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Zinsschock und das Wundermittel Inflation Reduction Act Kann Joe Biden die USA wirklich vor einer Rezession bewahren?

"Bidenomics" könnten zum lahmenden Gaul mutieren im Jahr der Präsidentschaftswahlen

Joe Biden Rezession USA

Der Inflation Reduction Act von Joe Biden soll das Wundermittel sein, das die USA als größte Volkswirtschaft der Welt vor einer Rezession bewahrt. Seit Kurzem beherrscht das Narrativ von der „unkaputtbaren“ US-Konjunktur die Schlagzeilen der Wirtschaftsmedien. Selbst große Banken passen ihre Anlagestrategien nun daran an. Wie realistisch ist diese Annahme – oder wirken die Subventionen lediglich retardierend?

Joe Biden und „Bidenomics“: Rezession in USA abgesagt wegen IRA und Dienstleistungssektor?

Es ist nicht das erste Mal, dass sich eine absehbare Krise in den USA lange ankündigt, bevor sie tatsächlich eintritt. Bereits im Jahr 2006 war klar, dass die US-Immobilienblase unter der Last der zuvor gestiegenen Preise und Zinsen zusammenbrechen würde. Doch eine Reihe von Sondereffekten und Hurra-Meldungen ließ die Mahner lange Zeit lächerlich aussehen, bis zum 15. September 2008 – dem Zeitpunkt des Zusammenbruchs der Investmentbank Lehman Brothers und dem Beginn der Weltwirtschaftskrise.

Vorab gab es jede Menge Warnzeichen vor einer Rezession in diversen Statistiken: von der explodierenden Zahl der Zwangsversteigerungen über die Bankrotte von Maklerfirmen und Hypothekenvermittlern bis hin zu fallenden Häuserpreisen, v. a. in den 20 größten Städten mit Ausnahme von Seattle.

Wer damals den Fiskal- und Geldpolitikern glaubte, dieses Mal wird alles anders und eine Rezession werde es in den USA nie wieder geben, hätte sich zuvor einfach die Relationen und die Nachhaltigkeit der den Kriseneintritt verzögernden Sondereffekte versus der Hauptursachen der unvermeidbaren Rezession anschauen müssen.

Und auch jetzt wird mit Schlagwörtern argumentiert, anstatt die ökonomische Realität nüchtern zu betrachten. Dazu zunächst ein Blick auf die Zusammensetzung des US-Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Gesamtvolumen von 25,5 Billionen US-Dollar in 2022:

USA BIP Joe Biden Rezession

Es ist der Dienstleistungssektor, der die US-Wirtschaft trägt, mehr als in jeder anderen großen Volkswirtschaft. Und der Servicesektor ist wiederum in hohem Maße vom Konsum abhängig – und dieser wiederum stark von Krediten, Immobilienvermögen und saisonalen Effekten.

USA: Dienstleistungssektor und Saisonalität

Ein Argument für eine weiterhin robuste US-Wirtschaft ist neben dem oberflächlich gigantisch erscheinenden Investitionsprogramms der US-Regierung (IRA) mit all seinen möglichen Multiplikatoreffekten im Volumen von 370 Milliarden US-Dollar über einem Zeitraum von zehn Jahren der US-Dienstleistungssektor.

In den Vereinigten Staaten gibt es drei saisonale Sondereffekte, die dem Dienstleistungssektor einen Extra-Push verleihen: Das ist zuallererst die Vorweihnachtssaison mit speziellen Rabattaktionen (Black Friday, Cyber Monday etc.). Dann gibt es die „Back to School Season“, im Zuge derer Pädagogen und Sozialarbeiter Jobs finden und die Eltern ihre Kinder für die Schulde fit konsumieren. Aber auch der Frühling und die sogenannte „Driving Season“, in der die Amerikaner massenhaft in den Urlaub fahren oder fliegen, gelten als stimulierend für die Gesamtwirtschaft der USA.

Es ist also kein Zufall, dass gerade in der Zeit zwischen „Back to Scholl Season“ und Vorweihnachtsgeschäft Börsencrashs und Rezessionen beginnen.

Natürlich erholt sich der Dienstleistungssektor, wenn Vergnügungsparks, Schwimmbäder, Cafés und Tourismus zu Beginn der warmen Jahreszeit wieder durchstarten. Der gegenteilige Effekt stellt sich dann im Herbst ein.

In diesem Jahr kommen noch die Überreste der gigantischen Stimuli-Scheck-Volumina auf den Sparkonten der Amerikaner dazu und das ebenso gigantische Schuldenmoratorium für Studentendarlehen im Volumen von 1,78 Billionen US-Dollar bis zum 1. September.

Außerdem möchten viele Menschen nach der Pandemie das Leben wieder in vollen Zügen genießen, was absolut verständlich ist.
Die jüngsten Daten zu den Einkaufsmanagerumfragen im Dienstleistungssektor zeigen jedoch, dass hier der Zenit bereits überschritten wurde, und zwar bereits im November 2021:

USA ISM Einkaufsmanagerindex Dienstleistungen Rezession Joe Biden

Der letzte Wert für Mai 2023 lag mit 50,3 Punkten nur noch knapp über der Expansionsschwelle von 50 Punkten. Es lohnt sich manchmal, auf das größere Bild zu schauen, um die Signale für eine Rezession richtig einzuordnen.

Joe Biden und die „Bidenomics“

Joe Biden will mit einem Thema besonders Punkten und setzt im anstehenden Präsidentschaftswahlkampf, der im Herbst beginnt, voll auf seine Wirtschaftspolitik. Das Risiko dabei ist der Zeitfaktor. Empirisch belegt ist, dass Zinserhöhungen bzw. Zinsschocks erst mit starker Zeitverzögerung wirken. Ökonomen sprechen von bis zu neun Quartalen – abhängig davon, wie der allgemeine Zustand der Wirtschaft zum Zeitpunkt der Zinsanhebungen ist. Im März 2022 wirkte die US-Ökonomie noch wie auf Steroiden – verabreicht durch die diversen Corona-Rettungsmaßnahmen. Diese wirken bis heute nach, wenn auch mit zunehmender Halbwertzeit.

Und dieses Mal hat es der Zinsanhebungszyklus in den USA wirklich in sich: Es ist der aggressivste seit Gründung der US-Notenbank vor fast 110 Jahren bei der gleichzeitig höchsten Gesamtverschuldung in Relation zum BIP in der Geschichte der Vereinigten Staaten (100,9 Billionen US-Dollar bzw. 395 Prozent des BIP, Quelle: US-Fed).

Selbst US-Notenbankchef Jerome Powell spricht von einem „Zinsschock“ und erklärt in einem Statement: „Die Auswirkungen [von Zinsschocks] erreichen ihren Höhepunkt etwa 1 oder 2 Jahre nach dem Schock, was darauf hindeutet, dass diese Auswirkungen in den Jahren 2023 und 2024 am stärksten spürbar sein könnten.“ (und meint damit eine Rezession).

Schon jetzt müssen die Amerikaner pro Kopf durchschnittlich 14.534 US-Dollar allein an Zinsen pro Jahr schultern. Nach dem Auslaufen des Schuldenmoratoriums für Studentendarlehen und dem Aufbrauchen der Stimulus-Scheck-Ersparnisse dürfte es für sehr viele Amerikaner der Unter- und Mittelschicht immer schwierig werden, ihren Konsum von Gütern und Dienstleistungen aufrecht zu erhalten, selbst bei zunächst stabiler Arbeitsmarktlage.

Je weiter die Zinsen steigen und je länger sie auf relativ hohem Niveau verharren, desto höher steigt automatisch die Wahrscheinlichkeit für eine Rezession in den USA. Dazu reicht es schon aus, dass die Amerikaner etwas weniger neue Schulden aufnehmen.

Zudem tun sich Exportmärkte wie Europa und China aktuell schwer, die Weltwirtschaft zu stützen und der starke US-Dollar schmälert die Auslandsgewinne der US-Unternehmen. Diese waren übrigens laut jüngster gefeierter BIP-Statistik im ersten Quartal 2023 in den USA um 5,9 Prozent rückläufig.

Joe Biden könnte mit seinen „Bidenomics“ vom Wahlkampfzugpferd zum lahmenden Gaul mutieren, genau im Jahr der Präsidentschaftswahlen.

Joe Biden und das IRA-Monster

Joe Biden verlässt sich vor allem auf sein riesiges „Inflation Reduction Act“-Programm. Die Inflationsbekämpfung steht zwar im Titel des Gesetzes. Mit dem IRA soll jedoch primär d ieVision von Joe Biden verwirklicht werden, dass die USA „weltweit führend in sauberer Energietechnologie, Produktion und Innovation bleiben“ sowie unabhängig von kritischen Rohstoffen werden.

Insgesamt hat die Biden-Administration über 700 Milliarden US-Dollar Staatsausgaben für den IRA anberaumt. 370 Milliarden US-Dollar sollen in einem Zeitraum von über zehn Jahren in Investitionen für Energie- und Klimaschutztechnologien fließen. Das Hauptinstrument sind sogenannte Tax Credits: „Steuererleichterungen” oder „Gutschriften“, die – so steht es zumindest im Gesetz – klimafreundliche Technologien bezuschussen. Auch Gelder für Soziales sind in dem Gesetz mit festgeschrieben. Im Grunde handelt es sich um ein riesiges, schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm mit ökologischem Effekt.

Aber wenn man den geplanten Zeitraum und die budgetierte Summe in Relation zum US-BIP-setzt oder allein in Relation zu den aus der Gesamtverschuldung resultierenden 3,76 Billionen US-Dollar Zinszahlungen jährlich (ohne Tilgung), dann wird deutlich, dass für die US-Konjunktur selbst großzügig gerechnete 70 Milliarden US-Dollar pro Jahr Peanuts sind im Vergleich zur Bedeutung der Neuverschuldung (Krediteffekt).

It´s all about debt!

Im ersten Halbjahr 2023 sind die Gesamtschulden in den USA (öffentliche und private Schulden) um atemberaubende 7,3 Billionen US-Dollar bzw. 28 Prozent des 2022-er BIP angestiegen – ein historischer Rekord. Und dass, obwohl die Zinsen für diese Kredite zum Teil unerträglich hoch sind (für Kreditkartenschulden z. B. durchschnittlich 24,53 Prozent p. a., Stand 28. Juni).

Dank der Rekordschuldensause konnte sich Amerika den Lebensstil erhalten, an den man sich dank Stimulus-Schecks gewöhnt hatte. Wesentlich weniger helfen dabei steigende Buchgewinne bei Aktien, die man für den Konsum entweder teuer beleihen oder die Gewinne zuvor realisieren muss.

Parallel dazu fallen aber die Immobilienpreise, was die Gesamtvermögensbilanz der privaten Haushalte und auch der Unternehmen nicht mehr allzu gut aussehen lässt. Davon abgesehen, dass der größte Vermögenswert weltweit, die Anleihen, seit der Ankündigung der Zinswende in den USA im Herbst 2021 prozentual zweistellig gefallen sind (Staatsanleihen je nach Laufzeit um bis zu 45 Prozent, Unternehmensanleihen bis zur Wertlosigkeit).

Der Wealth-Effect, resultierend aus Aktien, Anleihen, Immobilien etc. ist daher netto betrachtet nicht geeignet, eine Rezession zu vermeiden. Zumal sich die Kursgewinne auf wenige Aktien konzentrieren und daher nicht in jedem Wertpapierdepot ankommen.

Fazit:

Ja, die Zukunft ist unvorhersehbar und für Analysten und Wirtschaftsjournalisten, die bereits so manche Krise und deren Genese miterlebt haben, sträuben sich bei den jetzigen Rahmenbedingungen die Nackenhaare. Das hat nichts mit Pessimismus zu tun, sondern mit Mathematik (Zinseszinseffekt).

Im Bundesland Sachsen gibt es eine zur aktuellen Lage passende Weisheit: „Wenn es Brei regnet, soll man den Löffel aus dem Fenster halten“. Das Gleiche gilt sicher auch für die Aktienmärkte. Zumal Absicherungen, z. B. via Volatilitäts-Instrumente, oder Put-Optionen bzw. Put-Optionsscheine aktuell günstig sind. Das erinnert an die Philosophie von Goldman Sachs vor dem Platzen der US-Immobilienblase: „Wir müssen tanzen, solange die Musik spielt“.

Bezüglich der wirtschaftlichen Perspektive der USA sollte man sich aber keine Illusionen machen, v. a. wenn die Zinsen weiter angehoben und zusätzlich die Liquidität weiter verknappt wird. Der Zinsschock wird wegen der ausgeprägten Schuldensituation so heftig wirken wie in keinem Zinszyklus zuvor – mit der Folge einer Rezession. Es sei denn, Naturgesetze verlieren ihre Gültigkeit.

Daher sollte man neben den die US-Wirtschaft stimulierenden Effekten (IRA, Aktien-Hausse, Rekordstaatsausgaben) auch immer wieder einen Blick auf die Kreditvergabe, die Kreditausfallraten, die realen Konsumausgaben sowie die Unternehmensbankrotte werfen. Nur für den Fall, dass dieses Mal doch nicht alles anders kommt.



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7 Kommentare

  1. Der 46. US-Präsident Joe Biden ist hierbei aufgerufen, Rahmenbedingungen zugunsten der innovativen Spitzenförderung der US-Technologie, wozu Audible und die meta-Firmen Facebook und instagram gehören, auf den Weg zu bringen. Made in America. Internet for all gehört bereits zu seiner Agenda.

  2. Dr. Sebastian Schaarschmidt

    Dieser Trend läuft seit dem März des Jahres 2009. Es ist also der zweitlängste Aufwärtstrend seit der Superhausse von 82 bis 00.

    Wie oft gab’s da Fehleinschätzungen….? Ich erinnere mich an den Sommer 2010,damals während der WM in Südafrika, kam eine wissenschaftliche Studie von Goldman Sachs auf dem Markt, wonach bei jetzt 11 000 Punkten ( im Dow) Schluss wäre.

    Schließlich, so die Begründung, gingen die Babyboomer bald in Rente und die Jüngeren interessieren sich nicht für die Börse.

    Ratschlag der“ Experten%“, man solle jetzt sein Geld vom Markt nehmen, „denn zum Ausstieg werde nicht geklingelt“.

    1. @Dr. Sebatian Shaarschmidt

      Sehr geehrter Herr Dr. Shaarschmidt,

      haben Sie all die Krisen vergessen, die uns seit 2009 ereilt haben und uns regelmäßig an den Rand eines Totalzusammenbruchs des Finanzsystems geführt haben (zuletzt das Desaster um die UBS). Und das Aufkommen der AfD im Zuge der Euro-Krise (ursprünglich als „Anti-Euro-Rettungs-Partei“ von Prof Lucke, als Alternative zur alzernativlosen „koste es was es wolle“-Politik der CDU-Kanzlerin gegründet). Die Verschuldung Griechenlands steht heute höher als vor dem Schuldenschnitt, die Verschuldung ist global betrachtet auf Rekordniveaus angestiegen. Was hat sich wachstumsunterstützend entwickelt, außer Schulden und die Fallhöhe des Systems? Man sollte auch beim Investieren immer beide Seiten der Medaille betrachten. Macro schlägt Micro! Food for Thought!

      VG,
      H. Z.

  3. Zipfel ist der Gipfel

    Sehr realistischer Bericht, Herr Zipfel war ja weiss Gott lange kein Pessimist, aber jetzt wird es sehr schwierig für die Wegseher und Schönredner. Stark steigende Zinsen sind ja eine Sache, aber brutal ist, wenn von Negativzinsen in kurzer Zeit auf hohe Zinsen zugesteuert wird.Sehr komisch auch, von stark steigenden Gesundheitskosten redet fast niemand in der kranken Gesellschaft.

  4. Schade dass man nicht in einer Bank arbeitet, die dem wirklich grossen Geld hilft in die entsprechenden Assets zu fliessen. Dann wüsste man ohne langatmige Analysten-Vermutungen, wo die Börsen-Musik spielt.
    Na ja, vielleicht gibt es ja mal Journalisten, die entsprechende Verbindungen zu Grossbanker haben, nicht?

  5. nicht so genau nehmen,
    März 2021 jeder, wirklich jeder der bis 75000 Dollar Jahresgehalt hat, wurde einen Check von 1400 Dollars zugestellt. Nach alter us Post Tradition. vorher schon 1000 Dollar.
    sehen sie den unterschied der depperten deutschen bürokratie?
    Vergessen wir nicht die Waffenproduktion, sie ist meist der Retter in einer schwierigen Situation.
    läuft sie auf hochtouren?
    Ich hoffe, das hält den us Laden mit am laufen.
    sicher menschenopfer spielen da keine Rolle.
    nicht so genau nehmen, die Großschreibung nervt, welcher Professoren haben sich dafür zeit genommen
    na ja, einige die sich um ihren lebensunterhalt nicht kümmern müssen..Blödsinn…bledsinn….

  6. Joe Biden wird eh bald ersetzt und dann ist auch nicht mehr sein Problem. 😉

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