Devisen

Wer soll den Rubel retten? Geheimoperation zum Devisenzwangsverkauf in Russland

Russland zwingt zahlreiche Unternehmen in großem Umfang Devisen zu verkaufen, um damit den Rubel zu stärken.

Russische Rubel
Russland-Rubel. Foto: Inna-Zueva5 - Freepik.com

Beschwört Alexander Nowak, Vizepremier und Wladimir Putins Mann zur Lösung aller Energiefragen im Land, dass die Diversifizierung des Brennstoff- und Energiekomplexes läuft, unterzeichnete der russische Präsident jüngst im Oktober hinter dem Schleier der Nahost-Ereignisse einen Erlass zur Verkaufspflicht von Währungseinnahmen aus dem Exportgeschäft. Um den Rubel-Sinkflug zu bremsen, sollen auf dieser Grundlage 43 Unternehmensgruppen in Russland, darunter Unternehmen der Metallurgie, der Chemie-, Forst- und Getreideindustrie sowie Kraftstoff- und Energieunternehmen, ihre erwirtschafteten Devisen verkaufen. Auch wenn die Regierung die Branchen nannte, ist der Erlass und die Nennung der konkreten Unternehmen selbst Verschlusssache. Ob das auch den Kriegsgewinnler Novatek betrifft, ist demnach reine Vermutung. Ein Ausscheren aus der Staatsräson ist zugleich keine Option.

Russland braucht Devisen

Devisenzwangsbewirtschaftung ist ein Signal, dass sich die Wirtschaft eines Landes in Schieflage befindet. Auch die Warschauer Pakt-Staaten ächzten seinerzeit schwer unter Devisenmangel und ließen sich diese und jene Kniffe einfallen, um an Devisen zu kommen. Für die Sowjetunion war das die Geburtsstunde zum Röhrengeschäft mit der Bundesrepublik, das mit den Sprengungen an den Nord-Stream-Gasleitungen im letzten Herbst seinen Abschluss fand. Dadurch verlor der russische Gaskonzern Gazprom das Gros seiner Währungseinnahmen. Die eingeführte Bezahlpflicht in Rubel tat ihr Übriges.

Für den größten LNG-Produzenten Novatek schlug derweil die Gunst der Stunde. LNG und Schiffsverkehr gelten als die globalen Instrumente, um Verluste an Land wettzumachen. Insofern dürfte das neue Dekret zum Währungszwangsverkauf in Russland bei Milliardär und Unternehmenschef Leonid Michelson nicht unbedingt auf Gegenliebe stoßen, sofern Novatek zu den Unternehmen gehört, die verpflichtet werden, ihre Devisen aus Exportgeschäften zu verkaufen, um über diesen Weg das Devisenangebot auf dem Inlandsmarkt zu erhöhen und den Rubel zu stärken.

Das Dekret soll unter Verschluss bleiben

Am 11. Oktober informierte die russische Regierung über das Dekret und Putins Unterschrift. Beim Kreml selbst findet sich über diesen Vorgang keinen Eintrag. Wieso das so ist, erklärte russischen Medien zufolge Kremlsprecher Dmitri Peskow. „Es (das Dekret) bleibt unter Verschluss, es handelt sich um ein Dokument zum Dienstgebrauch. Aus offensichtlichen Gründen kann die Liste dieser Unternehmen angesichts des unfreundlichen Vorgehens einer Reihe von Ländern nicht veröffentlicht werden“, sagte Peskow laut russischer Nachrichtenagentur Tass am 12. Oktober.

Zum Dekret selbst erläuterte er, dass die Regierung eine Liste mit großen Exportunternehmen in Russland zusammenstelle, die zum Währungsverkauf verpflichtet werden. Dazu lege sie fest, ab wann die betreffenden Exporteure ihre Fremdwährungen auf Konten autorisierter Banken gutschreiben und verkaufen müssen. Außerdem stelle die Regierung den Prozentsatz der Währungseinkünfte, die dem Zwangsverkauf unterliegen, fest. Mit der Überwachung des Zwangsverkaufs von Devisen sei die föderale Finanzaufsichtsbehörde beauftragt. Die Behörde müsse bevollmächtigte Vertreter bei den jeweiligen Unternehmen benennen.

Der Kreml ist das Symbol für Russland
Der Kreml in Moskau. Foto: sergunt – Freepik.com

„Man muss verkaufen“

Die Überschrift von Nadeschda Sarapina zu ihrem Artikel bei der russischen Nachrichtenagentur Ria Novosti zum angeordneten Zwangsverkauf von Devisen lautete am 15. Oktober unmissverständlich: „Man muss verkaufen – Russische Exporteure haben keine Wahl.“ Dies weist darauf hin, dass Exporteure dem Devisenzwangsverkauf nachkommen müssen.

„Ziel ist es, das Währungsangebot auf dem heimischen Markt zu erhöhen und so die Nachfrage danach zu verringern. Solche Einschränkungen wurden bereits im Frühjahr 2022 eingeführt – mit guten Ergebnissen“, so Sarapina in ihrem Beitrag. Der obligatorische Verkauf von ausländischem Geld habe zusammen mit einer starken Erhöhung des Leitzinses den Rückgang des Rubels kompensiert. Auch die positive Handelsbilanz habe ihren Zweck erfüllt und die russische Währung deutlich an Wert gewonnen.

Der Anteil der Währungsverkäufe soll in naher Zukunft festgelegt werden. Bereits im August habe dies zur Debatte gestanden. Doch hätten Zentralbank und Wirtschaft informell eine Einigung erzielt. Demnach hätten sich die Unternehmen in Russland bereit erklärt, freiwillig Dollar, Euro, Rupien, Yuan und jede andere ausländische Währung auf dem Inlandsmarkt zu verkaufen. Experten erklärten, dass strenge Grenzwerte damals nicht eingeführt worden seien, da die Unternehmen bereits bis zu 80 Prozent verkauften. Dies sei genau die Schwelle, die im Februar letzten Jahres festgelegt wurde. Als sich die Situation verbesserte, sei die Grenze auf 50 Prozent gesenkt und im Juni 2022 ganz gestrichen worden.

Unternehmen müssten Währungsverluste hinnehmen

Analysten gehen davon aus, dass die Messlatte dieses Mal höher ausfallen könnte. Finanzanalyst Michail Beljajew hält sogar 100-prozentige Währungsverkäufe von Unternehmen in Russland für zulässig. „Natürlich ist es für Konzerne bequemer, eine bestimmte Menge Währung für die operative Tätigkeit bereitzuhalten, sonst müssen sie doppelte Wechselkursverluste hinnehmen, aber das wird den Handel nicht beeinträchtigen. Gleichzeitig verringert sich dadurch die Schwankungsbreite“, erklärte er. Unmittelbar nach der Unterzeichnung des Dekrets legte der Rubel etwas zu. Kostete der Dollar vor Putins Unterschrift gut 100 Rubel, sanken die Kosten in den Folgetagen sukzessive auf 97,4 Rubel.

Der BitRiver-Finanzanalyst Wladislaw Antonow meint, dass sich die Position der Zentralbank aufgrund des stark gestiegenen Drucks auf den Rubel geändert habe. Zuvor hoffte diese, die Situation mit sanften Methoden zu stabilisieren. Doch der Einbruch des Wechselkurses zwang zu strengeren Maßnahmen. Dank des erhöhten Angebots könnte die Währung für Importeure billiger werden, was den Kauf von Waren aus dem Ausland erleichtern, aber das Importvolumen wahrscheinlich nicht wesentlich beeinflussen und daher die Handelsbilanz nicht verschlechtern werde.

In der Wirtschaft von Russland klemmt es

Die Analysten gehen davon aus, dass das Dekret in naher Zukunft für eine gewisse Stärkung des Rubel sorgt und sich der Wechselkurs zum Dollar auf dem Niveau von 95-98 US-Dollar einpendeln wird. Für eine nachhaltige Wirkung sei jedoch ein integrierter Ansatz zur Lösung systemischer Probleme erforderlich. „Die Währung spiegelt die Wirtschaftslage wider. Es ist möglich, Marktschwankungen auszugleichen. Aber um den allgemeinen Trend zu ändern, ist es notwendig, die zugrunde liegenden Ursachen zu verstehen“, sagte Beljajew. Die stetige Abwertung der Landeswährung gegenüber den drei Hauptwährungen Dollar, Euro und Yuan deute auf Defizite in der Effizienz und den Wachstumsraten der Wirtschaft in Russland hin. Dies könne durch Unternehmensförderung, einschließlich günstiger Kredite, gelöst werden.

Darauf baut vermutlich Vizepremier Nowak und verkündete im Parteitagsstil auf der Plenarsitzung des Jugendtages bei der Russischen Energiewoche am 13. Oktober: „Wir werden unseren Kraftstoff- und Energiekomplex weiter diversifizieren und neue Ausrichtungen und neue Produkte entwickeln. Zum Beispiel ist das die Petrochemie und die Produktion von Flüssigerdgas.“ Ob Novatek die Staatsdoktrin vom Devisenzwangsverkauf hinnimmt, ist schwer vorstellbar. Wenn doch, hat das sicher einen Preis. Immerhin winkt der freie LNG-Export. Zugleich engt Devisenzwangsbewirtschaftung unternehmerische Spielräume ein, was sich auf die Motivation und Kreativität beim Entwickeln technischer Lösungen in Russland äußerst negativ niederschlagen kann. Das hat die Geschichte der Sowjetunion und des Warschauer Paktes eindrücklich vorgeführt. Führt Putin jetzt Michelson vor?



Kommentare lesen und schreiben, hier klicken

Lesen Sie auch

1 Kommentar

  1. Tja, wie war das doch mal? „GOLD GAB ICH FÜR EISEN“ 1813 in Preußen und viele Jahre später im Ersten Weltkrieg…

Hinterlassen Sie eine Antwort

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert




ACHTUNG: Wenn Sie den Kommentar abschicken stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zur Verwendung der Kommentarfunktion zu.
Weitere Information finden Sie in unserer Zur Datenschutzerklärung

Meist gelesen 7 Tage