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Machtgerangel und Eitelkeiten Türkei: Was neben Zinsen und Inflation hinter dem Rücktritt der Zentralbank-Chefin steckt

Erste Frau an der Spitze der TCMB hatte nur knapp acht Monate Zeit im Amt.

Türkische Zentralbank in Ankara | Foto: Bloomberg News
Türkische Zentralbank in Ankara | Foto: Bloomberg News

Obwohl die erste Zentralbank-Chefin der Türkei, Hafize Gaye Erkan, die Zinsen massiv anhob und die Inflation so zumindest eindämmte und eine Zahlungsbilanzkrise verhinderte, wurde sie Opfer machtpolitischer Spiele. Vor allem der Finanzminister und stellvertretende Ministerpräsident Mehmet Simsek, der auch ihren Nachfolger bestimmte, wollte sich ihrer entledigen. Aber warum?

Machtspiel um Inflation, Zinsen und Wirtschaftswachstum in der Türkei verloren

In der Causa Hafize Gaye Erkan, der ersten weiblichen Zentralbank-Chefin in der Türkei, wankte das Vertrauen von Präsident Recep Tayyip Erdoğan bis zuletzt kaum. Was ihr aber zu diesem Zeitpunkt zum Verhängnis wurde, war, dass sie die Unterstützung des politischen Schwergewichts Finanzminister Mehmet Simsek verloren hatte. Dessen Ziel war es ursprünglich, neben der Bekämpfung der Inflation durch steigende Zinsen, der fast 1,1 Billionen Dollar schweren Wirtschaft der Türkei durch die relative junge Erkan (44) ein neues Gesicht zu geben.

Verschwörung gegen die Ex-Goldman-Sachs-Bankerin?

Für ihre Kritiker innerhalb der Zentralbank (TCMB) und in den Machtkorridoren der Türkei war das Ende Erkans nach nur knapp achtmonatiger Amtszeit an der Spitze der Zentralbank der Türkei der Höhepunkt ihrer Auseinandersetzungen mit verschiedenen geld- und fiskalpolitischen Politikern und letztlich ein Machtspiel, das fehlschlug.

Das zumindest offenbaren Aussagen von Personen, die laut Bloomberg-News über interne Überlegungen Bescheid wussten. Diese Personen aus dem inneren Machtzirkel baten Bloomberg News darum, im Zusammenhang mit ihren Äußerungen nicht genannt zu werden, da sie nicht befugt seien, mit den Medien zu sprechen. Die erste weibliche Zentralbank-Gouverneurin der Türkei, die fast ein Jahrzehnt lang für die Goldman Sachs Group tätig war, betrachtet ihre Entlassung als „eine große Rufmordkampagne“ und sagte, sie sei zurückgetreten, um ihre Familie und ihr kleines Kind zu schützen.

Erkans gefeierter Amtsantritt, zusammen mit Finanzminister Mehmet Şimşek, mit dem Ziel der Rückkehr zur einer konventionellen Geldpolitik zur Bekämpfung der Inflation mittels höherer Zinsen nach Erdogans Wiederwahl im vergangenen Mai hat die Gefahr einer Zahlungsbilanzkrise und möglicherweise einer ungeordneten Währungsabwertung abgewendet.

Hinter den Kulissen zeigten die von Erdoğan eingesetzten Technokraten jedoch schon nach wenigen Monaten großes Misstrauen gegenüber Erkan, so die Informanten zu Bloomberg News. Die Zentralbank und das Finanzministerium lehnten eine Stellungnahme zu dieser Version der Ereignisse ab. Anrufe und Nachrichten von Erkan blieben unbeantwortet. Sie wurde schlicht politisch kaltgestellt!

Anzahl weiblicher Zentralbank-Präsidentinnen weltweit stagniert.

Vom Ausland gelobt – in der Türkei unter Druck

Selbst als sich innerhalb politischer Kreise eine Gegenreaktion gegen sie entwickelte, gewann Erkan gemäß Bloomberg News das Lob ausländischer Geldpolitiker und vieler Investoren als sachkundige und direkter Rednerin, die über ein Netzwerk von Kontakten in das US-Bankensystem verfügt.

Obwohl sie die Zentralbank verlassen hat, bleibt Erkans Team weitgehend intakt, da Fatih Karahan, Erkans Stellvertreter, der als politischer Falke gilt, von Simsek zu ihrem Nachfolger ernannt wurde. Aber wenn man die zeitliche Abfolge der Ereignisse zusammenfasst, wirft dies ein neues Licht auf eine Institution, die TCMB), deren letzten fünf Gouverneure, darunter Erkan, alle vor Abschluss ihrer regulären Amtszeit gehen mussten bzw. „gegangen“ wurden.

Tabelle zeigt letzte fünf Präsidenten der Zentralbank der Türkei

Wirtschafts- und geldpolitische Achterbahnfahrt in der Türkei

Es sind Vorgänge, die für Anleger von Bedeutung sind, die eine der verlockendsten Comeback-Geschichten der Schwellenländer genau verfolgen. In einem Land, in dem die politische Achterbahnfahrt unter Erdoğan die ausländischen Bestände an lokalen Schulden in etwas mehr als einem Jahrzehnt um etwa 96 Prozent reduziert hat.

Die Aufmerksamkeit, die Hafize Gaye Erkans zweifellos auch vorhandene Mängel erfuhren, standen im krassen Gegensatz zu der Behandlung, die ihren männlichen Vorgängern zuteilwurde. Einige der ehemaligen oben aufgelisteten Zentralbanker folgten Erdoğans Geboten zum Nachteil der Wirtschaft (Erdoganomics), die z. B. Anhebungen der Zinsen zur Bekämpfung der Inflation auf Geheiß des Präsidentenpalastes unterließen und statt dessen Devisenverkehrskontrollen einführten.

Erkan hob in ihrer kurzen Amtszeit die Zinsen hingegen in einem gewaltigen Straffungs-Sprung von 8,5 Prozent auf 45,0 Prozent p. a. an. Dennoch erhielt sie nie den gleichen Respekt von der heimischen Presse oder den türkischen Politikern.

Das könnte durchaus Fragen über die Rolle des Geschlechts bei Erkans Untergang und allgemeiner über den Status türkischer Frauen in einer Wirtschaft aufwerfen, in der ihre Erwerbsbeteiligungsquote in der 38 Nationen umfassenden Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) am niedrigsten ist. An ihrer Qualifikation kann es also nicht gelegen haben, unabhängig von dem ein oder anderen kommunikativen Fauxpas der Multimillionärin während ihrer Amtszeit (z. B.: Türkei lacht über Zentralbankchefin, die wegen zu hoher Mieten angeblich wieder bei ihren Eltern einziehen muss).

Trotz Erfolgen eine ungeliebte Fremde in der Heimat

Die folgenden Informationen basieren laut Bloomberg News auf Gesprächen mit Personen, die direkt über die Ereignisse, die zu Erkans Rücktritt führten, Bescheid wissen. Sie alle baten um Anonymität, um frei über diese heikle Personalie sprechen zu können.

Als Erkan letzten Juni in die Türkei zurückkehrte, war sie für viele in ihrem Heimatland eine Fremde, nachdem sie laut ihrem LinkedIn-Profil mehr als 20 Jahre in den USA verbracht hatte, wo sie an der Princeton University in Finanzingenieurwesen und angewandter Mathematik promovierte.

Erkan übernahm die Stelle in der Türkei nach fast acht Jahren bei der First Republic Bank, darunter etwa sechs Monate als Co-Leiter und anschließend mehrere Monate als Chief Executive Officer von Greystone, einem in New York ansässigen Kreditgeber für Gewerbeimmobilien.

Weniger als zwei Wochen nach ihrer Ernennung startete sie eine der aggressivsten Zyklen geldpolitischer Straffungen in der Geschichte der Türkei.

Die Preise stiegen dennoch weiter an, aber die politischen Entscheidungsträger gaben sich nicht länger dem Wunschdenken hin, dass niedrige Zinsen die Inflation heilen könnten, was vor Erkan oft üblich und die klare Überzeugung von Präsident Erdoğan war.

Zu ihren Erfolgen gehört, dass die Bruttodevisenreserven seit ihrer Amtsübernahme um mehr als 50 gestiegen sind, auch wenn die heimlichen Interventionen am Devisenmarkt fortgesetzt wurden.

Nach Angaben der Zentralbank kauften ausländische Investoren unter Erkan Staatsanleihen und türkische Aktien netto im Wert von 5,3 Milliarden US-Dollar. Der Benchmark-Index Borsa Istanbul 100 stieg in diesem Zeitraum um mehr als 60 Prozent an und machte türkische Aktien zu Anlegerlieblingen.

Das Vertrauen der Investoren in die Türkei nahm unter Erkan zu. Doch einige Akteure innerhalb der Regierung begannen die Spannungen mit ihr zu eskalieren. Eifersucht und Eitelkeiten traten offen zu Tage und mündeten in Vorwürfen zu Vetternwirtschaft und Korruption. Erkan sei nicht immer die Technokratin gewesen, als die sie in der Öffentlichkeit oft wahrgenommen wurde, sagten einige von Bloomberg Befragte.

Mangelnde Glaubwürdigkeit und misslungene Diplomatie

Nach ein paar Monaten im Amt begann Erkan mit dem Aufbau eines politisch versierten Beraterteams und wählte diejenigen aus, die zuvor für Minister oder Regierungsbeamte gearbeitet hatten. Das sorgte für Unruhe. Doch ihr radikaler geldpolitischer Kurswechsel machte dies notwendig. Für viele Machtmenschen im Umfeld Erdoğans ging sie damit offenbar zu weit.

Zuletzt schien sie einen gemäßigteren Ton anzuschlagen und sagte, die Politik der Zinsen sei bereits straff genug und die Inflation weitgehend unter Kontrolle. Dieser Kommentar veranlasste einige Politiker und Marktteilnehmer zu der Annahme, dass die Präsidentin der TCMB gegenüber Erdoğan mehr Entgegenkommen zeigen wollte und dass sie einen vorzeitigen Lockerungszyklus einleiten könnte.

Andere griffen etwas ganz anderes auf. In einem umstrittenen Interview am 16. Dezember sagte Erkan, sie könne sich keine Wohnung in Istanbul leisten und müsse bei ihren Eltern einziehen, fragte sich aber auch, warum die Preise nicht fielen. Die Äußerungen gingen in den sozialen Medien viral unter den Türken, die angesichts der Beschwerden von jemandem, der zuvor Millionen US-Dollar verdient hatte, ungläubig waren.

Als Erkan die First Republic Bank verließ – einen regionalen US-Kreditgeber, der 2023 etwa anderthalb Jahre nach ihrem Abgang zusammenbrach – verließ sie das Unternehmen mit mehr als 23 Millionen US-Dollar Gesamteinnahmen, wie behördliche Unterlagen zeigen.

Für einige Regierungsmitglieder wurde ihr Kommentar zu den Immobilienpreisen Mitte Dezember 2023 als zu politisch und im Widerspruch zu dem technokratischen Image der TCMB interpretiert.

Nach ihrem Abgang rutschte die Lira gegenüber dem US-Dollar auf ein neues Rekordtief. Ihr Nachfolger Fatih Karahan tritt ein schweres Erbe an und bewegt sich wie seine Vorgängerin auf einem politischen Minenfeld zwischen den Macht-Eliten und deren Partikularinteressen in der Türkei.

FMW/Bloomberg



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