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"Zeit, einen eigenen Weg einzuschlagen" EZB sollte sich von der Fed-Politik abkoppeln, sagt ein Ratsmitglied

EZB-Ratsmitglied Yannis Stournaras. Foto: Yorgos Karahalis/Bloomberg

Nicht nur die Entwicklung der Inflation in den USA und der Eurozone driftet auseinander, sondern auch die Geldpolitik der Fed und EZB, zumindest, wenn es nach der Ansicht des Ratsmitglieds Yannis Stournaras geht. Die Europäische Zentralbank sollte seiner Meinung nach keine Angst davor haben, von ihrer “übervorsichtigen” geldpolitischen Haltung abzurücken und gegenüber den Zinsentscheidungen der Federal Reserve ihren eigenen Weg zu gehen. Er plädiert dafür, dass die Zinsen in 2024 noch viermal gesenkt werden.

Es gibt durchaus gute Gründe, die derzeit für eine unabhängige Geldpolitik der beiden Notenbanken sprechen. So haben sich die Wirtschaft und Inflation im Euroraum und der USA unterschiedlich entwickelt. Während der Preisdruck in der Eurozone stärker nachlässt und die Wirtschaft schwach bleibt, zeigt sich die Inflation in den USA hartnäckig und die Konjunktur dafür robust. Doch die EZB würde wohl auf ein großes Problem zusteuern, sollte sie tatsächlich die Zinsen früher und aggressiver senken als die US-Notenbank Fed. Denn in diesem Fall würde sie den Euro zum Abschuss freigeben. Der Euro könnte wieder in Richtung Parität zum Dollar abstürzen.

EZB: Geldpolitik von Fed abkoppeln

Im Anschluss an die EZB-Ratssitzung bekräftigte der griechische Notenbankchef im Bloomberg-Interview am Donnerstagabend, dass in diesem Jahr noch vier Zinssenkungen möglich seien. Am internationalen Finanzmarkt wurden Wetten auf Leitzinssenkungen zuletzt zurückgefahren. Der Markt geht inzwischen davon aus, dass die Zentralbank die Zinsen in diesem Jahr nur noch dreimal senkt. Die EZB gab gestern das bisher deutlichste Signal für einen Beginn der geldpolitischen Lockerung im Juni.

“Jetzt ist es an der Zeit, einen anderen Weg einzuschlagen”, sagte Stournaras mit Blick auf die Fed. “Die Situation im Euroraum und in den USA ist völlig unterschiedlich. In den USA ist die Nachfrage viel stärker, was vor allem auf Schub aus dem Staatshaushalt zurückzuführen ist. Das haben wir in Europa nicht. Und die Inflation im Euroraum war hauptsächlich angebotsgetrieben — nicht getrieben von der Nachfrage, nicht von den Löhnen.”

Die letzten US-Inflationsdaten in dieser Woche waren höher ausgefallen als erwartet und hatten am Geldmarkt zu einer neuen Bewertung der zu erwartenden geldpolitischen Lockerung geführt. Eingepreist werden nun drei Zinssenkungen der EZB im Jahr 2024 und nicht mal zwei Zinssenkungen der Fed.

Zinsen: Inflation driftet auseinander - Bald auch die Geldpolitik der Fed und EZB?
US-Inflation und europäische Inflation bewegen sich in entgegengesetzte Richtungen

Die EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte am Donnerstag bekräftigt, die europäische Geldpolitik agiere unabhängig vom Vorgehen der US-Notenbank. Sie räumte jedoch ein, dass es “mehrere Kanäle gibt, über die Einfluss genommen werden kann” — nicht nur die Wechselkursdynamik, bei der einige schon einen Kurs auf Euro-Dollar-Parität sehen.

“Wir sind nicht von der Fed abhängig”, sagte Lagarde bei ihrer Pressekonferenz nach der Ratssitzung. “Die Vereinigten Staaten sind ein sehr großer Markt, eine sehr große Wirtschaft und auch ein wichtiges Finanzzentrum” und diese Faktoren gehen in den Konjunkturausblick der EZB ein.

EZB-Senkung wegen schwacher Konjunktur

Für Stournaras macht die Konjunkturschwäche im Euroraum die Lockerung der Geldpolitik dringlicher. Er geht zwar immer noch von einer sogenannten sanften Landung aus. Dennoch warnte er davor, mit einer Zinssenkung zu lange zu warten, da dies das ohnehin schwache Wirtschaftswachstum gefährden und die Inflation unter das 2%-Ziel fallen könnte.

“Wir sehen die ersten Keime einer Erholung in Europa — auch in Deutschland”, sagte Stournaras. “Wir wollen diese ersten Keime des Aufschwungs nicht zerstören.”

Er drängt auf zwei Zinssenkungen im Juni und Juli, gefolgt von zwei weiteren bis zum Jahresende. Diese Ansicht wird nicht von allen 26 Mitgliedern des EZB-Rates geteilt.

“Im September letzten Jahres haben wir die Zinsen erhöht, um uns gegen eine zu hohe Inflation abzusichern”, erklärte Stournaras. “Jetzt hat sich das Blatt gewendet. Es besteht die Gefahr, dass die Inflation zu weit unter das 2%-Ziel fällt. Wir brauchen jetzt eine Versicherung, um nicht hinter die Kurve zu kommen.”

Er zeigte sich dabei zuversichtlich, dass sich das Lohnwachstum weiter abschwächen wird.

FMW/Bloomberg



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1 Kommentar

  1. Warum soll das Lohnwachstum geringer werden? Jeder gute, linke Politiker wünscht sich mehr Lohnwachstum und damit glückliche Wähler. Speziell in Griechenland war man auf diesem Weg, bis zum Zusammenbruch des Staates und den folgenden Lohnkürzungen. Ich erinnere mich auch noch an Biden und seiner Unterstützung der Automobil-Gewerkschaft für deren massive Lohnforderungen. Die US-Gewerkschafter wollten ähnliche Einkommenstuwächse wie ihre Bosse.

    Übrigens, der beste Schutz gegen hohe Preise und Löhne ist mehr Wettbewerb- gilt auch für das Einkommen der Bosse.

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