Gas

Niedrigstes Preisniveau seit Juli 2021 Gaspreis fällt massiv – Analyse über Nachfrage, LNG-Tanker und Speicher

Gasverbrauch, Gasspeicher, LNG-Lieferungen, Einsparungen. Es gibt viele Faktoren für den Gaspreis-Crash. Hier dazu eine Analyse.

Der europäische Terminmarkt-Gaspreis Dutch TTF notierte heute Vormittag sogar schon unter 32 Euro. Im Hoch im August 2022 waren es 342 Euro. Aktuell zeigt ein Preisniveau bei 32 Euro den niedrigsten Stand seit Juli 2021. Vereinfacht gesagt: Nach Ausbruch es Ukraine-Kriegs eskalierte die Angst um Gas-Verknappung. Und die Lieferungen von diversen Rohstoffen aus Russland werden auch aufgrund der Sanktionen zurückgefahren. Aber inzwischen sorgt vor allem eine Flut von LNG-Lieferungen (Flüssiggas), Einsparungen und Schließungen von energiefressenden Betrieben für eine sehr entspannte Lage am europäischen Gasmarkt, die den Gaspreis so stark fallen lässt. Hier dazu eine Analyse mit dem Blick auf verschiedene Teilaspekte.

Gaspreis kräftig gefallen – Analyse der Hintergründe

Der Terminmarkt-Gaspreis in Europa hat sich seit Jahresbeginn mehr als halbiert, da das Angebot laut stabil ist, das Wetter mild ist, und die erneuerbaren Energien stärker zur Stromerzeugung beitragen, so Bloomberg aktuell in seiner Aussage. Der Gasmarkt in Europa erholt sich, nachdem Russland die Lieferungen im Zuge seines Einmarsches in der Ukraine im vergangenen Jahr gekürzt hatte. Die Gasspeicher in der EU sind ungewöhnlich voll mit 63,32 %, nach einem Monat mit Nettoeinspeisungen und einem Zustrom von LNG.

Vollere Gasspeicher als üblich wirken entspannend auf den Gaspreis

Industrie-Gasnachfrage 20 % niedriger

Nach Angaben der Analystin Rosaline Hulse von Wood Mackenzie lag die industrielle Gasnachfrage in Europa von Januar bis April 20 % unter dem Fünfjahresdurchschnitt. In einigen Ländern hat sich der Verbrauchsrückgang zwar abgeschwächt, doch deutet dies nicht auf eine vollständige Erholung hin, sondern eher auf eine allmähliche Stimmungsaufhellung“, so Rosaline Hulse in einer Aussage per E-Mail. Dennoch sehen Händler die Möglichkeit eines höheren Gasverbrauchs in den kommenden Wochen, wenn das Wetter wärmer wird. Dies könnte nämlich einen höheren Verbrauch für Klimaanlagen bedeuten, da die Energieunternehmen versuchen, ihre Gasvorräte vor dem Winter wieder aufzufüllen. FMW: Die niedrigere Nachfrage nach Gas ist für den Gaspreis ein wichtiger Faktor – die aktuelle Lage bei diesem Aspekt wirkt preissenkend.

G7 und EU mit Maßnahmen?

Unterdessen unternehmen die G7 und die EU weitere Schritte um ihre Abhängigkeit von russischer Energie zu verringern. Die G-7, die sich Ende dieser Woche in Japan trifft, will die Wiedereröffnung von Routen verhindern, bei denen Russland die Lieferungen unterbrochen hat, wie aus einem Erklärungsentwurf hervorgeht, der Bloomberg vorliegt. Die EU erörtert ein elftes Sanktionspaket, das ein formelles Verbot des nördlichen Abschnitts der nördlichen Druschba-Ölpipeline aus Russland beinhalten könnte, wie Bloomberg zuvor berichtete. Jedes EU-Verbot würde die volle Unterstützung aller Mitgliedsstaaten benötigen.

LNG-Transport

Es wird prognostiziert, dass die Zahl der LNG-Tanker bis zum 2027 die Zahl der größten Tanker für den Transport von Rohöl übersteigen wird. Im vergangenen Jahr gab es 625 LNG-Schiffe im Vergleich zu 849 VLCCs (Very Large Crude Carriers), doch diese Zahl wird laut Clarksons Research auf 907 bzw. 903 steigen, so berichtet es Bloomberg. Die Investitionsverlagerung deutet darauf hin, dass die Eigner weniger optimistisch sind, was die Nachfrage nach Rohöl angeht, da sie sich auf den weltweiten Übergang zu weniger umweltschädlichen Kraftstoffen vorbereiten (FMW: Immer mehr Frachtkapazität für Gas könnte auf lange Sicht weiter entspannend auf den Gaspreis wirken). Die Frachtraten für Öltanker könnten jedoch auf hohem Niveau bleiben, wenn sich der Bau von LNG-Schiffen verzögert. Ein Brand im südkoreanischen Unternehmen Hankuk Carbon im April hat bereits zu einer Unterbrechung der Produktion von Isoliertanks für den Bau von Schiffen geführt.

Entwicklung der weltweit im Einsatz befindlichen LNG-Tanker

Preisaufschlag für Gas in Europa gegenüber US-Markt schmilzt dahin

Die Vergütung, die US-Erdgasexporteure für die Lieferung von Gas in Form von LNG nach Europa erhalten, ist angesichts der gedämpften Nachfrage wie gesagt auf den niedrigsten Stand seit Juli 2021 gesunken. Die europäischen Benchmark-Gas-Terminkontrakte erzielten am Freitag einen Aufschlag von weniger als 8,15 Dollar pro Million britischer Wärmeeinheiten gegenüber dem am US-Referenzmarkt gelieferten Gas (siehe folgender Chart). Das ist ein Rückgang von etwa 91 % des Preisaufschlags gegenüber August 2022, als die europäischen Länder um LNG-Lieferungen rangen, um den Rückgang der russischen Mengen vor dem Winter auszugleichen. US-Gaslieferungen sind zu einem Zeitpunkt unattraktiver geworden, zu dem Projektentwickler Milliarden von Dollar in Projekte zur Erhöhung der Exportkapazität der USA investieren. FMW: Diese massive Verringerung im Spread zwischen US- und EU-Gaspreis zeigt die globale Angleichung der Preise. Der Markt wird wieder ausbalanciert – ein unterversorgter Markt (Europa) wird wieder ausreichend und sicher versorgt, und daher können sich auch die Preise als wichtiger Signalgeber wieder normalisieren.

Aufschlag von Gaspreis in den USA zum europäischen Markt

Fazit

Treten wir ein paar Schritte zurück, und schauen auf das gesamte Bild am Gasmarkt. Russland als Lieferant für Gas Richtung Europa fällt immer mehr aus. Aufgrund der hohen Energiepreise im letzten Jahr haben einige energiefressende Betriebe in Europa ihre Produktion runtergefahren, und lassen sie wohl erst einmal auch abgeschaltet. Diese erzwungene Einsparung und dazu noch echte Einsparanstrengungen helfen, den Gasverbrauch in Europa zu reduzieren. Dazu kommt der Ausbau der Gasproduktion und vor allem der Lieferkapazitäten in Form von LNG über die Weltmeere. Auch die Anlande-Kapazitäten zum Beispiel in Deutschland werden von Null aus drastisch hochgefahren. Dadurch können Produzenten – egal wo auf dem Planeten sie sind – Europa unabhängig von Pipelines mit Gas beliefern. Und Europa zeigt, dass man nach dem Ende der Heizperiode noch mehr als 60 % volle Gasspeicher hat. Ein Mix aus Gründen sorgt also dafür, dass der Gaspreis in Europa derzeit so kräftig fallen kann.

Man sieht in 2022 und jetzt in 2023 die klassischen Abläufe eines freien Marktes. Erst Verknappung und Angst, was für einen explodierenden Gaspreis sorgt – darauf folgten logischerweise Sparsamkeit bei den Verbrauchern und der Drang nach höheren Liefermengen, um den Preis zu drücken. Und aktuell – wenn denn alle Faktoren weiter ideal bleiben – spräche so einiges für weiter fallende Preise. Nach einem Preissturz von 342 Euro im Hoch im letzten Jahr bis jetzt auf 32 Euro sollte man aber auch nicht die Markttechnik außer Acht lassen. Gas könnte nach einem so drastischen Preissturz auch erstmal überverkauft sein.

FMW/Bloomberg

LNG-Terminal in Lubmin
LNG-Terminal in Lubmin. Photographer: Krisztian Bocsi/Bloomberg


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6 Kommentare

  1. Das sind ja mal gute Nachrichten von der Gasfront. Aber wer will schon gute Nachrichten hören?
    Eigentlich niemand. Keine Ahnung, warum. Vielleicht weil die eigene Depression gefüttert werden muß.
    Schlechte Nachrichten aus Andalusien sind willkommener und werden nicht lange auf sich warten lassen.
    Schon wieder „Tausende Erfrorene in kalten deutschen Wohnungen kommenden Winter“.
    Wetten?

    1. @Columbo, der fallende Gaspreis am Spot-Markt kommt beim deutschen Verbraucher nicht an, weil der – wie die meisten Gas-Lieferanten auch – die Verträge abgeschlossen hat, als der Preis extrem hoch war..

      1. Hi Markus,

        ich finde das etwas seltsam, dass alle Verbraucher und Gaslieferanten genau in dem relativ kurzen Zeitraum ihre Verträge abgeschlossen haben sollen, als der Preis extrem hoch war. Und das, wo die Gaslieferanten doch teilweise für einige Jahre im voraus einkaufen.
        Zumindest müssten sich die aktuellen Preise doch dann in einiger Zeit sehr positiv auswirken.
        Außerdem ist es meistens so, dass sich Verträge immer über 12 Monate erstrecken. Wer also im Zeitraum Januar bis Mai, egal ob jetzt 2018, 2019, 2020. 2021 oder 2022 seinen Vertrag geschlossen hat, fällt im entsprechenden Zeitraum 2023 wieder in einen günstigeren Tarif, weil er von den stark gefallenen Preisen profitiert. Es sei denn, die Versorger geben das nicht weiter, was viel wahrscheinlicher ist, als all die schönen Börsen- und Markttheorien 😉

        1. @Michael, die Verträge wurden im Frühherbst geschlossen seitens der Versorger, weil Panik da war, nichts mehr zu kriegen – daher haben diese Versorger dann wenig später auch die Preise für die Kunden erhöht..

          1. Hi Markus,

            ich habe in den letzten 12 Monaten mehrfach auf vielen verschiedenen Quellen gelesen, dass Versorger und auch Großkunden wie etwa BASF bis zu 4 Jahre im voraus einkaufen, dass also ein Großteil der Gaslieferungen auf mehrjährigen Verträgen beruht. Viele haben also mit ihren Forwards die relativ kurze Phase extremer Preise komplett übersprungen. In den vielen Berichten hieß es auch, dass natürlich nicht die gesamten Bedarfsmengen an diesen Märkten beschafft werden, weil man natürlich immer auf günstige Spotpreise hofft. Und genau diese Spot-Märkte hast du ja auch explizit angesprochen. Ich bin mir sicher, die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen, weil viele noch von langfristigen Einkaufspreisen vor der Gaskrise profitieren, zum Teil der teure Frühherbst zum Tragen kommt und zum Teil auch schon die gesunkenen Preise seit Januar 2023. Irgendwo muss sich ja der Mix aus 5 Jahren sehr günstiger und 1 Jahr teurer Einkaufspreise niederschlagen, ohne immer nur selektiv die teure Phase zu beleuchten.
            Und die Gierflation lässt sich nun einmal nicht wegleugnen:
            https://www.n-tv.de/wirtschaft/Mehrere-Versorger-sollen-Preisbremsen-missbrauchen-article24123777.html

        2. 2 Jahres Verträge liegen aktuell bei minimum 11 Cent/kwh, der Grundversorger liegt seit Februar bei 16 Cent/kwh. 1-Monats Verträge lagen vor 2 Wochen bei 10,5 Cent/kwh.
          Vor genau 2 Jahren habe ich für 5 Cent/kwh einen 1 Jahres Vertrag abgeschlossen, und dafür noch zusätzlich hohe Boni erhalten.
          Es ist also nicht nur mehr als eine Verdoppelung des Gaspreises, sondern durch die Umlage von 3 Cent wird der Preis auch nicht niedriger als 60% höher sinken. Aber die Terminstrukturkurve über die Wintermonate ist vor 2 Wochen im Vgl zu vor anderthalb Monaten gestiegen, nicht gesunken.
          Da die Versorger jetzt zu wenig einspeichern, kann das durchaus zu einer schlechteren Versorgungslage im Winter als früher führen.

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