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Fed: Geldpolitik zwischen Wall Street und Main Street

Die Zentrale der Fed in Washington DC

Während die Realwirtschaft in den USA und den meisten Teilen der Welt am Boden liegt und nur leichte Ansätze von Erholung zeigt, notieren die US-Aktienindizes nahe oder sogar auf Rekordniveaus. Wird die Fed heute beschließen, mit ihrer Liquiditätsflutung fortzufahren, oder wird sie versuchen, den Exzess am Finanzmarkt zumindest verbal etwas einzubremsen?

Die Fed riskiert mir Ihrer Geldpolitik einen „Moral Hazard“

Mit ihrer dritten massiven Rettungsaktion durch geldpolitische Maßnahmen zur Abwendung einer wirtschaftlichen Depression sowie eines Kollapses der Finanzmärkte innerhalb von 20 Jahren, riskiert die US-Notenbank einen Gewöhnungseffekt bei den Marktteilnehmern, also einen moralischen Fehlanreiz. Zunächst hatte die US-Notenbank zu Beginn des Millenniums durch eine extreme Niedrigzinspolitik die Folgen des Platzens der New-Economy-Blase abgemildert. Diese Politik trug dann wesentlich mit zur Entstehung der US-Immobilienblase bei. Nach deren Platzen musste die Fed erneut massiv eingreifen, dieses Mal sogar mithilfe der Notenpresse in Form der Wertpapierkaufprogramme QE1 bis QE3.

Mittlerweile sind die Marktteilnehmer so konditioniert, dass jede Krise als Beginn einer neuen Niedrigzinsära inklusive Liquiditätsflutung durch die Notenbanken wahrgenommen wird. Jedes Mal, wenn die Fed derart aggressiv geldpolitisch agierte, war an den Aktienmärkten eine Hausse vorprogrammiert. Daher wundert es nicht, dass von Krise zu Krise die Gegenreaktion an den Aktienmärkten immer schneller und immer dynamischer erfolgt. Der ehemalige Präsident der sehr einflussreichen Federal Reserve Bank of New York, William C. Dudley, hat sich nun kurz vor der bereits am Dienstag begonnenen Offenmarktausschusssitzung der US-Notenbank (Federal Reserve System) kritisch über die Euphorie an den Aktienmärkten geäußert. Doch kann es sich die Fed überhaupt leisten, ihre kurstreibenden Maßnahmen zurückzufahren (Tapering), nur weil die Aktienmärkte außer Rand und Band sind?

Die Realwirtschaft ist noch lange nicht bereits fürs „Tapering“

Das Dilemma der Fed besteht in dem drastischen Auseinanderdriften zwischen der Entwicklung der Finanzmärkte und der Realwirtschaft. Aufgrund des schon öfters beschriebenen Cantillon-Effekts entfaltet die Notenbankliquidität an den Finanzmärkten, also an der Wall Street, ihre Wirkung lange, bevor sie dies in der Realwirtschaft, also der Main Street tut. Während die Aktienmärkte bereits Party feiern, haben sowohl die Weltbank als auch die OECD derweil ihre Rezessionsprognosen weiter vertieft.

Gemäß ihrem gestern veröffentlichten „Global Economic Prospects Report“ für Juni 2020 erwartet die Weltbank einen Rückgang der globalen Wirtschaft in diesem Jahr um 5,5 Prozent. Die OECD geht sogar von minus sechs Prozent aus. Für die USA rechnet die Weltbank beim realen Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zum Jahr 2019 sogar mit einem Rückgang von 6,1 Prozent (Seite 4, Tabelle 1.1 im Report). Das wäre der größte Einbruch seit 90 Jahren. Das GDPNow-Modell der Fed of Atlanta zeigt per Stand 9. Juni für das zweite Quartal 2020 auf annualisierter Basis sogar einen BIP-Einbruch von -48,5 Prozent an.

Im Folgejahr 2021 soll sich die US-Wirtschaft laut Weltbank von der niedrigen Basis aus um lediglich 4 Prozent erholen. Erst im Jahr 2023 soll sich die US-Wirtschaft wieder einigermaßen normalisiert haben. Das Congressional Budget Office der USA (CBO) geht davon aus, dass der vor der Corona-Pandemie im Januar dieses Jahres prognostizierte Wachstumsverlauf für die USA erst im Jahr 2029 wieder erreicht werden kann. Selbst jüngste Lichtblicke, wie die Zahlen vom US-Arbeitsmarkt für den Monat Mai, entpuppen sich bei genauerem Hinschauen als statistische Fata Morgana.

Realer sind da schon die Daten der großen US-Einzelhändler, die am Dienstag für die Kalenderwoche 23 einen Einbruch gegenüber dem Vorjahr um -9,7 Prozent bekanntgaben, nach -7,2 Prozent in der KW 22. Damit zeigt der aktuelle Wert den größten Rückgang in der Coronakrise. Die Bedeutung des Einzelhandels für die US-Wirtschaft muss an dieser Stelle nicht mehr erwähnt werden. Diese Bedeutung kennt auch die US-Notenbank, weshalb sie u. a. mit ihrem „Main Street Lending Program“ in Höhe von 600 Mrd. US-Dollar versucht, die Realwirtschaft zu stützen. Insgesamt hat die Fed acht Programme im Volumen von 3 Billionen US-Dollar verabschiedet, um die privaten Haushalte, den Immobilienmarkt, nichtfinanzielle Unternehmen und die Banken zu stützen.

Auch das US-Staatsdefizit muss finanziert werden

Je nach Schätzungen wird das Defizit der US-Bundesregierung im Fiskaljahr 2019/2020 (jeweils bis Ultimo September) um 18 bis 23 Prozent des BIP ausfallen. Die Staatsverschuldung ist bereits auf aktuell 25,9 Billionen US-Dollar explodiert (geschätzte Real-Time-Verschuldung). Zum Ende des ersten Quartals 2019 lag diese Verschuldung gemäß dem U.S. Department of the Treasury und der Fed of St. Louis bei noch 22 Billionen US-Dollar. Das Verhältnis von Staatsverschuldung zu Bruttoinlandsprodukt hat sich von 104,4 Prozent Ende des ersten Quartals 2019 auf aktuell 130 Prozent des BIP ausgeweitet. Das sind Niveaus, wie in Italien vor der Coronakrise. Allein im Monat Mai 2020 betrug das Staatsdefizit auf Bundesebene (Federal Budget Deficit) gemäß CBO 424 Mrd. US-Dollar.

In den USA wurden bereits vier Hilfspakete im Volumen von knapp drei Billionen Dollar verabschiedet. Und weitere Stimuli von der Fiskalseite sind jederzeit bei Bedarf möglich. So arbeiten gerade der republikanisch dominierte Senat und das von den Demokraten kontrollierte Repräsentantenhaus an einem fünften Konjunkturpaket innerhalb von nur 3 Monaten mit einem Volumen im Billionen-US-Dollar-Bereich. US-Präsident Donald J. Trump macht diesbezüglich auf seine noch widerspenstige Partei mächtig Druck. Sollte es ihm nicht gelingen, die Lebensbedingungen seiner Wähler, vor allem in den Swing-States, bis zum Wahltermin am 3. November zumindest zu stabilisieren, sinken seine Chancen auf eine Wiederwahl signifikant.

Ohne das Geld aus der digitalen Notenpresse der US-Notenbank Fed wären die US-Staatsdefizite zu diesen historisch niedrigen Zinskonditionen nicht finanzierbar. Damit bleibt die Fed als Gläubiger der letzten Instanz gezwungen, weiterhin Liquidität und künstlich niedrige Refinanzierungskosten bereitzustellen. Anders wäre eine echte Depression á la 1929 ff. nicht zu verhindern und die Schuldentragfähigkeit der öffentlichen und privaten Haushalte nicht aufrecht zu erhalten.

Fazit und Ausblick

Die US-Notenbank Fed wird heute möglicherweise auf verbaler Ebene versuchen, die Euphorie an den Aktienmärkten etwas auszubremsen. Was sie garantiert nicht tun wird, ist ihre ultralaxe Geldpolitik in Form diverser Liquiditäts- und Kreditprogramme sowie der de facto Nullzinspolitik zu beenden. Der effektive US-Leitzins liegt aktuell bei 0,06 Prozent und es ist eher zu erwarten, dass die Fed die etwas angestiegenen Renditen am langen Ende der Zinsstrukturkurve (Zinsen für länger laufende US-Staatsanleihen) durch eine Deckelung auf wieder etwas niedrigeres Niveau absenkt und dort zementiert. Kurzfristig kann es durch die Verbalakrobatik der Fed an den Märkten zu einem Rücksetzer kommen. Da dieser aber lediglich durch spekulative Gewinnmitnahmen ausgelöst würde und sich am großen Bild der zins- und liquiditätsgetriebenen Hausse nichts ändert, wird die Party an den Märkten wohl weitergehen.



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