Während die Märkte dies- und jenseits des Atlantiks bereits eine Zinswende ausgerufen haben und erste Zinssenkungen der Zentralbanken einpreisen, sagte Bundesbank-Chef und EZB-Mitglied Joachim Nagel, dass es verfrüht sei, über eine Senkung der Zinsen zu sprechen. Laut einem Bloomberg-Bericht plädiert er darauf, die Zinsen länger hoch zu halten und die aufgeblähte EZB-Bilanz deutlich zu schrumpfen. Bis sich die Effekte der quantitativen Straffung vollends entfalten, kann es nämlich noch etwas dauern.
Nagel: Zu früh für Zinssenkungen
Die Europäische Zentralbank ist noch nicht an einem Punkt, an dem sie eine Senkung der Kreditkosten in Betracht ziehen sollte, so Bundesbankpräsident Joachim Nagel.
„Es wäre verfrüht, die Zinssätze bald zu senken oder über solche Schritte zu spekulieren“, sagte der deutsche Notenbanker am Dienstag in Nikosia. „Für die Haltung ist nicht nur die Höhe der Zinsen entscheidend, sondern auch die Erwartungen über den weiteren Verlauf der Zinsen. Der Haupteffekt der geldpolitischen Straffung auf die Inflation muss sich erst noch entfalten.“
EZB am Ende des Zinserhöhungszyklus
Die EZB hat ihre Zinserhöhungskampagne wahrscheinlich abgeschlossen und wird auf ihrer Dezembersitzung zum zweiten Mal in Folge eine Pause einlegen. Während der Markt bereits auf Zinssenkungen im April wettet, haben einige EZB-Mitglieder gesagt, dass eine weitere Erhöhung immer noch möglich ist und dass es zu früh sei, über Zinssenkungen zu diskutieren.
Die Inflation hat sich von ihrem Höchststand von 10,6 % im vergangenen Jahr auf 2,9 % im Oktober drastisch abgekühlt, doch haben die EZB-Mitglieder betont, dass der letzte Weg hinunter zum 2 %-Ziel länger dauern wird. Sie gehen davon aus, dass Basiseffekte das Verbraucherpreiswachstum in den kommenden Monaten wieder nach oben treiben werden.
„Obwohl die Gesamtinflation in den letzten Monaten deutlich zurückgegangen ist, können wir nicht davon ausgehen, dass dieser Rückgang anhalten wird“, so Nagel. „Die disinflationären Effekte der gesunkenen Energiepreise haben sich verflüchtigt, und wir sind immer noch ein gutes Stück von unserem Zielwert entfernt. Zudem erwarten wir einen holprigen Weg mit einem Auf und Ab der Inflation in der nahen Zukunft“.

Auswirkungen auf die Wirtschaft
In der Zwischenzeit beginnt die bereits angeschlagene Wirtschaft der Eurozone, die Auswirkungen der geldpolitischen Straffung zu spüren. Auch wenn sich die Effekte noch nicht in vollem Umfang entfalten, zeigen sich bereits erste Risse: Die Produktion in der Europäischen Währungsunion schrumpfte im dritten Quartal. Zudem lassen pessimistische Unternehmensumfragen (EMI-Daten) eine Rezession immer wahrscheinlicher erscheinen. Ökonomen gehen davon aus, dass die Eurozone einem solchen Schicksal nur knapp entgehen wird, indem sie im laufenden Quartal stagniert.
Bundesbank-Chef Nagel sagte: „Ich bin zuversichtlich, dass wir eine harte Landung vermeiden können. Der angespannte Arbeitsmarkt, die niedrige Verschuldung von Unternehmen und Privathaushalten und die rege Investitionstätigkeit deuten darauf hin, dass die Voraussetzungen für eine weiche Landung der Wirtschaft gegeben sind.“
EZB-Präsidentin Lagarde warnte indessen in einer Rede am Montag, dass die Wirtschaft in der Eurozone schwach ist – und für den Rest des Jahres schwach bleiben werde. Eine der Ursachen sieht sie in den gestiegenen Zinsen. Vor europäischen Gesetzgebern erklärte Lagarde, dass die Beamten möglicherweise bald ihr 1,7 Billionen Euro schweres Anleiheportfolio überprüfen und überdenken werden, wie lange sie fällige Wertpapiere ersetzen werden.
Nach den derzeitigen Leitlinien sollen die Reinvestitionen im Rahmen des sogenannten PEPP-Programms bis Ende nächsten Jahres fortgesetzt werden. Entscheidend ist, dass die EZB sie flexibel und länderübergreifend einsetzt, um einer Fragmentierung des Anleihemarktes des Euroraums entgegenzuwirken, weshalb selbst einige hawkishe Beamte zögern, dieses Instrument aufzugeben.
„Es ist mir klar, dass die große Bilanz weiter deutlich schrumpfen muss“, sagte Nagel.
FMW/Bloomberg
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