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Social Media: Wie deutsche Gerichte und Bürokraten das Internet zerstören

Social Media ist doch eh alles nur noch Kommerz und Schrott, ist doch eh egal was der Staat da macht, stimmts? Falsch! Stellen Sie sich mal vor sie gehen ganz normal die Straße entlang und unterhalten sich mit einem wildfremden Menschen. Der fragt sie wo sie ihr schönes T-Shirt gekauft haben. Sie sagen ihm in welchem Shop und von von welcher Marke das T-Shirt ist, und dass Sie es dort selbst gekauft haben. Auf einmal springt ein Mensch mit Anzug und Aktenkoffer aus dem Gebüsch, und überreicht ihnen eine Abmahnung.

Social Media vor Zeitenwende?

Ja, denn Sie haben gerade Werbung gemacht, und diese Werbung nicht als Werbung gekennzeichnet! Das ist kein Witz! Bisher galt: Die sogenannten „Influencer“ müssen auf ihren Social Media-Accounts kennzeichnen, wenn sie für eine Produktnennung in einem Text, Foto oder Video von einem Hersteller Geld erhalten. Das kann inhaltlich jeder nachvollziehen, denn wer Geld für so etwas erhält, muss dies auch kennzeichnen, denn es ist ja Werbung! Kurz-Info zum Wort „Influencer“: Damit sind Personen gemeint, die viele Follower bei Youtube, Instagram und Co haben, und mit Werbung in ihren Beiträgen ihre Zuschauer „beeinflussen“ (to influence) bestimmte Produkte zu kaufen. Dies ist ein riesiger Markt, und viele Menschen wissen gar nicht, dass fast alle Promis im Netz inzwischen Influencer sind.

Jetzt gehen deutsche Gerichte aber in die nächste Eskalationsstufe. Der „Verband Sozialer Wettbewerb“ (einer der berüchtigten Abmahnvereine) hat es geschafft eine Influencerin vor das Landgericht Berlin zu zerren. Man hatte ihr eine kostenpflichtige Abmahnung (mehrere hundert Euro) zugestellt, die sie nicht bezahlen wollte. Der Grund: Sie hatte Klamotten selbst gekauft, und in ihren Social Media-Accounts erwähnt, wo sie diese Sachen gekauft hatte. Wie gesagt: Sie bekam von den Herstellern kein Geld für die Nennung, sondern hatte die Produkte selbst bezahlt.

Nun sagt dieser Abmahn-Verband, dass dies auch Werbung ist. Denn die Influencerin beeinflusse mit der reinen Nennung des Herstellers das Kaufverhalten der Follower. Auch wenn sie kein Geld dafür erhalte, sei dies dennoch Werbung. Und mit dem Landgericht Berlin fand dieser Verein doch tatsächlich ein Gericht, dass dieser Argumentation folgte. Urteil: Die Abmahnung ist rechtens. Es läuft derzeit wohl gerade die Revision, und man kann nur hoffen, dass andere Richter in höheren Instanzen diesen Schwachsinn stoppen!

Alles nur noch Werbung

Aber bis es soweit ist, bedeutet das für die meisten Influencer: Sie vermerken jetzt unter allen oder fast allen Fotos und Videos, egal worum es geht, alles als Werbung. Denn theoretisch könnte man es auch als Werbung ansehen, wenn man gerade im Restaurant mit einem bekannten Sänger sitzt, und dessen Namen erwähnt. Das könnte als Werbung aufgefasst werden, dass die Follower die Musik dieses Künstlers kaufen sollen. Also: Wenn Sie im Netz surfen, und jetzt bei ihren Lieblings-Promis oder Lieblings-Stars auf Youtube oder Instagram nur noch Vermerke mit „Werbung“ oder „Anzeige“, lesen, dann verdanken wir das aktuell diesem einen Abmahnverein und diesem einen Gerichtsurteil.

Denn im deutschen Social Media-Universum weiß derzeit niemand, wo jetzt noch eine Grenze gezogen werden kann. Jetzt kann ganz praktisch alles Werbung sein, egal wie man was schreibt. Hier ein Beispiel. Im unten gezeigten Instagram-Post verweist dieses Model darauf, dass dieses Foto „Werbung wegen Markennennung“ ist. Hier geht es also um die Angst vor einer Abmahnung. Man kauft bei H&M etwas, und nennt die Marke, weil viele Follower immer wieder danach fragen, wo jemand seine Sachen gekauft hat. Auch wenn dieses Model die Sachen selbst kauft, schreibt sie nun „Werbung“ an den Anfang des Posts. So machen es nun sehr viele Influencer.

Die fast schwachsinnige Folge davon ist: Jetzt kann man als Leser/Zuschauer fast gar nicht mehr erkennen, was denn tatsächlich echte Werbung ist, also welcher Post von einem Hersteller bezahlt wurde, und welcher nicht. Denn Influencer posten in der Regel nur einen gewissen Teil ihrer Bilder mit bezahlten Inhalten. Der Rest ist privat und nicht-kommerziell. Wenn nun immer mehr Inhalte als Werbung markiert werden, weiß der Konsument nicht mehr, was nun wirklich Werbung ist. Damit wird der Zweck der Werbe-Nennung de facto entwertet.

Auf diese traurige oder lustige Auswirkung geht auch der Anwalt Christian Solmecke ein, der am Anfang des folgenden Videos diese Tatsache in den Kakao zieht. Bitte schauen Sie sich auch gerne sein Video in ganzer Länge an. Er erklärt den Sachverhalt auch sehr gut. Es ist aberwitzig. Das Landgericht Berlin scheint offenbar gar nicht zu verstehen, was Social Media ist und wie das Internet funktioniert. Lasst uns das Internet doch einfach kaputt machen, ist doch eh nicht so wichtig?

Jetzt wird es viele Menschen geben, die schadenfroh sagen: Ha ha ha, diese Influencer nerven doch eh nur, und eine richtige Leistung erbringen sie auch nicht. Sie nerven sowieso nur. Wenn die kaputt gehen oder eingeschränkt werden, um so besser. Richtig? Wir sehen das anders. Was früher Modemagazine oder Promi-Hefe am Kiosk waren, sind heute größtenteils Influencer. Anders als diese Magazine ist der „Konsum“ deren Social Media-Accounts für die Leser kostenlos. Zwar zahlt man deren Tätigkeit verdeckt später über die Produktpreise, wenn man etwas kauft. Aber man kann das frei entscheiden.

Influencer sind inzwischen eine Industrie, die schrittweise Verlage und Modemagazine ersetzt (in gewissem Umfang). Sie zahlen Steuern, und bieten Konsumenten eine Dienstleistung (Mode-Beratung, Bespaßung etc). Diese Menschen bestreiten ihren Lebensunterhalt durch ihre Social Media-Kanäle, und ihre Follower können ihre Dienstleistung kostenlos nutzen. Das ist bei kostenpflichtigen Zeitschriften ja anders. Also sollten User diese Art der Produktberieselung doch mehr zu schätzen wissen, nicht wahr?

Rundfunklizenz

Im Sinne der Vielfalt im Bereich Social Media kann man nur hoffen, dass Richter in höheren Instanzen verstehen, worum es sich beim Internet überhaupt handelt! In diesem Zusammenhang möchten wir auch nochmal auf unseren Artikel zum Thema YouTube und Twitch verweisen. Die Landesmedienanstalten (ja, auch solche Behörden gibt es) verschicken nun immer mehr Aufforderungen, dass sich kleine einfache YouTuber um eine „Rundfunklizenz“ bewerben sollen, welche bis zu 10.000 Euro kosten kann. Damit machen die Behörden dieser Streamer quasi kaputt, da viele sich solche Gebühren gar nicht leisten können.

Nur weil jemand hin und wieder mal ein Youtube-Live-Video macht, soll er gleich eine Rundfunkanstalt sein? Es riecht nach massiver Schikane und Gebührenabzockerei – so darf man es wohl offensiv formulieren. Denn wo soll ein Ein Mann-Betrieb bitte eine Rundfunkanstalt sein, wenn man alle paar Tage mal planlos ein paar Minuten ein Live-Video macht, einfach so? Ja, die Behörden und die Gerichte in Deutschland, bei denen ist alles möglich, um das Internet für unsere Kreativszene kaputt zu machen!

https://www.instagram.com/p/BkqL6hIlzYg/?hl=de&taken-by=jolina_f

Landgericht Berlin mit folgenschwerem Urteil zu Social Media
Das Landgericht Berlin hat eventuell ein folgenschweres und idiotisches Urteil zum Thema Social Media gefällt. Foto: Ansgar Koreng / CC BY-SA 3.0 (DE)



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3 Kommentare

  1. helau deutschland !
    war das nicht schon immer so in der brd, dass irgendwelche verbände, knappschaften, handwerksrollen, etc ihre schäfchen regelmässig auf die schlachtbank hievten ?!?

    in den 1970er, 80er, etc halt noch leise und still, im internet wird’s jetzt halt öffentlich.
    ich erinnere mich da an eine sendung von stefan raab; obwohl ich die eigentlich nie aktiv gekuckt habe, fiel mir trotzdem irgendwann auf, dass da immer ein hinweis auf eine dauerwerbesendung lief. stört nicht und man ist (vielleicht) rechtlich aus dem schneider.

    spannend zu wissen, wie das dann im profisport sein wird. müssen die sender dann eine übertragung eines fussballspiels oder der tdfrance auch als werbesendung deklarieren ?!?

    gute nacht deutschland

    zu dem speziellen fall: man sollte doch unterscheiden, ob jemand gefragt auskunft über bestimmte produkte gibt oder dass von sich aus tut, auch wenn’s nicht gesponsort ist.
    influencer machen das ja immer in eigeninitiative und dann ist’s schon werbung, weil sie ja damit entweder einem aktuellen vertragspartner bewerben oder sich einem hersteller evtl anbiedern.

    mfg rh

  2. Obwohl ich euch emotional in vielen Punkten zustimme, sieht die Situation rechtlich in einigen Bereichen anders aus.

    Aber eine ganz andere Frage: Euer Beitrag ist eindeutig wertend. Wäre da ein Hinweis am Anfang a la „Kommentar“ nicht hilfreich? Was denkt ihr?

    In jedem Fall danke ich für die Ausarbeitung des Themas und die Komprimierung in einen einzelnen übersichtlichen Beitrag. :)

  3. @Markus Fugmann: Immer wieder meinen irgendwelche Leute, dass sie einen Link auf ihren Benutzernamen legen müssen, so wie unser Schrift-Architekt hier.
    In der rechten Spalte mit den letzten 25 Kommentaren ist es kaum möglich, zwischen diesem Link und dem eigentlich gesuchten Link zum Kommentar hier auf FMW zu unterscheiden, weil nur das kurze Wörtchenzu dazwischensteht.

    Das ist ein gutes Beispiel für billige und perfide Schleichwerbung, welche noch nicht einmal als Werbung gekennzeichnet ist. Bringt aber sicher ein paar Klicks für die Website.

    Der eingegebene Benutzername müsste in solchen Fällen immer mit <a href=" beginnen. Kannst du das nicht automatisch ausfiltern lassen?

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