Bundesbankchef Jens Weidmann gilt als der stabilitätsorientierte und auch prinzipientreue Notenbanker schlechthin, als Verwalter des geistigen Erbes der deutschen Bundesbank und damit eigentlich nicht als bevorzugter Kandidat für die Nachfolge von Mario Draghi. Bis zur letzten Woche, in der er plötzlich für ihn Ungewöhnliches kommunizierte.
Die verbale Wandlung des Jens Weidmann
Wer hätte diese Worte des Gegners der Nullzinspolitik der EZB erwartet: „Inzwischen hat sich der Europäische Gerichtshof mit dem OMT befasst und festgestellt, dass es rechtens ist. Im Übrigen ist das OMT geltende Beschlusslage“, verbreitete jüngst Jens Weidmann in einem großen Online-Portal. Ausgerechnet zu den Outright Monetary Transactions (OMT), dem Programm, mit dem die Europäische Zentralbank (EZB) notfalls unbegrenzt Staatsanleihen kaufen möchte, um den Zusammenbruch einzelner Euro-Länder unter ihren Staatsschulden und ein Zerbrechen der Gemeinschaftswährung zu verhindern. Dieses Programm wurde zwar bisher nicht aktiv, aber schon seine Existenz (war) dem deutschen Bundesbanker ein Dorn im Auge.
Als einziger Notenbanker im EZB-Rat stimmte Weidmann gegen das Anleihe-Kaufprogramm, wegen der erheblichen stabilitätspolitischen Probleme.
Jens Weidmann weiter: „Die EZB verteile damit in beträchtlichem Umfang Solvenzrisiken zwischen den Steuerzahlern der Währungsunion um.“
Damit verwische sich Geld- und Finanzpolitik, ein nicht zu vernachlässigendes Risiko für die Glaubwürdigkeit der Notenbanken.
Diese bisherige Ablehnung der Anleihekäufe hatte bislang seine Chancen, Draghi im Oktober als neuen EZB-Chef zu beerben gemindert, wegen des Widerstands der Euro-Südländer, die bei der Vergabe des Postens ein gewichtiges Wörtchen mitzureden haben.
Wer wird der Nachfolger von Mario Draghi?
Doch inzwischen hat Bundesbankchef Jens Weidmann die strategische Kehrtwende eingeleitet. Weidmann gilt daher neben dem Finnen Olli Rehn, dem französischen Notenbankchef François Villeroy de Galhau und EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Cœuré als aussichtsreichster Kandidat für die Draghi-Nachfolge. Seine Chancen, Mario Draghi als erster Deutscher auf dem EZB-Chefsessel zu beerben, sind diese Woche deutlich gestiegen.
Die Unterstützung der Bundeskanzlerin ist ihm sicher, denn aufgrund der Probleme den Wunschkandidaten Manfred Weber zum EU-Kommissionschef zu machen, dürfte sich die Kanzlerin nun umso mehr für Weidmann als EZB-Chef einsetzen.
Der Beigeschmack
Diese Kehrtwende ruft natürlich sofort Kritik hervor. Noch im Herbst hatte Jens Weidmann in einem Handelsblatt-Interview verkündet die EZB-Geldpolitik stehe vor der Normalisierung, Staaten sollten sich auf wieder steigende Zinsen einstellen. Die Staatsanleihekäufe der Notenbank dürften die Fähigkeit der Märkte, verschuldete Regierungen durch höhere Finanzierungskosten zu disziplinieren, „nicht vollends aushebeln“. Weidmann forderte von Italien einen „nachhaltigen Haushalt“ und von allen Euro-Ländern „solide öffentliche Finanzen“. Eine „weitere Vergemeinschaftung von Risiken“ und „Haftung ohne Kontrolle“ lehnte er ab. Sieht so Prinzipientreue aus?
Fazit
Egal wer die Nachfolge des scheidenden EZB-Präsidenten Mario Draghi antritt, ob Franzose, Finne oder Deutscher Es scheint so, als ob die „finanzielle Repression“, also die die relative Rückführung der Staatsschulden der EU-Länder im Verhältnis zum jeweiligen Bruttoinlandsprodukt auf Kosten der Sparer noch längere Zeit seine Fortsetzung findet.
Dr. Jens Weidmann. Foto: Chatham House – Uploaded by Magnus Manske CC BY 2.0
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Wir wissen doch alle das es anders nicht geht, bis auch anders nicht mehr geht.
Mir ist ein gewendeter Weidmann tausendmal lieber als eine reine Kopie von Draghi.
Ich sehe die geänderte Haltung eher als Kalkül, um den Pisten zu bekommen. Nur so kann der finanzielle Norden Europas wieder mehr Macht bekommen.
Weder der Norden noch der Süden Europas hat hier die Macht, die sitzt wohl eher weiter westlich, allem anderen kann ich im aktuellen System voll zustimmen