“, (als Teil der juristischen Definition von Habgier) mit der Folge von ungenügendem Money Management. Die Konsequenzen sind stets heftige Marktbereinigungen in kürzester Zeit und ohne vorhersehbaren Auslöser. Wie oft haben wir bei FMW über einen solchen gemutmaßt. Es wurde Covid-19, entstanden in einer Großstadt, deren Namen die meisten noch nie vorher gehört hatten. Also, wo könnte ein Boden der Aktienmärkte für den Kursrutsch sein? Einen für die USA typischen 30-Prozent-Rutsch aus den letzten sieben Jahrzehnten bei einer Rezession haben wir bereits erreicht.

Wie extrem weit selbst ein breit streuender Index im Crash fallen kann, hat man beim DAX in den Jahren 2000-2003 gesehen, wo der Leitindex fast 73 Prozent in den Keller rauschte. Wahrscheinlich ist ein solcher Einbruch aus meiner Sicht derzeit nicht, denn es gibt einen großen Unterschied zu allen Zyklen der modernen Wirtschaftsgeschichte: Es gibt keine Zinsen am Anleihemarkt zum Überwintern.

Die Aktienmärkte sind durch das Coronavirus im Crash



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4 Kommentare

  1. Schaut euch mal weiter den Zinsanstieg am langen Ende in den USA an !
    Das wird noch spannend.
    Meiner Ansicht nach ist der wichtigste Aspekt jetzt das Vertrauen in die Anleihemärkte, alles andere ist dagegen Peanuts. Kommen die ins Wanken ?

    1. @PK Sieht sehr danach aus. Wenn den Anleihenmärkten das Vertrauen entzogen wird, dann ist das Fiasko vollkommen.

  2. Ich glaube die jetzigen Massnahmen der FED tendieren eher zur Stützung der Unternehmensanleihen u.des Konsums, natürlich mit noch mehr Schulden. ( MMT hilft immer )
    Aber schon komisch ,Bonds u.Aktien fallen ! Die allmächtigen Retter haben ein Problem, die ganze Stadt brennt u.nur eine Feuerwehr. Auch für die Pandemie war fast niemand gerüstet.
    Geschätzter @PK , sie haben die Feuerkraft der Notenbanken früher auch leicht überschätzt. Soll keine Kritik sein, sie sind in guter Gesellschaft von über 90% aller FINANZ- SPEZIALISTEN.

  3. Hallo Papa Kilo ;-)

    Als sei die Entwicklung an den Aktienmärkten nicht schon dramatisch genug, wiegt der Vertrauensverlust im Anleihemarkt noch unvergleichlich schwerer.
    Ich muss offensichtlich meine Einschätzung revidieren, nach der ich von einer zwischenzeitlichen Erholung ausgegangen war.
    Dies aufgrund der Betrachtung der Optionspreise.
    Angesichts der gewaltigen Mengen an offenen Kontrakten auf der 2500, bzw. 2600 (25 Kilo bzw. 32 Kilo) war ich bis zum Verfall an diesem Freitag von einem bis dahin erfolgenden bounce back ausgegangen.
    Diese Art der Beurteilung hat sich im Lauf der vergangen Jahre bewährt und war bislang geprägt von hoher Aussagekraft.
    Unter dem Eindruck des genannten krassen Vertrauensverlustes der Bevölkerung und der Investoren haben selbst solche Indikatoren offensichtlich keine tragfähige Aussage mehr.
    Aus charttechnischer Sicht muss man wohl oder übel den Bereich der 2040 bis 2130 im S&P anvisieren.
    So lernt man immer dazu…

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