Allgemein

Der große Sinneswandel der EZB EZB-Direktorin Schnabel: Märkte könnten Inflation unterschätzen

EZB-Direktorin warnt aktuell davor, dass die Märkte die hohe Inflation unterschätzen könnten. Weiterer Zinsauftrieb steht deshalb an.

EZB-Direktorin Isabel Schnabel

Man erinnert sich noch lebhaft. Als die Inflation in der Eurozone vor einem Jahr – bereits vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs – Monat für Monat anstieg, wollte die EZB nichts von dem Thema hören. Alles nur vorübergehend, die Inflation sei kein Problem. Inzwischen hat man eine 180 Grad-Wende vollzogen. Die Warnungen können derzeit gar nicht laut genug sein, dass man die hohe Inflation nicht unterschätzen sollte. Im folgenden Chart sehen wir seit 2019 in der blauen Linie die Entwicklung im Leitzins, dazu als Vergleich in orange die Inflation in der Eurozone, zuletzt bei 8,5 %. EZB-Chefin Christine Lagarde legte erst vorgestern nach mit der Aussage, man werde Mitte März den Leitzins erneut um 50 Basispunkte auf 3,5 % anheben, im Kampf gegen die Inflation. Heute früh legt die wichtige EZB-Direktorin Isabel Schnabel nach, und das mit klaren Worten.

EZB-Leitzins im Vergleich zur Inflation in der Eurozone seit 2017

EZB-Schnabel warnt vor Unterschätzung der Inflation

Die Bonner Wirtschaftsprofessorin Isabel Schnabel gehört zu den ranghöchsten Währungshüterinnen der EZB. Im Interview mit Bloomberg warnt sie aktuell vor der Gefahr, dass die Finanzmärkte die Hartnäckigkeit der Inflation unterschätzen – und damit auch die von Seiten der EZB notwendigen Maßnahmen zu ihrer Eindämmung. “Wir sind noch weit davon entfernt, die Inflation zu besiegen”, sagte Schnabel, und verwies auf die Stärke des zugrunde liegenden Preisdrucks und raschere Lohnsteigerungen. Die Konjunktur reagiere langsamer als früher auf die Zinserhöhungen: “Wir müssen daher möglicherweise energischer handeln.”

Die EZB hat für März eine weitere Anhebung um einen halben Prozentpunkt mehr oder weniger angekündigt, eine falkenhafte Haltung, die sich mit dem Ansatz der US-Notenbank deckt, die Zinssätze kontinuierlich zu erhöhen. Auf die Frage, ob Ökonomen und Anleger zu Recht davon ausgehen, dass die EZB bei einem Zinssatz von 3,5 % mit der Straffung aufhören wird, gab Isabel Schnabel zu verstehen, dass dies zu optimistisch sein könnte (hier eine Übersicht der drei EZB-Zinssätze mit jedem einzelnen Zinsschritt seit Gründung der Zentralbank).

“Märkte sind für Perfektion positioniert”, so Isabel Schnabel. “Sie gehen davon aus, dass die Inflation sehr schnell auf 2 % sinken und dort bleiben wird, und dass es der Wirtschaft gut gehen wird. Das wäre ein sehr gutes Ergebnis, aber es besteht das Risiko, dass sich die Inflation als hartnäckiger erweist, als derzeit von den Finanzmärkten eingepreist wird.”

Markterwartungen an Zinssätze

Die kurzfristigen Inflationserwartungen an den Geldmärkten haben sich nach dem energiebedingten Anstieg im letzten Jahr zwar stark zurückgebildet, aber längerfristig preisen die Händler noch eine Inflation von rund 2,4 % ein, nach wie vor über dem 2 %-Ziel der EZB. Für den Einlagensatz der EZB implizieren die Marktpreise die Erwartung eines Anstiegs auf über 3,5 % bis Ende des dritten Quartals, gefolgt von einer ersten Senkung um einen Viertelpunkt bis Mitte nächsten Jahres. Binnen drei Jahren soll es abwärts gehen bis auf etwa 2,5 %.

Entwicklung von Inflation und Kerninflation in der Eurozone

50 Basispunkt Zinsanhebung im März “in praktisch allen plausiblen Szenarien” erforderlich

Isabel Schnabel, die in der EZB für Märkte zuständig ist und zu den Falken im Direktorium zählt, deutete an, dass die Notenbanker die Inflationsaussichten wahrscheinlich nicht als zufriedenstellend beurteilen werden, wenn sie im März neue Projektionen veröffentlichen. Eine Anhebung um 50 Basispunkte im nächsten Monat sei “in praktisch allen plausiblen Szenarien” erforderlich, sagte sie und betonte: “Es gibt keinen Widerspruch zwischen unserem Prinzip der Datenabhängigkeit und diesen Absichten, weil es sehr unwahrscheinlich ist, dass die eingehenden Daten diese Absicht in Frage stellen werden.”

Während die Gesamtinflation in der Eurozone parallel zu den Energiekosten schneller als erwartet zurückgegangen ist, verharrt die Kernrate weiterhin auf Rekordhöhe. “Ein breiter Disinflationsprozess hat in der Eurozone noch nicht einmal begonnen”, erklärte Schnabel.

Erwartete Lohnsteigerungen

Höhere Löhne in der Eurozone unterstützen Inflation?

Die Lohnentwicklung gibt daher Anlass zur Sorge. Isabel Schnabel verweist auf Prognosen, wonach die Löhne in den kommenden Jahren um bis zu 5 % steigen werden, was im Vergleich zum Inflationsziel der EZB von 2 % zu hoch sei. “Das Lohnwachstum hat deutlich angezogen”, sagte Schnabel. Angesichts der längeren Laufzeit von Lohnverträgen im Euroraum im Vergleich zu den USA und eines stärker zentralisierten Verhandlungsprozesses könne man erwarten, “dass das Lohnwachstum im Euroraum persistenter sein wird”.

Strenge Geldpolitik wirkt noch nicht?

Am Mittwoch bekräftigte EZB-Präsidentin Christine Lagarde die Absicht der EZB, die Zinssätze auf einem Niveau zu halten, das die Wirtschaft abkühlt und dem Risiko dauerhaft höherer Inflationserwartungen vorbeugt. Isabel Schnabel ist sich nicht so sicher, dass das derzeitige Niveau der Zinsen das Wachstum bereits bremst. “Es ist nicht so einfach zu beurteilen, ob unsere Geldpolitik bereits restriktiv ist”. Eher könnte die Risikoaversion angesichts der nachlassenden konjunkturellen Dynamik die Gesamtnachfrage geschwächt haben.

Auch der Wechsel von variablen zu festverzinslichen Hypotheken, längere statt kürzere Anleihelaufzeiten, ein starker Arbeitsmarkt und Investitionen zur Förderung des ökologischen Wandels könnten dazu führen, dass die Wirtschaft weniger stark auf die EZB-Politik reagiert, so Isabel Schnabel. “Die Geldpolitik wird solange restriktiv bleiben, bis wir belastbare Evidenz dafür sehen, dass die Inflation – und insbesondere die Kernrate – zeitnah und dauerhaft auf unser Ziel von 2 % zurückgeht”, erklärte die Direktorin. “Es ist höchst unwahrscheinlich, dass der Inflationsdruck von selbst verschwindet.”

Bilanzabbau bei der EZB ab März

Ab März wird die EZB die Anleihebestände in Höhe von 5 Billionen Euro in ihrer Bilanz verringern. Im Zuge der sogenannten quantitativen Straffung wird die Bilanz bis Juni um durchschnittlich 15 Milliarden Euro pro Monat verkürzt. Danach könnte das Tempo schneller werden, so Isabel Schnabel, auch wenn noch nichts entschieden sei. “Wir könnten das QT beschleunigen, wie es derzeit an den Finanzmärkten eingepreist wird. Aber das muss noch entschieden werden”, so Schnabel. “Wir müssen die Bilanz reduzieren, und wir wollen dies auf maßvolle und vorhersehbare Weise tun, ohne Störungen zu verursachen.”

Der Prozess werde vor allem von technischen Erwägungen bestimmt, wie etwa der Frage, wie viel Liquidität benötigt wird, um die Geldmarktsätze erfolgreich zu steuern, und es werde auch berücksichtigt, inwieweit der Einfluss der EZB das Funktionieren des Marktes beeinträchtigt, sagte sie. Da bis Ende des Jahres eine Strategieüberprüfung über die künftige Durchführung der Geldpolitik durchgeführt werde, sei es noch zu früh, um über die Zukunft von QT zu sprechen.

Die EZB sei “selbst von Endpunkten, die auf der höheren Seite liegen, noch ziemlich weit entfernt”, sagte Isabel Schnabel. “Das verschafft uns etwas Zeit, aber ich halte es trotzdem für wichtig, irgendwann einen Hinweis darauf zu geben, wo die Bilanz unserer Meinung nach enden wird.”

FMW/Bloomberg/Erster Chart TradingView



Kommentare lesen und schreiben, hier klicken

Lesen Sie auch

2 Kommentare

  1. Kreativ geht anders.
    Inflation hoch, Zinsen rauf?
    Das ist ein Wissen aus dem 1. Lehrjahr und das bleibt wohl alternativlos in den Köpfen.
    So alternativlos wie Waffensysteme in die Ukraine zu schicken. Das allerdings ist wie Holz bei einem Feuer nachzulegen, damit es ausgeht.

    1. Welch eine Schnabeltante, sind denn nicht gerade die Notenbanken schuld, dass sie von den Märkten nicht ernst genommen werden weil sie die Inflation selber schöngeredet oder unterschätzt haben und mit widersprüchlichen Kommentaten Zweifel an der konsequenten Inflationsbekämpfung streuten.So kommt es wie es kommen muss, die Inflation wird die unfähigen Inflationsbekämpfer in die Knie zwingen.
      Es sind auch die falschen Leute am Ruder, ein Süchtiger der 10 Jahre von einem Drogendealer mit Drogen versorgt wurde, kann nicht zum Entzug zum gleichen Dealer geschickt werden.Gibt es denn keine fähigen Leute in dieser EU ? Warum lässt man Koryphäen wie Marcel Fratzscher nicht endlich ans Steuer der grossen EZB. Ich glaube wenn man in der personell unterdotierten EZB noch einige Hartz 4 Empfänger integriert hätte, hätten sie herausgefunden ,dass die reelle Inflation höher ist als man immer glaubte.

Hinterlassen Sie eine Antwort

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert




ACHTUNG: Wenn Sie den Kommentar abschicken stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zur Verwendung der Kommentarfunktion zu.
Weitere Information finden Sie in unserer Zur Datenschutzerklärung

Meist gelesen 7 Tage